Buchbesprechung

Wann ist ein Mann ein Mann?
Von Verena Roßbacher
„… weil die Sache an den politischen Rändern ja klar ist: Der eine will den starken Mann zurück, dem anderen kann es nicht gendersensibel genug sein. Interessant aber ist es dazwischen, wo es widersprüchlich wird und sich meistens auch die Wahrheit versteckt.“
Tobias Haberl, geboren 1975, schreibt für das Süddeutsche Zeitung Magazin. „Es ist tatsächlich so, dass ich im Bayrischen Wald, wo ich aufgewachsen bin, als fortschrittlich und in München, wo ich wohne, als konservativ wahrgenommen werde. Die einen sagen: Man merkt, dass du in der Stadt lebst. Die anderen: Man merkt, dass du vom Land kommst.“ Innerhalb dieses Spannungsfeldes bewegt sich sein neues Sachbuch „Der gekränkte Mann“ und inmitten dieser reichlich aufgeheizten Debatte ist sein Beitrag vielleicht einer der versöhnlichsten.
Er beginnt sein Projekt mit der Beschreibung des ersten Mannes, der für ihn wichtig war: mit seinem Vater. Ausführlich erzählt er, was es hieß, in den 1970er und 1980er Jahren in einer traditionellen Familie aufzuwachsen, und er tut das mit gutem Grund. Innerhalb weniger Jahre hat sich das allgemeine Bild davon, wie ein Vater sein soll, was von ihm erwartet wird, welches unsere Werte sind, kurzum: was männlich ist und was nicht, fundamental verändert. Nicht, dass die feministische Bewegung neu wäre – ganz im Gegenteil, schuf sie natürlich die Grundlagen für die derzeitigen Debatten. Neu ist vielleicht die vernichtende Härte, die das allgemeine Gespräch (auf beiden Seiten) mitunter annimmt, und die Tatsache, dass niemand, ob Mann oder Frau, heutzutage mehr daran vorbeikommt, sich irgendwie zu positionieren. Sei es das Gendersternchen oder die neue Tendenz, zur Vermeidung weiblicher oder männlicher Definierungen zur Partizipialkonstruktion zu greifen (beispielsweise „Studierende“ anstelle von Student und Studentin – grammatikalisch immerhin fragwürdig, das Partizip Präsens beschreibt etwas, was man gerade tut und ist keine Aussage über den Status). Im öffentlichen Kommunikationsraum oder bürokratischen Verkehr ist es schon längst Usus geworden – ob wir das Sternchen nun schön finden oder nicht.
Und dabei geht es Haberl natürlich nicht (nur) um ästhetische Fragen. Er geht etwas nach, was die feministische Schriftstellerin Doris Lessing, die er in seinem Buch zitiert, schon vor Jahren beklagte, „… dass die Abwertung alles Männlichen so sehr Teil unserer Kultur geworden sei, dass sie kaum noch wahrgenommen werde. Wir hätten uns so lange eingeredet, dass Männer das Problem und Frauen die Lösung seien, dass es sich natürlich anfühle, ja dass wir es tatsächlich glaubten.“
Haberl geht es keineswegs darum, etwas vom alten männlichen Status „zurückhaben zu wollen“, ganz im Gegenteil beschreibt er das, was Männer heutzutage auch sein können, als im besten Fall befreiend. Neue Möglichkeiten tun sich auf, für beide Geschlechter, und er sieht die große Chance, alte Rollenmodelle zurückzulassen und neue auszuprobieren. Man könnte sagen, er wirbt für Verständnis, wenn das alles noch nicht ganz so geschmeidig geht, wie das manchmal vielleicht erwünscht wäre. Er versucht zu beschreiben, wie groß und durchaus verunsichernd diese Veränderungen sind, gerade und vor allem für die Generationen, die ihr Leben lang andere Werte lebten und von denen auch anderes erwartet wurde. Und für dieses Verständnis bittet er nicht aus Mitleid – aus Empathie vielleicht, das ja, aus einem freundlichen und zugewandten Interesse dafür, wo jeder einzelne von uns herkommt und was er dabei mitbringt. Vor allen Dingen aber rät er uns als Gesellschaft dazu, weil wir sonst ein Problem haben: Wenn sich immer mehr Männer abgehängt fühlen und nicht mehr gesehen und verstanden in einer Welt, die ihnen zunehmend fremd wird, ist die Gefahr der Radikalisierung groß – sie ist es immer, wenn es uns nicht gelingt, möglichst alle unterschiedlichen Gruppen mit ins Boot zu holen. Und davon hat dann auch wieder niemand was.
Das Buch ist ein erfreulich differenzierter Beitrag in einem Feld, in dem es zurzeit gerne mal so aussieht, als wären die Sachen immer schwarz oder weiß, richtig oder falsch. Es ist im Leben allermeistens alles dazwischen. Und es würde uns allen gut tun, dieses Dazwischen etwas ruhiger und gelassener anzugehen, und nicht zuletzt mit Humor – das ist nämlich laut Haberl gewiss nicht die schlechteste Methode, dem ganzen Thema die Verbissenheit zu nehmen.

Tobias Haberl
Der gekränkte Mann
256 Seiten
ISBN-13: 978-3-492-07113-0
Piper, 2022