Auf dem Weg zur Netto-Null-Emission

Netto-Null-Emission bedeutet nicht weniger, als alle durch Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen wieder aus der Atmosphäre zu entfernen. Damit wäre die Menschheit klimaneutral und die globale Temperatur würde sich stabilisieren. Nachhaltigkeitsbeauftragte sind dafür verantwortlich, Nachhaltigkeitskonzepte in einem Unternehmen zu entwickeln, einzuführen und zu überwachen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Aber wie gelingt eine solche Mammutaufgabe in einem international tätigen Konzern mit mehreren Standorten? Wo liegen die größten Herausforderungen und wieviel davon wurde in den vergangenen Jahren bereits umgesetzt? Von Daniela Egger

Andrea Sutterlüty
Nachhaltigkeitsbeauftragte bei Haberkorn GmbH

Bereits 2008 ist unser Nachhaltigkeitsmodell entstanden und seither werden konsequent Projekte und Maßnahmen umgesetzt.

Wie werden Nachhaltigkeitsziele bei Haberkorn umgesetzt und was sind Ihre Aufgaben?

Nachhaltigkeit ist schon lange ein integraler Bestandteil unserer Unternehmensstrategie. Insgesamt ist das Thema immer eine Querschnittsmaterie, insofern bin ich mitverantwortlich, darf bei vielen Themen koordinativ tätig sein und als Schnittstelle fungieren. Wir haben an allen Standorten in Österreich und in jeder Gesellschaft in der Gruppe eine Person, die für die Umsetzung unseres Nachhaltigkeitsmodells vor Ort verantwortlich ist. Gleichzeitig muss das Thema auch von vielen Fachstellen mitgedacht werden. Insgesamt sind Austausch und Kommunikation sowohl intern als auch extern zu Kunden und Lieferanten sowie innerhalb regionaler Netzwerke wichtig. Es ist ein riesiger Vorteil, dass unsere gesamte Geschäftsleitung sehr stark hinter dem Thema steht, ich vermute, dass die Arbeit sonst deutlich schwerer wäre. 

Insgesamt sind die Aufgaben sehr vielfältig, was auch Spaß macht. Hierunter fallen Aufgaben wie die Ausarbeitung, Umsetzung und Messung unserer Netto-Null-Klimaschutzziele. Gemeinsam mit dem Prozess- und Qualitätsmanagement und dem Sortimentsmanagement arbeiten wir intensiv an Themen in unserem Sortiment bzw. unserer Lieferkette, während wir mit den Sortimentsmanagerinnen und Sortimentsmanagern das Programm „EcoVadis“ umsetzen, um mehr Einblick in die Nachhaltigkeitsleistung unserer Lieferanten zu bekommen. Aktuell gibt es auch ein gemeinsames Projekt mit unserer Finanzabteilung zur Umsetzung der EU CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive). Dies ist eine EU-Gesetzgebung für große Unternehmen, die in Zukunft einen Nachhaltigkeitsbericht in ihren Lagebericht integrieren müssen. Die Umsetzung dieser Gesetzgebung ist recht aufwendig, weshalb die Vorbereitungsarbeiten schon gestartet haben – auch wenn der Bericht erst 2026 veröffentlicht wird. 

Ihr Unternehmen ist Mitglied im Projekt „Turn to Zero“ – was bedeutet das für Sie im täglichen Arbeiten?

Als langjähriger Bündnispartner von „Turn to Zero“ übernehmen wir Verantwortung auch über unsere Unternehmensgrenze und unterstützen auf freiwilliger Basis hochwertige Klimaschutzprojekte. Durch von uns unterstützte Projekte werden im Jahr 2024 CO2-Emissionen im Ausmaß von knapp 1.500 Tonnen in der Atmosphäre vermieden. „Turn to Zero“ unterstützt uns dabei bei der Auswahl und Abwicklung der Klimaschutzprojekte. Hier sind wir froh, uns auf deren Expertise verlassen und so hochwertige Projekte unterstützen zu können. Daneben sind wir auch in weiteren regionalen Klimaschutz-Netzwerken aktiv. Etwa bei „TUN. Green Deal Vorarlberg“.  Der Verein hat heute 23 Mitglieder, alles Unternehmen, die in Summe 56.000 Arbeitsplätze in Vorarlberg bieten. Wir schätzen den intensiven Austausch und die Zusammenarbeit mit den teilnehmenden Unternehmen, es ist aus meiner Sicht ein großer Schritt im Klimaschutz.

Waren Sie an der Konzeption und Entwicklung der Nachhaltigkeitsmaßnahmen beteiligt?

Das Thema ist bei uns im Unternehmen schon seit 2008 strategisch verankert und seither werden konsequent Projekte und Maßnahmen umgesetzt. Ich bin erst seit knapp fünf Jahren im Unternehmen und entwickle unsere Nachhaltigkeitsaktivitäten in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen Fachbereichen und dem Vorstandsvorsitzenden weiter. 2008 waren an unserem Standort in Wolfurt noch viel weniger Mitarbeitende beschäftigt als heute, 2019 haben wir ein ganzes Hochregallager zusätzlich errichtet – trotzdem brauchen wir heute deutlich weniger Strom als damals. Oder die Reduktion der 573.000 Flugkilometer im Jahr 2008 auf 211.000 heute. Im selben Zeitraum sind die Bahnkilometer von 23.000 auf 272.000 gestiegen. Der Fuhrpark ist zu 50 Prozent elektrisch … wir können viele tolle Beispiele vorweisen.

Gibt es auch ein Konzept für die Zulieferbetriebe?

Als technischer Händler haben wir eine Vielzahl an Lieferanten und wir sehen uns auch für unsere Lieferkette verantwortlich. 2011 gab es bereits ein Projekt mit dem Österreichischen Ökologie-Institut. Damals wurde ein Code of Conduct für unsere Lieferbetriebe eingeführt, den diese seither unterschreiben müssen, unser gesamtes Sortiment auf Nachhaltigkeit gescreent und ein Label für nachhaltige Produkte entwickelt. 

Wir haben jetzt aber noch einmal einen großen Schritt nach vorne gemacht: Zum einen wollen wir auch in unserem Sortiment bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen. Dazu motivieren wir unsere Lieferbetriebe in einem ersten Schritt, dass sie sich wissenschaftsbasierte Klimaschutzziele setzen, und messen laufend auch die Zielerreichung. Bis 2028 sollen 70 Prozent von ihnen einen Plan zur Reduktion ihrer Emissionen aufgestellt haben. Gleichzeitig fordern wir aber auch große Lieferbetriebe zur Durchführung von Nachhaltigkeitsratings auf, um mehr Einblick in deren Nachhaltigkeitsleistung zu bekommen. 


Langfristig verfolgen wir drei Säulen: Wir reduzieren Emissionen, wir wollen für Kundinnen und Kunden, aber auch für Zulieferer und unsere Mitarbeitenden ein Partner der Wahl sein und letztlich wollen wir eine funktionierende „Circular Economy“ etablieren.

Sebastian Gann
Sustainability Director bei der Zumtobel Group AG

Sie sind Sustainability Director bei der Zumtobel Group, was beinhaltet Ihre Aufgabe?
Ich arbeite mit einem Team von drei sehr engagierten Kolleginnen und Kollegen, was ich als Privileg empfinde – wir alle brennen für das Thema Nachhaltigkeit. Im Unternehmen helfen wir, die Nachhaltigkeitsroadmap zu definieren und diese gemeinsam mit den Fachbereichen umzusetzen. Langfristig verfolgen wir drei Säulen: Wir reduzieren Emissionen, wir wollen für Kundinnen und Kunden, aber auch für Zulieferer und unsere Mitarbeitenden ein Partner der Wahl sein und letztlich wollen wir eine funktionierende „Circular Economy“ etablieren. Das Ziel ist die stete Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsaktivitäten der Zumtobel Group. Dazu nehmen wir die gesamte Wertschöpfungskette unter die Lupe, Transparenz ist für die Erreichung der Ziele eine Grundvoraussetzung. Je besser wir die Emissionen unserer Lieferbetriebe kennen, desto genauer sind die Ökobilanzen unserer Produkte. Auch für unsere Kundinnen und Kunden wollen wir der Partner der Wahl sein, indem wir sie bei der Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsziele in Zusammenhang mit unseren Produkten, Services und Daten unterstützen.

Wie sieht es mit den eigenen Emissionen aus – sicher ist schon vieles umgesetzt?
Auf nationaler Ebene sind wir Mitglied des „klimaaktiv Paktes“, einer österreichweiten Initiative des Bundesministeriums. Auf internationaler Ebene haben wir uns der „Science Based Targets initiative“ (SBTI) verpflichtet. Die SBTi gilt als Autorität für Emissionsreduktionspläne entlang der Wertschöpfungskette. Wir sind dieser Initiative 2023 beigetreten und reichen gerade unsere Ziele zur Validierung ein. Die langfristige Vorgabe ist, bis spätestens 2050 das Net-Zero-Ziel erreicht zu haben. An den Produktionsstandorten weltweit passiert auch viel, zum Beispiel im Bereich der nachhaltigen Energienutzung in Dornbirn. Dort setzen wir bereits jetzt etwa 91 Prozent erneuerbare Energien ein: eine Kombination aus Strom aus Wasserkraft und einer Photovoltaikanlage auf dem Firmengebäude. Diese und auch andere Maßnahmen senken unsere CO2-Emissionen deutlich.

Wie gehen Sie mit Materialknappheiten um?
Die Materialknappheit ist spätestens seit Corona präsenter denn je, weshalb wir uns verstärkt überlegen müssen, wie wir mit den vorhandenen wertvollen Ressourcen umgehen. Durch die Etablierung einer „Circular Economy“ sollen gebrauchte Leuchten, Komponenten und Materialien in einen neuen Produktkreislauf einfließen. Rohstoffe werden entweder wiederaufbereitet, beispielsweise Aluminium und Stahl, oder Leuchten und Komponenten als Ganzes wiederverwendet. Erst kürzlich wurden bei einer Gebäudesanierung in Lustenau die dort eingesetzten Leuchten schonend demontiert, überprüft und fanden in einem Carla-Geschäft in Bregenz ihr zweites Zuhause.

Sind Sie auch schon an einer Herausforderung gescheitert, weil es einfach (noch) nicht geht?
Beim Thema Nachhaltigkeit ist man nie am Ziel, man muss stets neue Abläufe denken, denn es existiert kein One-fits-all-Ansatz – was es wiederum immens spannend macht. Die Praktiken einer „Cir-
cular Economy“ sind noch relativ neu, jedes Projekt ist ein Pilotprojekt – es gibt keine Blaupause. Auch das Reduzieren ist ein langfristiger Prozess und sich als Partner der Wahl zu etablieren, erfordert kontinuierliches Engagement. Und das steht manchmal im Kontrast zur eigenen Ungeduld, Dinge schneller voranbringen zu wollen. Aber wir sehen in kleinen Schritten, dass wir uns stetig verbessern.

Wo liegen die größten Hürden?
Wir leben in einer neuen Ära der Berichterstattung, angefangen bei der aufwendigen CSRD-Richtlinie (Corporate Sustainability Repor-ting Directive) auf EU-Ebene bis zu nationalen, gesetzlichen Vorgaben an die Lieferketten. Um Nachhaltigkeitslösungen zu etablieren, braucht es partnerschaftliche Zusammenarbeit über das eigene Unternehmen hinaus, entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Es fordert insbesondere auch die Bereitschaft aller, daran mitzuwirken. 


Wir sind seit über 25 Jahren ISO 14001 zertifiziert, haben die 17 SDGs (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen im Alltag verankert und waren 2013 Gründungsmitglied von „Turn to Zero“.

Pascal Fitz
Leiter des Teams Nachhaltigkeit bei Julius Blum GmbH

Sie leiten ein ganzes Team, das sich für Nachhaltigkeit engagiert – wie sieht Ihr Alltag aus?
Wir arbeiten im Unternehmen in einem großen Netzwerk zum Thema Nachhaltigkeit, in unserem Kernteam engagieren sich zehn Leute für die Umsetzung der Klimaziele in ihren jeweiligen Bereichen – sie alle sind ausschließlich dafür im Einsatz. Ich koordiniere zudem vier Mitarbeitende personell. Wir treffen uns wöchentlich, unsere Aufgaben sind dabei sehr vielfältig. Das beginnt bei der Energieeffizienz in der Produktion und geht bis zur Außenraumgestaltung unserer Standorte, beispielsweise der Begrünung der Dächer. An den acht Standorten in Vorarlberg haben wir bereits im Jahr 2018 den CO2-Fußabdruck durch den Einsatz von ausschließlich österreichischer Wasserkraft um über 40 Prozent gesenkt, 2021 ein umfassendes Mobilitätskonzept umgesetzt und sind auch dabei, die Wertschöpfungskette aufzubereiten. In Österreich leisten wir seit Jahrzehnten mehr, als die gesetzlichen Vorgaben erfordern. Aber auch an unseren internationalen Standorten setzen wir Maßnahmen um. In unserem Werk in China erzeugen wir beispielsweise mit Photovoltaik eigenen Strom.

Reichen die Maßnahmen auch über die Unternehmensgrenzen hinaus?
So vielfältig wie das Thema Nachhaltigkeit ist, so facettenreich sind auch unsere innerbetrieblichen Maßnahmen: Wir befassen uns intensiv mit unseren Emissionen der Scopes 1 und 2 – die wir direkt oder indirekt beeinflussen können. Wie bei jedem verarbeitenden Unternehmen sind es die Rohstoffe, die zu Scope 3 zählen und bereits mit einem bestehenden Fußabdruck geliefert werden, auf den wir nur bedingt Einfluss haben. Deshalb beschäftigen wir uns mit Fragen wie: Welches Material ist für welche Anwendung das richtige? Gibt es das gewünschte Material auch in ausreichender Menge am Markt? Unsere Produkte bestehen zu über 80 Prozent aus Stahl. Deswegen schauen wir mit unseren Lieferbetrieben sowohl die Herstellungsverfahren als auch den Transport an. Hier wollen wir so viel wie möglich CO2 einsparen, aber trotzdem keine Abstriche bei der Qualität machen. Wir haben unter anderem CO2-reduzierten Stahl im Einsatz, hier zeigt es sich, dass die von uns benötigten Mengen derzeit nicht am Markt verfügbar sind und eines der Nadelöhre die Schrottverfügbarkeit ist. Das bedeutet, dass wir uns als Gesellschaft viel stärker darauf fokussieren müssen, unsere bereits gewonnenen Ressourcen und Rohstoffe in geschlossenen Stoffkreisläufen zu halten.

Was sind die größten Herausforderungen?
Der „European Green Deal“, das Maßnahmenpaket der EU, stellt uns vor umfangreiche Anforderungen. Wir sind schon jetzt an der Vorbereitung, auch wenn diese gesetzlichen Bestimmungen erst in ein paar Jahren gelten. Man muss sich aber schon fragen, wie viel Aufwand für die Berichterstattung angemessen ist, denn diese Kapazitäten fehlen in den Projekten, in denen Wesentliches umgesetzt werden könnte. Dass wir die Klimaziele ernst nehmen, steckt in der Unternehmens-DNA: Wir sind seit über 25 Jahren ISO 14001 zertifiziert, haben die 17 SDGs (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen im Alltag verankert und waren 2013 Gründungsmitglied von „Turn to Zero“. Seither messen wir jährlich unseren CO2-Fußabdruck – die Reduktion wird uns noch länger beschäftigen. Wir sind manchmal der Zeit voraus. Beispielsweise gab es erste Projekte zum Thema Mitarbeitermobilität bereits in den 1990er Jahren. Damals hat das nicht wirklich funktioniert, heute sieht es anders aus.

Wie schätzen Sie den Fortschritt in den Vorarlberger Unternehmen ein, liegen wir österreichweit eher gut in der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen oder hinken wir hinterher?
In Vorarlberg herrscht eher die Mentalität, zuerst Maßnahmen umzusetzen, bevor man darüber redet. Das haben auch wir in der Vergangenheit so gelebt, mittlerweile kommunizieren wir unser Handeln immer mehr. Ein gutes Beispiel dafür ist das schon angesprochene Mobilitätskonzept. Wir haben über 3.250 Jobräder und rund 1.900 Klimatickets ausgegeben. Ein Mitglied der Unternehmensleitung, Gerhard Humpeler, fährt selbst – wann immer möglich – mit dem Fahrrad zur Arbeit. Das bewirkt eine starke Motivation bei den Mitarbeitenden. Es gibt auch ein Belohnungssystem mit Bonuspunkten, wenn man mit sanfter Mobilität zur Arbeit kommt. Wir wollen keineswegs belehren, sondern motivieren. Für die Punkte kann man nachhaltige Produkte kaufen oder das Geld spenden – in den vergangenen Jahren kamen auf diese Weise rund 60.000 Euro Spendengelder zusammen. Es gibt in Vorarlberg starke Netzwerke, unter anderem auch für Mitarbeitermobilität, und wir tauschen uns mit anderen Unternehmen zu diversen Nachhaltigkeitsthemen aus. Da sehen wir, dass im ganzen „Ländle“ engagiert Initiativen umgesetzt werden. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. 


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