Alternative Nobelpreis

Oleksandra Matwijtschuk, Foto Right Livelihood

Der Kampf um Menschenrechte in der Ukraine

Wir gratulieren dem Center for Civil Liberties (CCL) aus der Ukraine zum Alternativen Nobelpreis.
Von Kurt Bereuter

Eine Briefmarkensammlung hat ihren Wert seit den späten 1970er Jahren unermesslich gesteigert, weil sie damals verkauft wurde und aus dem Erlös – rund eine Million Dollar – der „Alternative Nobelpreis“ gestiftet wurde. Gehört hatte die Sammlung Jakob von Uexküll. Der Publizist und Umweltaktivist wollte es nicht mehr verantworten, mit dem Handel dieser kleinen farbigen Papierstückchen seine Zeit zu verbringen, während rundherum die Welt zu Grunde geht. Weil das schwedische Nobelpreiskomitee das Geld zur Einrichtung zweier zusätzlicher Nobelpreise nicht annehmen wollte, gründete er seine eigene Stiftung und die vergibt seit 1980 den „Alternativen Nobelpreis“, auch bekannt als „Right Livelihood Award“, – den „Preis für gerechte Lebensgrundlagen“.
Auch wenn der Preis als Ökologiepreis startete, zeichnete er in weiterer Folge Menschen, Institutionen und Projekte aus, die sich für soziale Gerechtigkeit, Frieden oder auch Bildung und Demokratie erfolgreich bemüh(t)en. Diese kratzen immer wieder an den ökonomischen Grundregeln in Ost und West gleichermaßen, wie an Machtstrukturen in denen diese Menschen und diese Institutionen tätig sind. Am 29. September 2022 wurden die diesjährigen Preise verliehen. Original stellt hier den ersten der diesjährigen Preisträger vor.
Oleksandra Matwijtschuk, wurde 1983 in Kiew geboren, ist studierte Juristin und Vorsitzende des „Zentrums für bürgerliche Freiheiten“. Sie bezeichnet sich selbst und ihre Mitstreiter als „eine mutige Gemeinschaft für sozialen Wandel“. Das mag jetzt trivial klingen, hat aber gerade in und für die Ukraine im Herbst 2022 eine enorme Bedeutung. Noch weiß niemand, wie lange dieser Krieg, egal wie ihn der russische Präsident Putin bezeichnet, noch dauern wird und was am Ende stehen wird. Aber Mut impliziert immer auch die Hoffnung, dass etwas bewirkt werden kann, dass mutiges Einschreiten etwas verändert, was nicht sein darf. Oleksandra Matwijtschuk ist heute eine der prominentesten Menschenrechtsverteidigerinnen der Ukraine mit dem Ziel der Stärkung der Zivilgesellschaft und der demokratischen Strukturen, auch in angrenzenden Ländern. Seit dem Einmarsch der russischen Truppen in ihr Heimatland hat ihre Arbeit eine ganz andere Dimension erreicht und macht sie noch viel wichtiger.
Das CCL wurde bereits 2007 in der Ukraine gegründet, um die Menschenrechte, Demokratie und Solidarität in der Ukraine und im euroasiatischen Raum zu fördern. Also lange vor dem Verteidigungskrieg gegen die Russische Föderation, lange vor der Annexion der Krim und vor der Niederschlagung der Maidan-Proteste 2013. Aber genau diese Proteste machten Oleksandra und die CCL bekannt, weil sie während der gewaltsam niedergeschlagenen Proteste unter Präsident Viktor Janukowitsch die Menschenrechtsverletzungen dokumentierten und den Opfern der Gewalt durch die Initiative „Euromaidan SOS“ – ein Netzwerk von Rechtsanwälten und eine internationale Solidaritätsaktion – Rechtshilfe leisteten.
Schon damals ging es CCL um die Entwicklung von Initiativen zur Dokumentation von Bürgerrechtsverletzungen durch staatliche Behörden, aber auch um die Verbreitung und Vertiefung des Wissens um die Menschenrechte. Damit woll(t)en sie aufzeigen, wie Druck auf eine Zivilgesellschaft ausgeübt und diese damit an einer demokratischen und rechtsstaatlichen Entwicklung gehindert wird. Dabei war es unumgänglich, die Täter zu identifizieren, zu benennen und wenn möglich rechtlich zu belangen.
Seit dem Ukraine-Krieg ist die Durchsetzung der internationalen Rechte an oberste Stelle getreten. Kriegsverbrechen müssen vor Ort und möglichst zeitnah recherchiert, dokumentiert und aufgearbeitet werden. Darüber hinaus suchen Oleksandra Matwijtschuk und ihre Mitkämpferinnen und Mitkämpfer einen Weg zur internationalen Strafverfolgung von Kriegsverbrechen und deren Tätern – auf allen Seiten. Bis September hatte die Initiative schon über 18.000 Fälle von Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Diese belastende Arbeit wird ihr noch viele Mühen und Schmerzen verursachen.
Die Anstrengungen sollen letztlich zur Entwicklung eines nachhaltig demokratischen Systems beitragen und Oleksandra und das CCL – das Zentrum für bürgerliche Freiheiten – sind unermüdlich, wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte geht. In ihrer Arbeit verfolgen sie ein Rechtssystem mit dem Fokus auf die Opfer von Verfolgung und deren menschlichen Wert und Würde. Diese würden nämlich in den gewöhnlichen Statistiken nicht abgebildet und sind doch entscheidend, wenn es um die internationalen Menschenrechte geht.
So begründet die UN die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in der Präambel auch damit, dass „die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet“, dass „die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen“, und damit, dass „einer Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen, das höchste Streben des Menschen gilt“. Für Oleksandra Matwijtschuk und das CCL sind das nicht nur schöne Worte, sondern ein Auftrag, der sie tagtäglich zu Mut auffordert und die Hoffnung nährt: für Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde.
Und was sagt die Preisträgerin selbst zur Preisverleihung? „Wir durchleben gerade eine sehr dramatische Zeit in der ukrainischen Geschichte, wir kämpfen für die Freiheit in jeder Hinsicht. Ich betrachte diese Auszeichnung daher als Geste der Unterstützung für unseren Kampf im Allgemeinen und für meine Arbeit im Besonderen.“
Eine Woche nach der Right Livelihood Stiftung gab das norwegische Nobel-Komitee bekannt, dass das CCL am 10. Dezember 2022 in Oslo, zusammen mit dem belarussischen Rechtsanwalt Ales Beljazki und
der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“, den diesjährigen Friedensnobelpreis überreicht bekommt. Und der ist bekanntermaßen viel höher dotiert, nämlich mit etwa 920.000 Euro. Der „Right Livelihood Award“ ist demgegenüber mit rund 100.000 Euro dotiert. Aber nachdem auch schon Rechtsanwalt Ales Beljazki bereits 2004 den Alternativen Nobelpreis verliehen bekommen hat, spricht das für das feine Sensorium des „Right Livelihood Awards“, seiner Zeit einen Schritt voraus zu sein.
Auch wenn die ausgezeichneten Menschen und Projekte die Welt als Einzelne nicht retten können, ist dieser Preis eine Anerkennung von besonderen Leistungen für eine bessere Zukunft unserer Welt und gleichermaßen Inspiration und Motivation neue – bessere – Wege zu suchen und zu gehen. Und genau deswegen hat diese Briefmarkensammlung eine unermessliche Preissteigerung erfahren.

ccl.org.ua/en


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