Auf Kreuzfahrt mit dem WWF

Die kleinen Streifendelfine sind im Mittelmeer in Gruppen von durchschnittlich
26 bis 27 Tieren anzutreffen. Foto Laura Pintore

Der „World Wide Fund For Nature“ (WWF) bietet Urlaubsreisen der anderen Art: Meerestiere beobachten und dabei das Leben auf hoher See hautnah erleben.

Von Lydia Stöflmayr

Der Alltag auf dem Segelschiff ist von
der Natur bestimmt. Foto Laura Pintore

Der salzige Wind zerzaust die Haare und so weit das Auge reicht ist kein Land in Sicht. Das Meer verschmilzt am Horizont mit dem strahlend blauen Himmel. Nur die Wellen, die gegen den Bug des Schiffs schlagen, geben den Takt an.
Mit dem Projekt „Le Vele del Panda“ lädt der WWF Italien Touristen zur Kreuzfahrt mit dem Segelschiff. Ganz bewusst nennt die Organisation diese Abenteuer im Mittelmeer fast provokativ „Kreuzfahrten“, obwohl sie mit den Reisen auf klassischen Kreuzfahrtschiffen nichts zu tun haben. Der Segeltörn in Begleitung von Whalewatching-Expertinnen und -Experten und erfahrenen Skippern ist genau das Gegenstück zu den diskutablen schwimmenden Hotels. Ein Paradebeispiel dafür, wie Wissenschaft und nachhaltiger Tourismus im Rahmen eines Citizien Science Projekts voneinander profitieren. Schon lange steht diese Unternehmung auf meiner Bucketlist.
Unter den „Segeln des Pandas“ dürfen Touristen als Amateur-Meeresbiologen selbst Hand anlegen und erfahren, wie aufregend, langweilig, oder beides wissenschaftliche Arbeit sein kann. Die Forschungsfahrten sind der marinen Megafauna des Mittelmeers gewidmet, zu der auch Mönchsrobben, Meeresschildkröten und Haie gehören. Das Hauptaugenmerk liegt aber auf Walen und Delfinen.
Ein Wochenende, eine Woche oder auch länger geht es durch das Tyrrhenische Meer. Das erklärte Ziel ist es, sich auf Zehenspitzen anzuschleichen und einen Einblick in die Welt der Meeressäuger zu erhaschen. Lautlos, ohne Dieselmotor und mit viel Fingerspitzengefühl werden die Tiere respektvoll studiert. Niemand hüpft da bei einer Delfinsichtung ins Wasser. Naturforscherin und Ethologin Laura Pintore nimmt zum Schwimmen mit Delfinen entschieden Stellung: „Ich bin absolut dagegen. Meiner Ansicht nach ist es sehr schädlich und kann sowohl für Tiere als auch für Menschen gefährlich sein.“
Trotzdem ist es wichtig, die Meeressäuger nicht vollkommen ihrem Schicksal zu überlassen. „Die Datenerhebung ist der erste Schritt zum Artenschutz”, sagt die Expertin für Meeres-Megafauna beim WWF Italien und „Responsible Guide of Whale Watching“ (World Cetacean Alliance). „Die Kenntnis über Häufigkeit und Verbreitung von Meeressäugetieren ist notwendig, um ihr Aussterberisiko einzuschätzen und wirksame Strategien zum Schutz vor menschlichen Einflüssen zu entwickeln.”
Laura Pintore ist die wissenschaftliche Leiterin und Koordinatorin des Projekts „Le Vele del Panda“ für WWF Travel. Die Italienerin aus Sardinien sprüht vor Enthusiasmus für ihren Beruf und widmet ihre Arbeit und einen großen Teil ihrer Freizeit dem Schutz des Meeres und seiner Bewohner.

Die Haut des Rundkopfdelfins überzieht sich im Laufe seines Lebens mit hellen Narben, bis er im Alter vollkommen weiß ist. Foto Laura Pintore

Wissen ist Macht – auch beim Tierschutz
Weltweit gibt es ungefähr 120 Arten von Meeressäugetieren, 21 kommen im Mittelmeer vor, acht davon sind hier einheimisch. Es sind der Gewöhnliche Zwergwal, der Pottwal, der Zyphus, der Globicephalus, der Grampus, der Große Tümmler, der Streifendelfin und der Gewöhnliche Delfin. Vom Namen darf man sich aber nicht täuschen lassen, denn sogar der Gewöhnliche Delfin ist, zusammen mit Zwergwal, Pottwal, Globicephalus und Grampus, laut „International Union for the Conservation of Nature“ (IUCN) vom Aussterben bedroht.
Jede der Arten besetzt eine bestimmte Nische im Ökosystem, die durch die Meerestiefe und die Fressgewohnheiten abgesteckt ist. „In den letzten Jahrzehnten ist der Lebensraum der Meeressäugetiere stark geschrumpft, was vor allem auf die menschengemachte Umweltzerstörung zurückzuführen ist“, erklärt Laura Pintore. Die Ziele des Forschungsprojekts sind deshalb gleich zwei: Erstens sollen sich immer mehr Menschen für den Erhalt der Arten und den Schutz des Mittelmeeres interessieren und mit den Forschern ein Netzwerk bilden.

Zweitens dienen die Beobachtungen dazu, die gesammelten Daten in einer Datenbank der nationalen und internationalen Wissenschafts- und Forschungsgemeinschaft zur Verfügung zu stellen.
Observation und Datenerfassung sind gerade bei Walen und Delfinen schwierig und zeitaufwendig, da sie langlebig sind und weite Strecken zurücklegen. Über manche Arten, wie beispielsweise den Finnwal, werden bis heute nur Vermutungen zum Paarungsverhalten angestellt. Und beim scheuen Zyphus ist nicht klar, wie gefährdet die Art ist, weil das Zusammentreffen mit den Meeressäugern so selten ist, dass es keine verlässlichen Statistiken zur Entwicklung von ihrer Verbreitung gibt. Je mehr wir über sie wissen, desto besser können wir die Meerestiere schützen. Jede Sichtung zählt deshalb.
Die Meeressäugetiere im Mittelmeer sind ständigen Bedrohungen gleich von mehreren Seiten ausgesetzt. Direkte Gefahren, wie der Zusammenstoß mit Schiffen durch den starken Schiffsverkehr und die Tötung der Tiere als Beifang bei der Fischerei, liegen auf der Hand. Aber auch indirekte Risiken, die durch die Verschmutzung der Meere mit Chemikalien und Plastik entstehen, machen dem Walbestand zu schaffen. Nicht zuletzt sind nicht nachhaltiger Tourismus, Überfang der Fischbestände, Klimaveränderungen und akustische Verschmutzung Schuld am Schwinden der Meeressäugetiere.
Nur durch gezielte Forschungsprojekte ist es möglich, dort einzugreifen, wo die Tiere am meisten betroffen sind. In den Beobachtungsjahren von 2020 bis 2022 konnten bei den wissenschaftlichen Kreuzfahrten des WWF laut eigenen Angaben etwa 320 Mal Meeressäugetiere und Meeresschildkröten gesichtet werden. Am häufigsten war das Zusammentreffen bisher mit den weniger gefährdeten Streifendelfinen. Das mag an deren größerer Verbreitung liegen, aber auch an ihrer Vorliebe für beeindruckende akrobatische Einlagen mit Sprüngen, Saltos und Pirouetten. Gelegentlich zeigen sie sich in immensen Gruppen von bis zu 2.000 Delfinen.

Schwanzflosse eines Pottwals. Die Wale fressen tatsächlich Riesenkalmare, was lange Zeit für eine Legende gehalten wurde. Foto Laura Pintore

Wal in Sicht!
Mit Ferngläsern suchen die Passagiere des Segelschiffs das Wasser nach den typischen Flossen der Meeressäuger ab. Die Beobachtung kann nach Minuten, Stunden oder manchmal sogar erst nach Tagen von Erfolg gekrönt werden. Es gibt nie eine Garantie, weder einen richtigen Zeitpunkt noch einen bestimmten Ort. Es ist Glückssache, ob und wann sich Tiere zeigen. Und die Enttäuschung lauert immer, wenn ein Stück Plastik anstatt eines Delfins oder einer Schildkröte zwischen den Wellen erscheint. Der erste Moment einer Walsichtung ist dafür ein Feuerwerk der Emotionen. „Das Warten lohnt sich immer, es ist jedes Mal wunderbar, wenn man die Tiere sichtet!“, erzählt Laura Pintore.
Und dann beginnt die wissenschaftliche Aufzeichnung. Der genaue Ort der Sichtung wird dank GPS exakt bestimmt. Die Helferinnen und Helfer verzeichnen die wichtigsten Daten auf einer Karteikarte: Ort, Spezies, Anzahl der Tiere und das eventuelle Vorhandensein von Jungtieren, den Kälbern. Mit Hilfe von Fotos geht es dann an die Identifikation der einzelnen Tiere. Dafür dürfen die Urlauberinnen und Urlauber auch gerne ihre eigene Spiegelreflexkamera oder Drohne mitbringen.
Videos werden mit allen vorhandenen Mitteln aufgenommen, um möglichst viele Daten zu sammeln. Am Schwimmverhalten der Tiere ist nämlich abzulesen, was sie gerade machen: ob sie ruhen, sozialisieren, reisen oder auf Nahrungssuche sind. Einige der Segelschiffe des WWF sind mit einem Hydrophon ausgestattet, um Wale und Delfine unter Wasser sogar zu belauschen.


Das Leben auf dem Schiff
In alle wissenschaftlichen Aktivitäten sind die Touristen stets eingebunden. Sprachbarrieren schwinden beim Miteinander unter den „Segeln des Pandas“ schnell. Meistens spricht die wissenschaftliche Begleitung fließend Englisch und hält die Einweisungen mehrsprachig. Auch braucht es keinerlei Erfahrung beim Segeln. Wer mag, kann auf der Reise aber nicht nur viel über Meerestiere, sondern auch über die Kunst des Segelns und des Navigierens lernen.
Eng ist es auf so einem Segelschiff des WWF mit einer durchschnittlichen Länge von etwa 14 Metern. Je nach Modell ist in Doppelkajüten und Stockbetten Platz für sechs bis acht Passagiere, den Skipper und die wissenschaftliche Begleitung. Es gibt weder einen Stundenplan noch eine festgelegte Route. Der Alltag ist bestimmt von den Beobachtungen, vom Wetter und von Lust und Laune. Eine einmalige Erfahrung für Familien, aber auch für Alleinreisende, die hier schnell Teil der Gemeinschaft werden.
Urlaub im Einklang mit der Natur, die Wellen sind jederzeit zum Greifen nahe und spritzen ungefragt. Kein üppiges All-you-can-eat-Buffet, sondern gemeinsames Kochen und Essen. Keine Spur von Zimmerservice, stattdessen tägliches Aufräumen und Putzen. Dafür ein Alltag mitten im Mittelmeer, bei einer ganz anderen Kreuzfahrt mit dem Wind in den Segeln.

Whalewatching mit dem WWF buchen: de.sailsquare.com/e/whale-watching


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