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Der Ansturm auf‘s Dorf
Von Sarah Kleiner
Lola Randl hat als Drehbuchautorin und Regisseurin bereits mit vielen erfolgreichen Projekten auf sich aufmerksam gemacht. Vor rund zehn Jahren startete die Filmemacherin aus München ihr bis dato größtes Projekt und kaufte ein verlassenes Areal in der dünn besiedelten Uckermark. In der ehemaligen DDR errichtete Randl über die Jahre eine Gemeinschaft, die vielen nachhaltigen, gastronomischen und kulturellen Projekten Raum geboten hat. Vergangenes Jahr wagte sie sich mit ihrem zweiten Buch „Die Krone der Schöpfung“ (Matthes & Seitz Berlin) als eine der ersten an das junge Genre der Corona-Literatur. Die Tatsache, dass Randl im Februar 2020 begann zu schreiben, gibt ihrer Erzählung einen Grundtenor der Unsicherheit und Zerrissenheit über die Vorgänge, ohne dabei zynisch, pessimistisch oder auch humorlos zu sein. Im Interview spricht die Autorin vom Virus im Dorf und von den Geistern, die sie in die Uckermark gerufen hat.
Sie sind mit 30, vor etwa zehn Jahren, in die Uckermark aufs Land gezogen. Was hat dieser Lebensabschnitt mit Ihnen gemacht?
Ich hatte ja immer schon große Landsehnsucht. Das lag zum einen daran, dass ich vom Land komme. Da hat man entweder ein Landtrauma und will da nie wieder zurück oder man muss irgendwann wieder zurück aufs Land. Nicht, weil man es nur gut fand, sondern weil dieses Land so in einem drinnen bleibt und man es auch nicht herausbekommt. Ich bin ein Projektmensch, da ist man stets getrieben, von einem Projekt zum nächsten. Mit der Zeit bekommt man das Verlangen, etwas aufzubauen, das nachhaltiger ist, etwas das nicht mit dem Projektende aufhört, sondern weiterwächst. So bin ich hier gelandet.
Sie haben das Areal stets weiterentwickelt, ein japanisches Café ins Leben gerufen, Gästezimmer wurden eingerichtet, eine Bar betrieben und Kulturveranstaltungen ausgerichtet. Wo stehen Sie heute?
Das hat dann sehr an Fahrt aufgenommen. Das Interesse am Land und an neuen Lebensformen ist gewachsen und zur gleichen Zeit wurde Berlin immer voller und teurer. Es gibt so einen Moment, wo ein Projekt eine große Strahlkraft besitzt und dann ist aber auch die kritische Masse schnell erreicht. Im einen Moment ist es noch ganz belebt und toll und man freut sich, dass alles so gut läuft, aber dann kommt der Punkt, an dem es zu viel wird. Wenn dann überall Menschen sind, die man gar nicht kennt, und man die Geister, die man gerufen hat, nicht mehr los wird. Lustig war, als letztes Jahr jemand fragte, ob das hier der Garten von Lola Randl sei. Ich sagte ja und er sagte, er hätte gar nicht gedacht, dass „die noch lebt“ (lacht).
Da dachte ich mir, wie befreiend, jetzt könnte ich selbst als Geist hier weiterleben und es ist nicht mehr so wichtig, dass ich das Projekt persönlich ausfülle. Im Moment bin ich hier und habe nicht vor zu gehen, aber trotzdem, wenn so viele Tagesausflügler hierher kommen, frage ich mich, was ist denn überhaupt nachhaltig? In dem Zusammenhang stellen sich weitere Fragen, wie kann die Gesellschaft zusammenwachsen, wie kann das Dorf etwas für alle sein – oder ist das schon eine Illusion? Und um das herauszufinden, verlege ich den Schwerpunkt jetzt mehr auf die Forschung. Das Ausflugslokal wurde vorerst geschlossen.
Wie hat sich Ihr dörfliches, ländliches Lebensumfeld im vergangenen Jahr verändert?
Ich war erstaunt, dass das Virus hier überhaupt so spürbar ist, weil wir ja doch im Dorf sehr voneinander getrennt sind, man fährt kaum in Bussen oder öffentlichen Verkehrsmitteln und wenn man herumläuft, ist man eh meist alleine. Trotzdem lieferte das Virus die Möglichkeit, ein Unbehagen, dass ohnehin schon da ist, jetzt anders zum Ausdruck zu bringen – zum Beispiel durch eine Anzeige, dass sich jemand nicht an die Maßnahmen hält. Das sich gegenseitig anzeigen mag sicherlich menschlich sein, aber es ist auch schockierend, dass so etwas jetzt so leicht möglich ist. Jetzt, wo das Misstrauen mal raus ist, bleibt die große Frage hier im Dorf, wie können die Neuen und die Alten gut zusammenleben? Was gibt es, was sie verbindet, außer den Ort? Man sollte sich damit beschäftigen, ob man nicht doch mehr oder einen besseren Austausch haben könnte.
Die Erzählerin in ihrem Buch „Die Krone der Schöpfung“ ist selbst Autorin und soll – während rund um sie die Corona-Pandemie ausbricht – ein Drehbuch über eine Zombie-Apokalypse verfassen. Sie meinten im Herbst in einem Interview mit der ARD, Sie wären bis kurz vor Druck nicht sicher gewesen, ob Sie das Buch so veröffentlichen könnten. Würden Sie es heute anders machen?
Heute würde ich es automatisch anders machen, weil wir heute mehr wissen, aber ich bereue es nicht. Das Buch ist schon sehr der Zeit geschuldet, der Schnelle und der Ungewissheit. Dieses Delirium vom Anfang der Pandemie kommt ja nicht wieder zurück, man ist quasi ernüchtert. Klar würde man sich bei mehr Todesopfern immer schwerer tun, so etwas zu veröffentlichen, wo die Erzählerin in der Ungewissheit darüber, wie gefährlich die Situation wirklich ist, lebt und aus ihr heraus erzählt. Aber um etwas literarisch zu thematisieren, muss man ja nicht erst eine Gewissheit über die Dinge abwarten, sonst würde man im Zweifel ewig warten. Als Literatur spielt der Roman mit den Geschehnissen und der moralische Zeigefinger wird immer auf einen zukommen. Es wird gefragt, ob man etwas spielerisch und mit Ungewissheit behandeln darf, wenn es gleichzeitig Leben kostet. Aber für mich war das auch Prinzip, mir kam es in dieser Zeit im ganzen Erzählerischen sehr still vor. Ich hätte gar nicht dezidiert gesagt „Ich mache jetzt Corona-Literatur“, aber es muss eben verarbeitet werden und in den Kompost des Kulturschaffens übergehen. Das Virus wird noch in vielen künstlerischen Werken eine Rolle spielen, manchmal verdeckt, manchmal direkt.
Sie erzählen in kurzen Episoden und Kapiteln. Wissen Sie zu Beginn den großen Bogen Ihrer Erzählung oder arbeiteten Sie sich Stück für Stück voran?
Beides und am Ende wird auch immer noch viel umgestellt und rausgeworfen. Schreiben ist für mich fast wie eine gärtnerische Arbeit, wo man anfangs deutlich mehr sät, als am Ende rauskommt und man mit der Zeit mitbekommt, wie sich Dinge entwickeln. Dann merkt man, was von alleine gut wächst, was neben einem anderen Strang fruchtbar wächst und was gar nicht herauskommen will. Aus vielem wird nichts und kleine Dinge werden größer, als ich anfangs gedacht habe.
Die Lockdowns sind für viele Menschen eine uninspirierte Zeit, man erlebt weniger, tauscht sich weniger aus. Woraus schöpfen Sie Ideen für Ihre Arbeit?
Für mich ist die Natur tatsächlich immer inspirierend, auch im Lockdown (lacht). Da kann man sehen, wie anders sie aufgestellt ist. Der Mensch hadert immer mit sich selbst und mit seiner Aufgabe, seiner Rolle. Wie gleichmütig die Natur die Dinge hinnimmt, ist für mich nach wie vor und jedes Jahr aufs Neue faszinierend. Ansonsten hatte ich jetzt im Lockdown ganz interessante Lesungen mit Teilnehmern aus verschiedenen Zeitzonen. Da saßen auf einmal Frauen aus Helsinki und London, also auch viele Menschen, die ich sonst niemals getroffen hätte. Das waren schon interessante Erfahrungen. Und ich habe jetzt auch zum ersten Mal kapiert, was Lesungen eigentlich sind. Mir war das davor nicht so klar. Ich dachte immer, was sollen diese Lesungen, man kann doch das Buch auch selber lesen? Aber jetzt bin ich überzeugt, dass solche gesellschaftlichen Zusammenkünfte einen viel höheren Stellenwert bekommen als vor der Pandemie. Die Vorstellung, wieder zu vielen in einem Raum zusammenzukommen, um einer Lesung zu folgen, kommt einem im Moment ja schon unverschämt vor. Ich bin gespannt, wie sich der soziale Moment durch das Virus verändern und entwickeln wird.
Lola Randl
Die Krone der Schöpfung
214 Seiten
ISBN: 978-3-75180-010-5
Verlag Matthes & Seitz Berlin, 2020