„Angst schafft keine bessere Welt“
Warum noch eine Sekunde länger darüber streiten, wie wir von A nach B gelangen? Der Wiener Christian Clerici war Fernsehmoderator und TV-Cupido. Seine Leidenschaften sind Automobilität und Energiewende. Text und Foto von Wolfgang Paterno
Christian Clerici, 57, ist seit drei Jahrzehnten als Moderator, TV-Macher, Autor, Produzent, Regisseur und Gestalter tätig. Lang ist die Liste seiner Fernsehauftritte (unter anderem in der ORF-Jugend- und Musiksendung „X-Large“ und als maulflinker Cupido in der legendären ARD-Kuppelshow „Herzblatt“) und diversen TV-Sportschaukämpfen – siehe „Stockcar Crash Challenge“ und „Wok-WM“. Seit zehn Jahren investiert Clerici, der zahlreiche Langdistanztriathlons und Autorennen mit historischen Tourenwagen absolviert hat, in Start-ups und ist Mitgründer des E-Auto-Abo-Unternehmens „vibe“. Automobilität und Energiewende ist seit geraumer Zeit Clericis Leidenschaft. Zum Gespräch ins Kaffeehaus in der Wiener Neubaugasse kommt er zu Fuß.
Der Google-Algorithmus kennt die Frage: „Was ist aus Christian Clerici geworden?“ Wie lautet Ihre Antwort?
Christian Clerici: Spannend wäre, zu erfahren, was Google überhaupt weiß.
Laut der Suchmaschine sind Sie seit 2013 als Werbeunternehmer und Business Angel für diverse Start-ups tätig.
Google scheint gut informiert zu sein. Andererseits ist es nahezu unmöglich, seinen eigenen Wikipedia-Eintrag zu ändern, also jene Dinge, die unwahr und letztlich schmerzhaft sind, zu korrigieren. Auf Wikipedia sind Infos wie in Stein gemeißelt.
Womit sind Sie überhaupt nicht einverstanden?
Etliche TV-Sendungen, die ich moderierte, seien mangels guter Quoten eingestellt worden, behauptet etwa das Online-Lexikon – was nicht stimmt: Die Shows liefen nach vielen Jahren schlicht aus. Im Grunde könnte es mir gleichgültig sein, dass einige Informationen, die öffentlich kursieren, keineswegs der Wahrheit entsprechen. Dennoch reagiere ich darauf bisweilen sensibel und gekränkt.
Googeln Sie sich selbst?
Selten. Und auch dann nur, wenn ich von Freunden oder Bekannten erfahre, dass Informationen über mich herumgeistern, die selbst mir unbekannt sind. Am Ende des Tages wird all dies gemeinsam mit mir in die Kiste hüpfen – und so viel oder so wenig Relevanz haben wie vieles andere auch.
Sie arbeiteten als TV-Macher und moderierten die Sendung „Herzblatt“. Wann kehrten Sie dem Fernsehen den Rücken?
Vor ungefähr zehn Jahren endete meine Zeit bei den großen TV-Anstalten, weil ich mich in einem Spannungsfeld befand, das mir feinstofflich unangenehm geworden war. Damals verbrachte ich 300 Nächte pro Jahr in Hotelzimmern und kannte so gut wie das gesamte Lufthansa-Personal, weil ich dreimal pro Woche in irgendeinem Flugzeug nach Deutschland saß. 2004 übersiedelte ich nach acht Jahren in Deutschland gemeinsam mit meiner Frau von Berlin nach Wien und absolvierte ein Sabbatical, um endlich zur Ruhe zu kommen. Fernsehen war und ist ein Berufsfeld, das die Realität maßgeblich verzerrt.
Als TV-Star wurden Sie auch als Unterhosenmodell gebucht.
Ich blicke auf eine Zeit zurück, in der ich physisch derart in Form war, dass ich für Unterhosen Werbung machte! Nach Absprache mit der Unterwäschefirma durfte ich mir Plakatwände in Wien aussuchen. So kam es, dass ich in Unterhose im Genossenschaftsbau meiner Schwiegereltern zu bestaunen war.
Einst galten Sie als „Österreichs George Clooney“.
Ich habe das Glück, genetisch besser zu altern als Clooney – und das bei deutlich bescheidenerem Budget. Es soll Schlimmeres passieren, als Werbung für Unterhosen zu machen und mit George Clooney verglichen zu werden.
Wie stellen Sie sich heute bei Meetings vor?
Ich bin Unternehmer, Moderator, Entertainer, Netzwerker, manchmal Lobbyist. Die Mobilitäts- und Energiewende ist mir ein großes Anliegen. Dabei hilft mir mein jahrzehntelang aufgebautes Netzwerk, die richtigen Menschen zusammenzuführen, viele Wege abzukürzen. Ich bringe als ehemaliger TV-Moderator bestimmte Erfahrung und Skills mit ein: Auf der Bühne kann ich über heikle Dinge wie die Mobilitätswende sprechen – und die Menschen dennoch unterhalten.
Ihre Passion ist seit vielen Jahren die Elektromobilität.
Mobilität überhaupt! Seit ich denken kann, bin ich davon fasziniert. Es ist kein Zufall, dass ich Gründungsmitglied des Unternehmens „vibe“ war, das inzwischen mit 2.000 E-Auto-Abonnements mit Abstand Österreichs Marktführer ist. „vibe moves you“ ist gewissermaßen das Netflix für E-Autos.
Sie selbst gelten als leidenschaftlicher Autofahrer.
Ich liebe es! Wir tun einander aber einen großen Gefallen, wenn wir gemeinsam darüber nachdenken, wie verkehrsberuhigte Stadträume am Ende uns allen in die Hände spielen werden.
Wie schätzen Sie die gegenwärtige Mobilitätswende ein?
Wir befinden uns inmitten eines ähnlichen Epochenumbruchs wie jener, als der Mensch vom Pferd auf das Auto umgestiegen ist. Ohne gute Geschichten werden sich die Menschen aber nicht von selbst auf die Abenteuerreise vom Verbrennungsmotor hin zum emissionsfreien Antrieb machen.
An welche Geschichten denken Sie da?
Jede Transformation sollte von Optimismus und Leidenschaft getragen sein. Ohne Optimismus können wir alle einpacken. Wenn wir uns jener Stimmung hingeben, die besagt, alles steuere auf den Abgrund hin zu, dann wird uns dieser Abgrund mit offenen Armen empfangen. Wir haben viele Möglichkeiten, das Steuer herumzureißen.
In welche Richtung soll es dabei gehen?
Bei der Energie- und Mobilitätswende müssen wir darauf achten, dass die Interessenpolitik nicht überhandnimmt. Wir müssen aus dem fossilen Zeitalter aussteigen. Dieses Müssen erzeugt jedoch enorme Reibungsflächen: Auf der einen Seite stehen die Interessen jener, die befürchten, dass wir uns endgültig von einem Modell verabschieden, das seit der Erfindung des Automobils eine Lizenz zum Gelddrucken war. Andererseits kann einem angesichts der Klimaerwärmung angst und bang werden: Warum verlieren wir eine weitere Sekunde mit der Streiterei darüber, wie wir von A nach B gelangen? Der Wunsch und die Forderung, aus dem fossilen Zeitalter auszusteigen, haben wiederum wenig mit den Appellen irgendwelcher Fundis zu tun, die sich einbilden, sie würden die Welt mit Elektroautos retten.
An dieser Stelle kommen Ihre Geschichten ins Spiel?
E-Autos retten nicht die Welt. Sie offerieren jedoch eine Technologie, die emissionslos funktioniert, was wiederum zur Lebensqualität beiträgt. Mit E-Autos fährt man anders als mit Verbrennern, eben weil man darüber nachdenken muss, wie man damit umgeht. Ich verurteile niemanden, der mit einem Verbrennungsmotor unterwegs ist, ich rede niemandem ein moralisches Problem ein, sollte er mit seinem Diesel in die Arbeit fahren. Niemand ist ein Versager, wenn er kein E-Auto fährt. Niemand ist ein Apokalyptiker, wenn er weiterhin in seinem Benziner unterwegs ist.
Den Satz „Du darfst nicht Autofahren“ werden wir von Ihnen nicht so schnell hören?
Nein. Ich erzähle lieber Geschichten. Etwa diese: Lass dein Auto stehen, leg‘ die kurzen Wege in der Stadt zur Abwechslung zu Fuß zurück. Dabei lernst du wieder, wie deine Stadt riecht und schmeckt. Wenn du mit der U-Bahn fährst, dann wirst du bemerken, dass die Schlagzeilen der Boulevardpresse mit dem wahren Bild deiner Stadt wenig zu tun haben. In der Regel begegnest du beim Flanieren durch den urbanen Raum auch nur freundlichen Menschen.
Es heißt oft, wir sollen mutig in die Zukunft blicken. Einverstanden?
Mut ist keine evolutionäre Kategorie: Keiner unserer fernen Vorfahren blickte dem Säbelzahntiger tief in die Augen und rief ihm zu: „Na, was ist, Oida?“ Bevor das „Oida!“ verklungen war, stand der Vorfahre mit abgebissenem Kopf da. Mut ist genetisch nicht verankert. Angst dagegen sehr wohl. Daher sollten wir uns die Frage stellen, weshalb wir uns vor der Zukunft fürchten.
Wie schaffen wir es, einander die Angst zu nehmen?
Durch Vertrauen. Ich möchte Geschichten erzählen, die Vertrauen fördern. Wenn wir nicht damit aufhören, den Menschen das Gefühl zu vermitteln, wir berauben sie ihrer Freiheit, um eine bessere Welt zu schaffen, dann kommen wir keinen Schritt voran. Angst schafft keine bessere Welt.
Was tragen Sie selbst zu einer solchen bei?
Ich nehme mich zurück, ohne dabei großartigen Verzicht üben zu müssen. Mein Umdenken hat nicht zwangsläufig mit Verzicht zu tun – eher mit der Veränderung meines Verhaltens und einer gewissen Verhältnismäßigkeit. Wenn jeder von uns partout nur das durchsetzen will, was ihm wichtig erscheint, wird es keinen auch nur irgendwie gearteten Konsens geben. Es wird aber Konsens und Kooperation, ja selbst Kollaboration brauchen, wenn wir unsere gegenwärtige Polykrise lösen wollen.
Welche Art von Verzicht ist Ihnen wichtig?
Der Verzicht auf Lärm. Stille ist Glück. Vor sechs Jahren haben wir ein Haus im Waldviertel gemietet, das allein in weiter Landschaft steht. In Wien überfordert mich regelmäßig das Leben, wobei ich das Pulsierende dieser Stadt ebenfalls ungemein schätzte. Ich bin ein sehr glücklicher Mensch, wenn auch nicht gänzlich angstfrei. Über diese Angst sollte man aber definieren, wohin man will. Das Ziel kann nicht mehr ausschließlich mit unseren Egos zu tun haben. Wir müssen endlich das größere Bild in den Blick nehmen.