Aufstieg des Abfalls

Das Kopenhagener Unternehmen Mater stellt langlebige, stilvolle Möbel für die private und gewerbliche Nutzung her und setzt sowohl bei der Wahl der Materialien als auch bei der Produktion konsequent auf Nachhaltigkeit. Von Jutta Nachtwey
Hochwertig und minderwertig gelten gemeinhin als gegensätzliche Eigenschaften. Dass dies ein überholtes Vorurteil ist, macht der Möbelhersteller Mater auf eindrucksvolle Weise klar. Die Produkte, die durch ihre feinen gestalterischen Qualitäten überzeugen, bergen hinsichtlich der verwendeten Materialien einige Überraschungen. Mater nutzt nämlich jede Menge Müll: Plastikabfälle aus der industriellen Fertigung, ausgediente Kunststoff-Bierfässer, Fischernetze aus den Ozeanen, Sägespäne, Kaffeeschalen, die bei der Röstung übrig bleiben, und Malzrückstände aus der Bierproduktion. All diese vermeintlich minderwertigen Materialien verwendet Mater für die Herstellung von Möbeln, die optisch und haptisch hochwertig wirken und sich im Gebrauch als langlebig erweisen.



1 Der Low Stool und der Accent Coffee Table bestehen aus FSC-zertifizierter Eiche. 2 Ein Klassiker in neuem Gewand: Der Stuhl Conscious (Design: Børge Mogensen und Esben Klint) hat eine Sitzfläche, für die Plastikabfälle mit Sägemehl vermengt werden. 3 Der stapelbare Stuhl Eternity hat eine Sitzschale aus Plastikabfällen und Kaffeeresten.
Ein Teil dieser Abfälle wird zu Verbundwerkstoffen verarbeitet, die sich das Unternehmen unter dem Namen „Mater Circular Material“ patentieren ließ. Im Formpressverfahren entstehen daraus unterschiedliche Möbelteile – etwa Sitzschalen, Stuhllehnen oder Platten für Loungetische –, wobei sich diese Komponenten unbegrenzt oft recyceln lassen. Die Kunden können die Produkte nach Gebrauch durch lokale Handelspartner an das Unternehmen zurücksenden lassen, damit daraus neue hergestellt werden können.
Die zugrundeliegende Kombination von Kunststoff und faserhaltigen Materialien, wie Kaffeeschalen oder Biertreber, sorgt für besondere ästhetische Qualitäten. Laut Mater erinnert die daraus resultierende Musterung zum Beispiel an Marmor oder Terrazzo. Neben dem „Mater Circular Material“ verwendet das Unternehmen beispielsweise auch FSC-zertifiziertes Holz (Eiche, Buche, Mango, Linde und Kiefer) sowie Edelstahl, Aluminium, Leder und verschiedene Textilien, darunter Re-Wool. Die Möbel werden fast alle in Dänemark, Slowenien, Polen, Lettland oder Tschechien gefertigt. Ihre Bestandteile lassen sich nach der Nutzung leicht voneinander trennen und der jeweiligen Weiterverwertung zuführen.
Mater setzte bereits seit seiner Gründung 2006 auf Nachhaltigkeit. Der Name des Unternehmens ist das lateinische Wort für „Mutter“ und soll das Streben zum Ausdruck bringen, „Mutter Erde“ für künftige Generationen zu erhalten. Um die Möbelproduktion umweltfreundlich zu gestalten, hat man sich für die gesamte Wertschöpfungskette mit gleichgesinnten Partnern zusammengetan. Hinsichtlich des Stils der Möbel sieht sich Mater in der gestalterischen Tradition der dänischen Moderne, die sich durch funktionale, minimalistische Formen und langlebige Materialien auszeichnete. Diese Verwurzelung wird besonders deutlich in der Conscious-Serie, einer Kollektion von Stühlen und einem Tisch, welche die renommierten dänischen Möbeldesigner und Architekten Børge Mogensen und Esben Klint 1958 entwarfen. Während die Sitzflächen und Rückenlehnen des Stuhls im Originalentwurf aus Furnierschichtholz hergestellt wurden, bestehen die neuen aus Plastikabfällen aus der Industrie, die entweder mit Sägemehl oder mit Kaffeeschalen vermengt werden. Diese „Waste Edition“ entstand in enger Zusammenarbeit mit zwei der Enkelkinder von Børge Mogensen, den beiden Designerinnen Emilie Ventujol Mogensen and Sarah Alexandra Moutouh. Mater machte damit deutlich, dass sich Tradition und Innovation überzeugend verbinden lassen.

Für den Outdoorbereich bietet das Unternehmen zwei Kollektionen an, die Jørgen und Nanna Ditzel ursprünglich 1955 gestalteten. In der Neuauflage kamen zwei verschiedene Verbundwerkstoffe zum Einsatz. Bei der Ocean-Kollektion beinhalten die Lamellen der Sitzflächen und Stuhllehnen industrielle Kunststoffabfälle, Ozeanplastik sowie upgecyceltes Fiberglas. Die Ocean OC2-Serie basiert dagegen auf Einweg-PET-Bierfässern der Brauerei Carlsberg, die der dänische Upcycling-Spezialist a:gain aufbereitet und als geschreddertes Rohmaterial an Mater liefert. Der Möbelhersteller vermengt es dann mit industriellen Kunststoffabfällen und dem wiederverwerteten Fiberglas. Auch wenn sich diese Teile nicht wie das „Mater Circular Material“ beliebig oft recyceln lassen, verlängert sich der Lebenszyklus des Ausgangsmaterials erheblich – und der Müll wird äußerst elegant entsorgt. Außerdem spart beispielsweise die Produktion der Ocean Collection laut Mater im Vergleich zu neuem Kunststoff aus frischem Rohöl 82 Prozent der CO2-Emissionen.
Aber nicht nur Designklassiker werden bei Mater zu neuem Leben erweckt. Der Möbel-hersteller arbeitet auch mit vielen zeitgenössischen Designerinnen und Designern zu-sammen, zum Beispiel mit dem Studio Space Copenhagen, das Signe Bindslev Henriksen and Peter Bundgaard Rützou gründeten. Die beiden verfolgen einen multidisziplinären Ansatz und entwickeln neben Interior Design für Privathäuser, Restaurants und Hotels auch Kunstinstallationen. Für Mater gestalteten sie neben der Dining Chair Serie mit gerundeten Formen aus FSC-zertifiziertem Birken- oder Eichenholz den Stapelstuhl Eternity, dessen Sitzschale aus Plastikabfällen und Kaffeeresten besteht.
Auch die Architektin Eva Harlou entwarf für Mater verschiedene Möbel, darunter Barho-cker, in deren simpel geformten Sitzflächen und Rückenlehnen ebenfalls Kaffeereste eingearbeitet sind. Im Bereich Leuchten hat das Unternehmen zum Beispiel die Serie Terho der finnischen Gestalterin Maija Puoskari im Programm, deren Schirme zum Teil aus zertifiziertem Lindenholz hergestellt sind. Ihre minimalistischen Formen sind fein aufeinander abgestimmt, sodass sich die Varianten auch gut kombinieren und in Gruppen hängen lassen.
Für Firmengründer Henrik Marstrand geht es jedoch nicht nur darum, ästhetisch an-spruchsvolle, nachhaltige Produkte herzustellen. Er ist davon überzeugt, dass Design die Lebensweise der Menschen beeinflussen kann – denn aus seiner Sicht prägt Gestaltung auch Werte, Kultur und Gesellschaft. Es geht ihm also auch darum, durch die Objekte von Mater möglichst viele Leute zu nachhaltigem Denken zu inspirieren und verantwortungsvollen Konsum zu fördern.
Insofern sind diese Möbel wahrhaft multifunktional: stilvolle, langlebige Alltagsbegleiter, die nicht nur für die Verwandlung von Minderwertigem in Hochwertiges sorgen, sondern obendrein für neue Impulse in den Köpfen.
materdesign.com