CLOSE UP

„… and then you move on“

In ihren Filmen richten Richard und Anita Ladkani den Scheinwerfer auf die grausame Auswüchse der Umweltzerstörung und auf jene, die dafür verantwortlich sind.
Von Sarah Kleiner

Foto Ursula Röck

In Baden bei Wien ist es ruhig. Kein Mensch ist auf den Gehsteigen der Wohnsiedlung zu sehen, nur Yuki, ein flauschiger Schäfer-Husky-Mischling, wartet hinter dem Gatter des großen Hauses am Ende der Straße. Neben der Eingangstür ins Haus der Ladkanis hängt ein Schild, „Beware oft the Wife“ ist darauf zu lesen. Richard Ladkani macht seit über zwanzig Jahren Filme, seit mehreren Jahren gemeinsam mit Ehefrau Anita. Die letzte Produktion „Sea of Shadows“ verfolgt einen globalen Handelskreislauf von mexikanischen Drogenkartellen und der chinesischen Mafia, der das Aussterben des Mini-Wals Vaquita zur Folge hat. Für ihre Recherchen scheuen die Ladkanis keine Distanz und kein Risiko. In ihrem Haus finden sich dutzende Reisesouvenirs, kleine Figürchen, Skulpturen von Elefanten – und beinahe hätte sich ein Oscar dazugesellt.

Frau und Herr Ladkani, Ihre letzte Produktion „Sea of Shadows“ war ein weltweiter Erfolg und für den Oskar nominiert. Was haben Sie am Abend der Verleihung gemacht?
Richard: (lacht) Wir sind tatsächlich relativ früh schlafen gegangen. Wir haben beim Sundance Film Festival vor einem Jahr den Publikumspreis gewonnen und damit super eröffnet. Wir waren bei über hundert Festivals nominiert, haben Vorträge gehalten, wir waren bei der UNO, in Washington D.C. beim State Departement. Wir haben ein Jahr auf den Oscar hingearbeitet. Wenn man dann am Ende erfährt, dass man es doch nicht geschafft hat, ist man erstmal konsterniert und fragt sich, warum. Aber auch nur, weil die Medien uns drei Monate vorher schon als großen Favoriten gehandhabt haben.

Anita: Wir hatten wegen des Medienrummels schon relativ sicher damit gerechnet, aber das dauert einen halben Tag – and then you move on. Das eine ist, wenn man es nicht schafft, hat man weiterhin den Oscar als Ziel vor Augen und das andere ist, dass ja wirklich sehr gute Filme ausgezeichnet wurden.

Was ist die größere Ehre, der Publikumspreis beim Sundance Festival oder der Oscar?
Anita: Für mich ist es eindeutig der Publikumspreis. Der bedeutet ja, dass das Publikum den Film mag und nicht eine Jury oder Expertenrunde. Die Oscars sind inzwischen sehr politisch. Beim Publikumspreis des Sundance gibt jeder seine Stimme ab. Kürzlich haben wir den „Cinema for Peace Award“ bekommen, das ist für uns eine sehr schöne Auszeichnung.

Jane Goodall hat Ihren Film „Ivory Game“ medienwirksam unterstützt. Ihre Dokumentationen lassen die dargestellten Missstände nicht unkommentiert und geben teilweise klare Handlungsanweisungen. Sehen Sie sich selbst mehr als Filmemacher oder als Aktivisten?
Richard: Ich habe als Regisseur und Kameramann bis heute über 50 Filme gedreht und umgesetzt. Vor sieben Jahren kam der Punkt, wo ich mich fragte, ob ich weiterhin Filme machen oder ob ich etwas verändern will. Ich kenne Jane Goodall persönlich sehr gut, ich habe mit ihr 2009 den Film „Jane‘s Journey“ gedreht. Sie sagte einmal sinngemäß „Richie“, – sie nennt mich immer Richie – „du hast ein großes Talent, Filme zu machen. Aber du musst lernen, dieses Talent zu nutzen, um etwas zu verändern.“ Wenn ich mir nur das richtige Thema suchen würde, könnte ich etwas erreichen. Und das habe ich gemacht. Es geht um mehr im Leben als nur darum, tolle Filme zu machen.

Anita:
Ich sehe uns als Kombination aus beidem. Wir sind über einen Artikel in der New York Times auf die Elefanten- und Elfenbein-Problematik gestoßen. Ich habe in Kenia gelebt und den ersten „Ivory-Burn“ selbst miterlebt, als die erste Ladung Elfenbein aus illegalem Handel verbrannt wurde. Ich dachte, damit wäre das erledigt. Jahre später lesen wir, dass die Situation noch viel schlimmer ist als damals. Und da haben wir uns gefragt, was können wir tun? Das ist es, was Aktivismus ausmacht: zu erkennen, was sind meine Talente, meine Fähigkeiten und wie kann ich mein Können einsetzen, um etwas zum Positiven zu verändern.

Sie betreiben seit 2015 ja auch gemeinsam die Produktionsfirma „Malaika Pictures“. Wie teilt sich die operative Arbeit unter Ihnen auf?
Anita:
Er ist eindeutig der kreative Kopf, der Konzepte schreibt, Regie führt, beim Dreh und bei Recherchen vor Ort ist. Das Handwerk macht er, die Produktion übernehme ich, also die Produktionsleitung, Budget und Kostenkontrolle. Ich organisiere die Drehs und Flüge. Ich arbeite auch kreativ mit, aber eher im graphischen Bereich, wenn es um die Konzeptgestaltung geht. Außerdem habe ich jahrelang in Kenia gelebt und in Beirut, ich bin geboren und aufgewachsen im Krieg. Ich habe ein anderes Risikoempfinden und bin nicht besonders ängstlich. Diese Art von Filmen können wir eigentlich nur machen, weil wir sie zusammen machen. Wir besprechen alles und ich bin immer informiert, wenn das Team und Richard in gefährlichen Situationen sind. Ich weiß immer, was beim Dreh gerade passiert.

Richard: Ja und inhaltlich reden wir sehr viel, wir diskutieren die wichtigen Rollen und Stationen des Films. Man muss sich die Arbeit aufteilen, damit jeder seinen Bereich hat. Ich schreibe gerade an einem Treatment, da ist klar, dass ich mich zurückziehe und Ruhe brauche. Anita baut derweil Budget und Logistik und an einem Punkt kommen wir wieder zusammen.

Wie läuft dieser kreative Prozess ab, wie entsteht ein Dokumentarfilm über mehrere Jahre? Wissen Sie am Anfang, wie der Film zum Schluss aussehen wird?
Richard: Es
ist immer unterschiedlich. Bei uns beiden beginnt es oft mit der Entscheidung für ein gewisses Thema und einer Recherche. Wir machen gerade einen Film über den Amazonas, einen Dokumentarfilm. Solche Filme brauchen zwischen zwei und sieben Jahren, bis sie fertig sind. Das heißt es ist gut, an mehreren Projekten gleichzeitig zu arbeiten, bei uns sind es aktuell fünf. Ich frage mich anfangs immer, ist das ein Film, den die Welt braucht? Und ist das Thema filmisch umsetzbar, in dem Sinne, dass man im Kino ein möglichst breites Publikum ansprechen will? Dann beginnt die Suche nach dem individuellen Zugang, also eine klassische journalistische Tiefenrecherche.

Anita: Am Anfang findet man dabei das Offensichtliche, was ohnehin schon erzählt wurde, was ohnehin schon berichtet oder in einer Form dokumentiert wurde. Aber man will ja die Geschichten erzählen, die noch niemand kennt.

Richard: Ich dachte anfangs, es gehe beim Amazonas in erster Linie um die Abholzung des Regenwaldes, also einen Umweltaspekt. Bei Recherchen sind wir dann aber auf die Situation der indigenen Völker gestoßen, die im Amazonasgebiet leben. Sie sind die „Guardians“ des Waldes, die garantierten, dass er und die darin lebende Artenvielfalt überlebt. Diese indigenen Völker werden angegriffen und vertrieben. Und da wurde es schwierig für mich, weil ich dachte, der Mensch müsse dann doch im Vordergrund des Filmes stehen. Für viele ist es aber genau umgekehrt: Für sie ist ein Baum, der gefällt wird, schlimmer als ein Stammesführer im Amazonas, der brutal vertrieben wird.
Das Schicksal des Waldes ist vielen Leuten wichtiger als das der indigenen Völker.

Warum ist das so?
Richard:
Es gib so viele Kriege, so viel Leid auf der Welt, dass man sich davon isoliert. Der Umgang mit Flüchtlingen ist ein gutes Beispiel dafür. Es gibt da eine Schieflage und wir müssen sehr sensibel mit heiklen Themen umgehen. Mir ist klar, wenn ich einen Film über die sterbenden indigenen Völker mache, werde ich ein anderes Publikum ansprechen, als wenn ich ihn über die Abholzung und den Umweltaspekt mache.

Das sind ja fast schon medienpolitische Überlegungen.
Richard:
Ich habe anfangs, vor 15 Jahren, Filme gemacht, die sozialpolitisch sehr wichtig waren, die viele Leute auch bewegt haben. „The Devils Miner“, mein erster Kinofilm, eine schöne, sehr einfühlsame Doku über das Schicksal von Kindern, die in Minen in Bolivien arbeiten. Die Menschen waren sehr berührt, haben geweint bei der Vorstellung, doch das Resultat war: Wir haben sieben Jahre lang an dem Film gearbeitet, haben unser Leben riskiert, um ihn umzusetzen, und im Endeffekt hat ihn niemand gesehen. Der Film hat 22 Preise auf Festivals gewonnen, aber es waren kaum Leute im Kino und im Fernsehen wurde er um 23:45 Uhr ausgestrahlt – gefeiert von Festivals, aber vorübergegangen an den Menschen.

Warum interessiert sich nur so ein kleines Publikum für die ernsten, realen Themen?
Richard:
Man muss Filme mit schwierigen Themen für die große Masse aufbereiten. Man braucht eine gewisse Zutatenformel, um solche Filme global herauszugeben – vorausgesetzt man will, dass er weltweit gesehen wird. Man braucht einen internationalen Anbieter, dazu gehören zum Beispiel Netflix, National Geographic oder die Amazon Studios, also eine große globale Plattform. Dann ist es hilfreich, einen starken Produktionspartner wie die Terra Mater Factual Studios in Wien für das Projekt zu gewinnen und schließlich noch einen „Ambassador“, einen Botschafter. Das kann ein Hollywood Star wie Leonardo DiCaprio sein oder jemand wie Jane Goodall. Die Person verschafft dem Film große Aufmerksamkeit und eine Art Gütesiegel. Dann muss man sich überlegen, wie machst du den Film so schön, von den Bildern und auch so erträglich…

Anita: … dass du am Ende ein Publikum hast, dass sich unterhalten fühlt, ganz nebenbei und unbemerkt etwas lernt und mit einer neuen Erkenntnis aus dem Kino geht. Die Menschen, die wir porträtieren und begleiten sind ja keine Superhelden, sondern ganz normale Menschen mit Gefühlen und Ängsten. Das Publikum soll sich ermutigt fühlen, im Bereich der eigenen Möglichkeiten etwas zu unternehmen.

Sie arbeiten jahrelang an Filmen. Besteht da nicht immer die Gefahr, dass der Gegenstand Ihres Films bei der Premiere schon berichterstattet sein könnte?
Richard:
Bei der Themenwahl spielt die Erfahrung eine große Rolle. Es ist mir wichtig, dass das Konzept von Anfang an eine Langlebigkeit aufweist und dass ich nicht über ein News-Ereignis berichte, das bei der Veröffentlichung schon überholt ist. Meine Alarmglocken schrillen, sobald ich merke, das ist ein Hype und bis zur Veröffentlichung schon wieder verflogen. Wir recherchieren ein Jahr lang, bevor wir überhaupt beginnen, eine Story zu drehen. Menschen und deren Träume, Emotionen und ihre Heldenreisen sind für unsere Filme sehr wichtig, denn der Weg ist das Ziel. Mich interessiert der Gedanke, wo will ich hin, was will ich erreichen?
Warum tue ich, was ich tue, warum riskiere ich mein Leben? Die Filme müssen eine Langlebigkeit haben und die bekommen sie, wenn sie tief philosophisch sind und menschliche Beweggründe thematisieren.

Sie behandeln in Ihren Filmen stark globale Zusammenhänge, Wirtschaftskreisläufe, die ineinandergreifen. Bei der Recherche kommt man dabei vom Hundertsten ins Tausendste. Wie behält man den Überblick?
Richard:
Das ist viel komplizierter, als wir anfangs dachten. Man vertieft sich beim Recherchieren in persönliche Schicksale von Gruppen, von Völkern oder einzelnen Personen. Wenn man ganz tief ins Thema reingeht und zum Experten wird, muss man am Ende auch wieder zurückkommen und überlegen: Wie rettet das jetzt den Amazonas? Wie komme ich in der Erzählung zurück auf den ursprünglichen Ansatz? Das Zurückführen auf den ersten Impuls ist eine Schwierigkeit, die aber im Prozess wichtig ist. Die Kreisläufe bei unserer Arbeit sind also, dass wir uns zwei, drei Jahre in ein Projekt mit wahnwitziger Detailarbeit aus Recherchen, Personal, Schnitt und Organisation in allen Bereichen begeben und am Ende …

Anita: … geht man ein Jahr auf Promotion-Tour, ist auf Festivals, gibt Sondervorführungen bei der UNO oder im Weißen Haus, erreicht, was man erreichen kann, hofft auf den gewünschten Impact. Und dann geht der Kreislauf von vorne los mit einem neuen Thema.

Teilen auf:
Facebook Twitter