„Biotech wird riesig“

Fritz Ofner. Foto Ursula Röck

Ein Close up von Sarah Kleiner

In seinen bisherigen Filmen hat sich Fritz Ofner intensiv mit der, wie er sagt, „Evolution der Gewalt“ auseinandergesetzt. Er reiste während der letzten Wochen der Revolution gegen Muammar al-Gaddafis Regime durch Libyen und berichtete über die Nachwehen des 36 Jahre andauernden Bürgerkriegs in Guatemala. Sein Dokumentarfilm „Weapon of Choice“ (2017) über die österreichische Waffenfirma „Glock“ feierte internationalen Erfolg und wurde weltweit auf Netflix veröffentlicht. Mit seinem nächsten Projekt will der gebürtige Steirer nun thematisch neues Terrain betreten und sich der Biotechnologie zuwenden.
Die Verschmelzung von Mensch und Technologie ist schon lange kein Hirngespinst aus Science-Fiction-Filmen mehr. Gentechnisch veränderte Lebensmittel, genetisch optimierte Designerbabies, Fleisch und Gebärmütter aus dem Labor sind nur einige populäre Ergebnisse eines inzwischen weltweit milliardenschweren Forschungs- und Unternehmenssektors. Im Schatten der internationalen Biotechnologie wächst gleichzeitig eine Community von sogenannten Biohackern heran, die sich im Namen der Leistungssteigerung des Menschen mit mehr oder weniger riskanten Methoden selbst zum Versuchskaninchen macht. Weltweit basteln Menschen in Garagen und Kellern auf eigene Faust an der grenzenlosen Selbstoptimierung und machen vor dem Einsatz von Designerdrogen und Gentechnik nicht Halt. Für seinen nächsten Film taucht Dokumentarfilmer Ofner aktuell in die Szene ein. Zwischen Aufenthalten in Spanien und Mexiko legte er auch einen Stopp in Wien ein, um uns Einblick in seine vier Wände und seine Recherchen zu gewähren.

Das Reisen war bisher Kernelement Ihrer Filme und Dreharbeiten, die Reisebeschränkungen scheinen Ihre Arbeit aber nicht zu beeinflussen.
Nein, man kann ja reisen. Man braucht einen Test oder muss in Quarantäne und es ist von Land zu Land unterschiedlich, aber es ist möglich. Die Frage, ob die Art und Weise wie wir mit dieser Pandemie umgehen, die richtige ist, ist außerdem der Ausgangspunkt für mich, das Biohacking Thema aufzugreifen. Was mich daran vor allem interessiert, ist die Ideologie, die dahinter steht, der Transhumanismus. Er entspringt der Idee, dass wir uns durch Technologie von Krankheit und Tod befreien können. Viele Prinzipien des Transhumanismus sind schon in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch die Art und Weise, wie wir mit der Pandemie umgehen, hat viele Merkmale davon, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Das finde ich problematisch, weil der Transhumanismus einen sehr technokratischen Blick auf das Leben, die menschliche Existenz und unser Zusammenleben hat und den Menschen als eine Maschine oder einen Apparat betrachtet, an dem versucht wird die Dinge, die nicht nützlich sind, Schritt für Schritt auszulöschen. Der technokratische Umgang mit der Pandemie – die Reduktion des gesamten gesellschaftlichen Lebens auf Parameter wie Inzidenzen oder R-Werte, während die psychischen Folgen der Pandemiemaßnahmen außer Acht gelassen werden – war für mich Anlass, einen Weg zu finden, wie ich eine Geschichte über Transhumanismus erzählen kann. In der Biohacking Szene habe ich dann viele Ansätze gefunden, die es Wert sind, einen Film zu machen.

Biohacking, also die persönliche Leistungssteigerung durch biologische oder technische Tricks, reicht von Fitness-Tipps wie acht Stunden schlafen oder morgens kalt duschen, über Nahrungsergänzungsmittel und Sprays, durch die man effizienter einschlafen soll, bis hin zu Extrembeispielen, wo Leute an sich selbst operieren und sich technische Gadgets einsetzen. Welche Gruppen wollen Sie beleuchten?
Es gibt sehr viele verschiedene Strömungen innerhalb des Biohacking, die ich mir im Film ansehen will. Es gibt einerseits die Biohacking-Bewegung, die tatsächlich Gentechnik in der Garage, im Labor betreibt. Das steckt noch in den Kinderschuhen, diese Leute sind aber vergleichbar mit den Computerbastlern der 1970er und 1980er Jahre, mit Steve Jobs oder Bill Gates, die in ihren Garagen die ersten Computer zusammengeschraubt haben. Mittlerweile sind die Technologien und das Wissen um Gentechnik frei zugänglich, sodass man mit dem richtigen Know-How selbst damit arbeiten kann. Was in der Biohacker-Szene wichtig ist, ist der Hacker Ethos, der sich von dem der Computer-Hacker ableitet. Das heißt, es gibt ein großes Misstrauen gegenüber den Institutionen. Biohacker sagen, Technologie darf nicht nur in den Händen von multinationalen Konzernen und Eliteuniversitäten sein, es darf nicht nur ein Wissen sein, dass der oberste Prozentsatz der Bevölkerung nutzen kann. Weil es eine so wichtige Technologie ist, muss sie demokratisch zugänglich sein, sonst landen wir in einem Szenario wie im Film „Gattaca“, wo eine kleine Elite die Biotechnologie-Industrie kontrolliert und damit die ultimative Ungleichheit in die Gesellschaft bringt, weil ein optimierter Mensch einem nicht-optimierten in dem Szenario überlegen ist. Das ist ein zentraler Punkt in den politischen Fragen rund um Biohacking. Ein anderer Punkt ist der Do-it-yourself Gedanke, also nicht in Institutionen zu arbeiten, sondern selbstbestimmt, dezentral. Ein dritter Aspekt ist, dass Wissen und Technologie offen und frei zugänglich sein müssen. Das sind alles Dinge, die in das Biohacking miteinfließen. Es ist gleichzeitig ein Kampf um demokratischen Zugang zu jener Technologie, die unsere Zukunft bestimmen wird. Ob wir das wollen oder nicht, Biotech kommt und Biotech wird riesig werden.

Was war das Extremste, das Sie in der Recherche gesehen haben?
Es gibt in Amerika eine Szene die heißt „Grinder“. Da konstruieren Leute selbst Chips und implantieren sie sich auch selbst, auf sogenannten „Grinder Parties“. Es gibt keine Anästhesie und man lässt sich von jemand anderen einen selbstgebauten Chip einsetzen. Dabei ist die Fähigkeit dieser Chips noch extrem begrenzt. Ein interessantes Beispiel, das ich wirklich faszinierend finde, ist ein Projekt in Kanada. Dort will man Biohacking Kindern und Jugendlichen zugänglich machen, so wie wir früher einen Chemiebaukasten hatten. Beim Projekt „The Robo Roche“, also die Roboter-Kakerlake, bekommt man eine Lieferung mit zwölf Kakerlaken und dem technischen Set, das man benötigt, um an das Gehirn der Kakerlake heranzukommen, um dort einen Chip einzubauen, mit dem man dann das Gehirn der Kakerlake über einen Computeranwendung fernsteuern kann. Dann kann man die Kakerlake wie ein Spielzeugauto durch die Wohnung steuern. Also die Bandbreite des Biohacking ist riesengroß, weil es eben auch nicht wirklich eine öffentliche Reflexion gibt.

Bei der Etablierung der Gentechnik gab es noch laute Kritik. Die Rede war davon, dass die Wissenschaft „Gott spiele“. Spielt das Argument beim Biohacking, wo ja Menschen an sich selbst herumexperimentieren, noch eine Rolle?
Absolut, es hat sogar sehr viel mit Religion zu tun. Im Treatment zum Film habe ich einen Text von dem Kirchenheiligen Augustinus von 350 nach Christus. Seine Beschreibung des Paradieses ist ähnlich wie die Vorstellungen, die Transhumanisten über die Zukunft der Menschheit haben. Im Grunde versucht man, den Menschen von den Dingen zu befreien, die leidvoll und schmerzhaft sind, von Alter, Tod, Krankheit. In monotheistischen Religionen hat der Mensch das Gefühl, etwas Besonders zu sein und sich die Natur Untertan machen zu müssen. In anderen Kulturkreisen, zum Beispiel im japanischen Shintoismus, kann auch ein Stein eine Seele haben und daher auch ein Roboter. Die Technik wird dort weniger als Bedrohung wahrgenommen, weil man Beseeltheit nicht nur beim Menschen sieht, sondern potentiell überall. Insofern sagt die kulturelle Prägung sehr viel darüber aus, wie wir mit diesen neuen Biotechnologien umgehen werden, weil das in unserer kulturellen DNA drinnen ist. In deutschsprachigen Ländern gibt es die größten Vorbehalte gegenüber Biotech und Biohacking wegen der Vergangenheit mit der NS-Eugenik. Experimente am Menschen sind dadurch sehr verpönt. Für den Film, an dem ich jetzt arbeite, suche ich Biohacker, die wirklich an sich selbst experimentieren. Das ist für mich auch die Definition von einem Biohacker.

In Österreich demonstrieren Menschen auf der Straße, weil sie befürchten, durch eine Impfung heimlich gechippt zu werden. Währenddessen gibt es in den USA erste Unternehmen, die ihren Angestellten Chips implantieren lassen, mit denen sie sich Zugang zum Arbeitsgebäude verschaffen. Wie erklärt sich diese Divergenz?
Die Frage ist immer, wer bestimmt über den Einsatz dieser Technologien? Ich habe am Forum für Journalismus und Medien (FJUM) ein Seminar über Verschwörungstheorien gegeben und versucht, Journalisten für den Spannungsbereich zwischen legitimer Machtkritik und illegitimen Verschwörungsmythen zu sensibilisieren. Wo hört Herrschaftskritik auf und wo beginnt die Verschwörungstheorie? Es gilt kritisch zu hinterfragen, welche Technologien entwickelt werden und was sie bezwecken. Im Zuge der Recherche habe ich zum Beispiel herausgefunden, dass die „Bill Gates Foundation“ an einem Verhütungschip arbeitet, der Frauen eingesetzt werden kann. Damit kann „remote“ gesteuert werden, wann die Frau empfängnisbereit ist und wann nicht. Das sind Projekte, die die „Bill Gates Foundation“ tatsächlich macht. Es muss legitim sein, so ein Projekt kritisch zu hinterfragen. Kommen die Medien dieser Aufgabe nicht nach, ist dies der Nährboden für Verschwörungstheorien. Wenn es um das Chippen geht, geht es um die Frage der Selbstbestimmung, aber auch um die Frage des Verhältnisses von Mensch zu Technologie. Es gibt in der Medizin auch schon Nanobots – Mikro-Roboter, die durch die Blutbahnen schwimmen und Krankheitserreger auslöschen. Wollen wir, dass Oligarchen und Technologiekonzerne alleine über diese Technologien bestimmen? Oder wie könnte gesellschaftliche Teilhabe daran aussehen?

An Ihrem letzten Film „Weapon of Choice“ haben Sie und Co-Regisseurin Eva Hausberger sechs Jahre lang gearbeitet. Wann ist mit dem Biohacking Film zu rechnen?
Ich stehe sehr am Anfang des ganzen Projekts, großes Thema ist da immer die Finanzierung. Mittlerweile arbeite ich ganz stark prozessorientiert und weniger ergebnisorientiert, das heißt ich finde die Auseinandersetzung mit dem ganzen Themenkomplex Biohacking aktuell sehr spannend. Und wenn man Filmemachen als Vehikel versteht, um die eigene Neugier an der Welt zu befriedigen, dann ist es auch nicht so wichtig, wann der Film fertig oder was das Ergebnis sein wird, sondern was man entlang des Weges lernt über sich und die Welt. Das ist eigentlich das, was wichtig ist.


Fritz Ofner arbeitet als Dokumentarfilmer und lebt in Wien. Geboren wurde er 1977 in der Steiermark, er studierte Journalismus und Kulturanthropologie in Wien. Danach war er als NGO-Aktivist, freier Journalist und Fernsehproduzent tätig. Seine Reisen durch Asien, Afrika und Lateinamerika brachten ihn auf Umwegen zum Dokumentarfilm.


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