Am Anfang war Design

Bild: Solardachmodul Roofit.Solar „NuClick“Ausgezeichnet mit dem „German Innovation Award 2024“.

Der „Rat für Formgebung“, eine Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main, möchte die Nachhaltigkeitsdebatte aus der Designperspektive bereichern. Wir fragten Bernd Müller, Director International Relations & Sustainability, wie sich der „Rat für Formgebung“ für diese Ziele einsetzt und was er Unternehmen auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft rät.
Von Jutta Nachtwey

Bernd Müller, Foto: Lutz Sternstein

Der „Rat für Formgebung“ engagiert sich seit Beginn des Jahres verstärkt für das Thema „Circular Design“. Welche Angebote und Formate sind hierfür entstanden?
Bernd Müller: Wir haben für unsere Mitglieder den Expertenkreis „Design for Circular Economy“ gegründet, der besonders für produzierende Unternehmen interessant ist. Einmal jährlich findet der „Circular Design Summit“ statt, der einen intensiven Austausch ermöglicht. Der Expertenkreis ist ein geschlossener, vertrauensvoller Kreis, in dem sich die Unternehmen öffnen können. Es geht nicht darum, nur Erfolgsmeldungen von sich zu geben, sondern hier werden auch konkrete Probleme diskutiert. Die Idee dahinter ist das Netzwerken. Wir wollen Leute zusammenbringen, die an ähnlichen Themen arbeiten und sich gegenseitig unterstützen können. Auch unser jährliches Markenbuch widmet sich dem Thema „Circular Design“, und beim „German Design Award“ gab es hierzu nun zum ersten Mal eine eigene Kategorie.

Zusätzlich starten Sie im November ein neues Veranstaltungsformat, die „Circular Design Clinic“ – wodurch zeichnet sie sich aus?
Diese Veranstaltungsreihe steht allen offen, also auch Designerinnen und Designern sowie Unternehmen, die nicht Mitglied im „Rat für Formgebung“ sind. Das eintägige Format ist noch praxis- und lösungsorientierter: Jeder und jede kann hier ein Produkt mitbringen und es während des Workshops im Sinne des „Circular Designs“ umgestalten. Hierfür werden die Produkte zunächst in kleinen Arbeitsgruppen analysiert, anschließend geht es darum, Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln, die die Produkte zirkulärer machen. Im Vergleich zu anderen Weiterbildungen und Schulungen in diesem Bereich ist das Know-how, das wir vermitteln, sehr viel konkreter und dichter am jeweiligen Produkt der Teilnehmenden.

Unter den ausgezeichneten Beiträgen des „German Innovation Awards“ gibt es offenbar viele Produkte, bei denen Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle spielt, richtig?
Jede Innovation muss heute grundsätzlich nachhaltig sein. Viele Firmen haben diese Verbindung bereits in ihrer Struktur abgebildet, etwa durch eine gemeinsame Abteilung für Innovation Management und Sustainability. Nachhaltigkeit spielt aber zum Beispiel auch beim „German Brand Award“ eine wichtige Rolle. Hier gibt es Marken wie etwa everdrop, die in diesem Jahr die Auszeichnung „Best Purpose of the Year“ erhielt – solche Unternehmen wurden bereits als durch und durch nachhaltige Marken geboren und setzen ganz neue Maßstäbe für herkömmliche Unternehmen.

Welche Länder liegen in Europa hinsichtlich der Kreislaufwirtschaft derzeit vorne?
Ganz weit vorne sind auf jeden Fall die Niederlande. Dort ist die Zirkularitätsrate am höchsten, sie liegt bei etwa 30 Prozent. Was staatliche Förderung anbelangt, ist Skandinavien führend. Hier gibt es das „Nordic Circular Design Programme“, ein intensives Weiterbildungsprogramm, an dem skandinavische Unternehmen kostenfrei teilnehmen können. Aber auf die Zirkularitätsrate schlägt sich das noch nicht so richtig nieder. Deutschland liegt im Mittelfeld, die Zirkularitätsrate beträgt etwa 13 Prozent. Das Problem ist hier, dass noch immer viele denken, es ginge bei der Kreislaufwirtschaft vor allem um Abfallmanagement und Recycling – dabei ist der Anfang und nicht das Ende entscheidend. Man muss zunächst ein Produkt gestalten, das sich später durch Maßnahmen im Bereich repair, refurbish oder remanufacture weiter nutzen lässt und schließlich sinnvoll recycelt werden kann. Diese Mehrfachkreisläufe sind sehr eng an das ursprüngliche Produktdesign gebunden – dies muss man erst noch in die Köpfe bekommen.

Welche Unternehmen oder Designerinnen und Designer gehen denn aus Ihrer Sicht mit gutem Beispiel voran?
Unter unseren Mitgliedern sind viele, die sich intensiv mit Nachhaltigkeit und „Circular Design“ beschäftigen, etwa Vepa, Shift, Vestre oder Covestro. Bei den Designern könnte man zum Beispiel Stefan Diez nennen, der schon seit Jahren nach zirkulären Prinzipien arbeitet oder die Designerin Nicola Stattmann. Sie hat zusammen mit Carlotta Ludig das „Office for Micro Climate Cultivation“ („OMC°C“) gegründet, das unter dem Namen „Verd°“ ein sehr spannendes modulares System zur Begrünung von Innenstädten entwickelt hat.

Welche Entwicklungen beobachten Sie im Bereich der Nachhaltigkeitskommunikation?
Derzeit gibt es hier generell eine Unsicherheit, da die EU eine neue Richtlinie verabschiedet hat, die Greenwashing bekämpfen soll. Deshalb muss man nun mit bestimmten Begrifflichkeiten aufpassen, die man in der Vergangenheit bedenkenlos genutzt hat. Die einen sagen jetzt lieber gar nichts mehr, um nichts falsch zu machen, andere beginnen, ihre Kommunikation umzugestalten und ihre Begrifflichkeiten zu überprüfen. Die neue Direktive fordert nichts Unmögliches. Wer bislang offen und ehrlich kommuniziert und die Fakten durch Zertifikate verifiziert hat, der kann das weiterhin tun. Wer sich dagegen immer viel auf die Fahnen geschrieben und nur Absichtserklärungen von sich gegeben hat, dem fällt das jetzt auf die Füße.

Das modulare System „Verd°“ wurde vom „Office for Micro Climate Cultivation“ („OMC°C“) entwickelt und dient der flexiblen Begrünung von Innenstädten. Foto: Petr Krejci

Der Wandel der Unternehmen kommt ja insgesamt nur schleppend voran. Was sind die Ursachen hierfür und welchen Rat hat der „Rat für Formgebung“ für Unternehmen?
Die großen Unternehmen stehen vor der Frage: Wie kann ich meine Prozesse umgestalten, ohne das Geschäft zu gefährden? Sie fangen erst mal an, etwas am Produkt zu verändern, um es kreislauf-fähig zu machen. Im Prinzip könnte man es also wunderbar recyceln, aber wirklich recycelt wird es nicht, weil einfach das Geschäftsmodell dazu fehlt. Dies war auch beim „German Design Award“ zu sehen. Es gab Einreichungen, wo sich der zirkuläre Aspekt allein auf das Produkt bezog – das Drumherum fehlte aber. Zirkularität heißt, dass auch die Wirtschaft zirkulär sein muss. Dazu braucht es eine Umstellung des Geschäftsmodells, des Produktionsprozesses, der Kooperationspartner. Dafür muss es seitens der Politik die richtigen Rahmenbedingungen geben. Die deutsche Bundesregierung ist dabei, eine nationale Kreislaufwirtschaft-Strategie zu entwickeln. Und die EU ist dabei, eine neue Ökodesign-Richtlinie umzusetzen, die eine klare Stärkung der Kreislaufwirtschaft bewirken wird. Auch wenn dies noch ein paar Jahre dauern kann, tut jedes Unternehmen gut daran, sich intensiv mit „Circular Economy“ zu beschäftigen. Die Umstellung kostet viel Zeit, deshalb sollte man unbedingt jetzt damit beginnen.


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