Bauen im Einklang
In der Werkhalle in Schlins werden die Bauelemente aus Stampflehm vorgefertigt. Foto Hanno Mackowitz
Lehm ist einer der ältesten Baustoffe, den die Menschheit kennt. Durch die Pionierarbeit eines Vorarlberger Unternehmens erlebt das Material aktuell ein Revival.
Ein Haus, das aus der Erde besteht, auf der es gebaut ist. Ein Haus, das auf natürliche Art das Raumklima reguliert; tagsüber Wärme vom Sonnenlicht speichert – die Innenräume aber kühl hält –, und sie erst in der Nacht wieder abgibt. Ein Haus, das die Atemluft seiner Bewohner nicht mit Schadstoffen belastet, dessen Wände man niederreißen und wieder neu aufbauen kann, sooft man will.
Lehm ist eines der ältesten Baumaterialien in der Menschheitsgeschichte. Im europäischen Raum wurde er schon vor 8.000 Jahren als Baustoff verwendet, doch obwohl er ökologisch hervorragende Qualitäten aufweist, ist das technische Wissen um den Lehmbau weitestgehend verloren gegangen. Seit einigen Jahrzehnten erlebt er nun durch die umfassende Forschungs- und Pionierarbeit des Vorarlbergers Martin Rauch ein Comeback. Mit dessen in Schlins ansässigen Unternehmen, der Lehm Ton Erde Baukunst GmbH (LTE), bemüht er sich seit vielen Jahren, dem Lehmbau wieder zu seiner einstigen Beliebtheit zu verhelfen. Er wird dabei tatkräftig unterstützt, nicht zuletzt auch von seiner Familie.
„Wir haben im April 2021 angefangen zu bauen und mit unserem eigenen Aushub die Wände gestampft“, sagt Martin Mackowitz. Er ist seit drei Jahren als Architekt bei LTE beschäftigt, kommt aber gerade von der eigenen Baustelle. Gemeinsam mit Gattin Anna-Pia, die Kunstvermittlerin und die Tochter von Martin Rauch ist, will man sich in Schlins ein eigenes Heim und damit ein Vorzeigeprojekt schaffen. „Wir bauen sozusagen einen Prototypen, wo wir dadurch, dass wir selbst die Bauleute sind, weitestgehend radikal sein und Details ausprobieren können, die es so noch nicht gab“, sagt Mackowitz. Der Rohbau stehe bereits, aktuell sei man mit dem Retuschieren der Stampflehm-Fertigteile und dem Bau der Innenwände beschäftigt.
Beim Bauen mit Lehm unterscheidet man zwischen verschiedenen Techniken, vom Bauen mit ungebrannten Lehmziegeln über den Leichtlehmbau bis hin zum Stampflehm, auch Pisé genannt. Bei der Pisé-Technik wird ausschließlich Erde verwendet – wichtig ist dabei die richtige Mischung aus Lehm und kleinen Steinen. Der Lehm fungiert als Kleber, die Steine sind der Zuschlag für die Festigkeit. Oft ist im Aushubmaterial schon eine geeignete Mischung vorhanden, wenn nicht, wird unterschiedliches Aushubmaterial miteinander kombiniert. LTE verwendet für das Produzieren von Stampflehm-Fertigteilen ausschließlich Erde aus dem Umfeld der Produktion, unweit vom Mackowitz’schen Rohbau. In der Werkhalle in Schlins werden aus dem Aushubmaterial grobe Steine ausgesiebt, dann wird die Erde auf ihre Konsistenz geprüft. Bei Bedarf werden Kies oder Ton hinzugefügt und mit Zugabe von Wasser wird erdfeucht Schicht für Schicht gestampft. Die dadurch entstehende Wand ist 40 Meter lang und bis zu 1,4 Meter hoch, nach dem Stampfen werden die Bauteile in den gewünschten Größen zugeschnitten. Sie müssen dann noch trocknen und kommen als Elemente zurück auf den Bau. Auch die Pisé-Herstellung direkt auf der Baustelle ist möglich, nimmt allerdings mehr Zeit in Anspruch.
Außerhalb von Europa, im afrikanischen oder auch arabischen Raum, ist Lehm ein alltäglicher Baustoff, etwa ein Drittel der Weltbevölkerung lebt heute noch in Lehmbauten.
„Aufbauend auf dem Wissen, das Martin Rauch in den vergangenen 35 Jahren gesammelt hat, ist unsere jetzige Aufgabe im Unternehmen, den Lehmbau in die Mitte der Gesellschaft zu bringen“, sagt Martin Mackowitz im Videocall. Dafür brauche es Leuchtturmprojekte, „um die Lobby für den Lehmbau und für die Kreislaufwirtschaft weiterzuentwickeln und Prototypen zu schaffen, die gut und einfach funktionieren“. Außerhalb von Europa, im afrikanischen oder auch arabischen Raum, ist Lehm ein alltäglicher Baustoff, etwa ein Drittel der Weltbevölkerung lebt heute noch in Lehmbauten. Ein Beispiel für eine komplett aus Lehm erbaute Stadt ist Shibam in Jemen, das auch als „Manhattan der Wüste“ bezeichnet wird. Im europäischen Raum gilt das beinahe 200 Jahre alte und sechsstöckige Haus Hainallee im deutschen Weilburg als ältester Pisé-Bau. Auch der mittelalterliche Burgkomplex der Alhambra in Granada, Spanien, ist von einer massiven Stampflehmwand umgeben. Doch heute hat der Stoff in unseren Breitengraden ein schlechtes Image, wird oft mit Armut verbunden.
Dabei bietet das Material ungeheures Potenzial im Hinblick auf ökologischen Wohnbau. Das Rohmaterial und das Endprodukt sind sozusagen dasselbe. Die Erdwände können dadurch sooft abgerissen und wieder aufbereitet werden, wie man will. Durch den Einsatz von weiteren ökologischen Materialien – wie die Kombination mit Holz oder Schafwolle, Stroh und Schilf zur Dämmung – wird Nachhaltigkeit am Bau zu einem realistischen Vorhaben.
Auch für die Lebensqualität der Bewohner scheint der Stampflehm eindeutige Vorzüge zu bieten. Die Mikrostruktur auf der Oberfläche funktioniert wie ein Schwamm, der überschüssige Feuchtigkeit absorbiert und sie wieder abgibt, wenn die Raumluft zu trocken wird. Die Luftfeuchtigkeit in den Räumen pendelt sich auf einem konstanten Niveau von 55 Prozent ein, ideal für die menschlichen Atemwege. Die massiven Wände absorbieren Schallwellen, was das Nebeneinander von Industrie- und Privatbauten ermöglicht.
Bei der Auseinandersetzung mit den vielen Vorteilen, die das Material bietet, stellt sich doch die Frage, wo der Haken ist. „Wo sich das Material nicht gut eignet, sind hochbeanspruchte Baubereiche, wie beim Fundament, bei Brückenbauten oder generell bei Gebilden, die hohe Zugbeanspruchungen aushalten müssten“, sagt Martin Mackowitz. Außerdem befinde man sich am Bau im Rad der Normen und der Industrie; Schrauben, Dübel, Maschinen und Geräte sind konzipiert für Beton, für Stahl, für Ziegelwerk – jedenfalls müsse man an manchen Stellen kreativ werden.
Noch ist der Bau mit Lehm außerdem um ein rundes Drittel teurer als mit konventionellen Materialien, was sich vor allem durch die Vorfertigung in Schlins und die Erweiterung des Fertigteilbaus Stück für Stück verringern soll. Außerdem sei der Lehmbau arbeitsintensiv, was einerseits Arbeitsplätze in der Region entstehen lasse, aber andererseits hohe Lohnnebenkosten für das Unternehmen mit sich bringe. „Und wenn man sich die Kostenwahrheit von konventionellen Baustoffen ansieht und berücksichtigt, wo und wie sie produziert werden – welche Primärenergien eingesetzt wurden, welchen CO2-Ausstoß sie haben, wie sie entsorgt werden – dann ist man ohnehin bei einer anderen Kostenwahrheit“, sagt Mackowitz.
Als exklusives und ästhetisch ansprechendes Baumaterial kommen die Lehmelemente von LTE bereits weltweit zum Einsatz. In Dharan, Saudi-Arabien, entstand vor einigen Jahren zum Beispiel das King Abdulaziz Center; anlässlich des zehnten Jahrestags des Falls der Berliner Mauer wurde die Kapelle der Versöhnung mit Stampflehm gestaltet. Vergangenes Jahr wurde das Projekt „Erden Pure Walls“ von LTE schließlich auch mit dem „New European Bauhaus Prize“ ausgezeichnet. Die Details können Sie in Verena Konrads Beitrag über das Neue Europäische Bauhaus erfahren.
„Jedes Material hat seine Berechtigung und soll dort eingesetzt werden, wo es gut geeignet ist“, erklärt Architekt Mackowitz. „Wenn man Lehm und Stampflehm an den richtigen Stellen nutzt, kann er viel Wertschöpfung und Lebensqualität für die Region und Menschen bringen. Ein gutes Hybridsystem aus Holz und Lehm bietet viele Antworten auf aktuelle Probleme der Bauindustrie“, sagt er und widmet sich nach unserem Gespräch wieder seiner Baustelle.
Tipp der Redaktion
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