Buchbesprechung

Mal wieder Felder lesen
Von Verena Roßbacher

Franz Michael Felder
Aus meinem Leben
Roman
376 Seiten
ISBN 978-3-99027-014-1
Jung und Jung 2019
Herausgegeben von Jürgen Thaler

Wenn es darum geht, an dieser Stelle einen Vorarlberger Autor zu besprechen, kommt man ins Grübeln, denn deren gibt es ja nicht wenige und lesenswert sind sie allesamt. Wenn man ein bisschen weitergrübelt, wer denn von den nicht wenigen lesenswerten Vorarlberger Autoren der Vorarlbergerischste ist, hat man schnell zu Ende gegrübelt, denn dann ist man schon bei Franz Michael Felder.

Das Loblied auf Felder ist schon oft und oft gesungen worden, auch und gerade von Autoren, die ganz genau wissen, was sie an ihm haben. Und vielleicht muss es noch viel öfter gesungen werden, denn außerhalb der Alpenregion ist er kaum bekannt, was irgendwie ein bedauernswertes Missverständnis sein muss.

Felder wurde 1839 im hinteren Bregenzerwald, in Schoppernau geboren, wo er auch, nicht mal dreißigjährig, starb. Sein bekanntestes und hinreißendstes Buch ist die Autobiographie „Aus meinem Leben“, und jeder, der es liest, versteht, warum es immer wieder fasziniert. Nicht nur ist es voller origineller, literarischer Wendungen, nein, es ist – nicht zuletzt ob der vielen Schicksalsschläge – auch ungemein spannend. Es rührt einen diese Erzählung eines ganz und gar außergewöhnlichen Lebens zutiefst, das Leben eines jungen Mannes aus einfachsten, um nicht zu sagen ärmlichsten Verhältnissen, der nicht nur zum begnadeten Leser, sondern auch zum Schriftsteller wird – und dies entgegen der widrigsten Umstände.

Er stammt aus einer Bergbauernfamilie, sein Vater stirbt früh, wie auch die Geschwister, und er bleibt mit der Mutter allein zurück. Seine Tage sind gefüllt mit harter, körperlicher Arbeit. Von einem betrunkenen Arzt am falschen Auge operiert verliert er schon als kleines Kind sein gesundes Auge und trotz dieses Umstands und der Tatsache, in einer Gegend aufzuwachsen, in der es außer der Bauernkalender zuhause und der ein oder anderen Zeitung in den Gasthäusern keinerlei Lektüre gibt, wird er zum Leser, zum gierigen Leser. Und das interessiert uns, das fasziniert uns nachgerade: Wie kommt das? Kaum sonst einer hier liest, warum plötzlich bei einem einfachen Bauernjungen diese Hinwendung zur Welt der Literatur?
Dieses Lesen verändert ihn. Es ist ja das vielleicht wunderbarste am Lesen, dass man plötzlich Erfahrungen hat, ohne sie selbst gemacht zu haben. Man lernt Gegenden kennen, in die man nie gereist ist, Leute, die man nicht selbst getroffen hat, man hört von Ansichten und Meinungen, die völlig neuartig für einen sind, man erweitert – und wenn es nur ist, weil eine Geschichte einen so fesselt – seinen Horizont, und es ist fast klar, dass man hernach nicht mehr derselbe ist. Auch klar ist, dass es das Leben in einer konservativen, nach festen Regeln und Bräuchen agierenden Gemeinschaft nicht gerade einfacher macht. Felder packt in seine wenigen Erdenjahre mehr, als es anderen gelingt, die drei Mal so viel Zeit haben – er schreibt Bücher, wird weit über das Tal hinaus damit bekannt, er gründet eine Bauerngenossenschaft, kämpft für die Gleichberechtigung der Klassen, er zieht den Hass der Kirche nicht weniger auf sich wie den seiner Mitbürger und verwickelt sich in diverse Auseinandersetzungen, er freit erfolgreich um seine Jugendliebe Anna Katharina Moosbrugger, die er sodann auch heiratet, zeugt fünf Kinder, wird jung Witwer und stirbt nicht weniger jung kurz darauf. Was für ein gewaltiger Ritt, ein Leben im Schnelldurchlauf.
Von all dem und von noch viel mehr erzählt er bedrückend und eigenwillig in seinem Buch „Aus meinem Leben“.

Wir stehen alle, wie es so schön heißt, auf den Schultern von Riesen. Auf den seinen, das wissen die Vorarlberger Autoren nur zu genau, stehen wir ganz gewiss. Und für alle anderen ist es kein geringerer Gewinn, dieses Buch zu lesen oder einmal wiederzulesen. 


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