Robert Schabus

Foto Thomas Wunderlich

Alpen versus Ebene

Von Sarah Kleiner

Der Dokumentarfilmer Robert Schabus hat sich intensiv mit der heimischen und europäischen Landwirtschaft auseinandergesetzt. Sein Film „Bauer unser” sezierte das bäuerliche Wachstumsparadigma, dieses Jahr erschien „Alpenland”. Der Kärntner reiste dafür durch die Alpenländer Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Schweiz, um aufzuzeigen, womit die Bevölkerung der unterschiedlichsten Höhen und wirtschaftlichen Bereiche konfrontiert ist. Bei einem Schwammerlgulasch im Gastgarten eines Wiener Brauhofs sprach er mit ORIGINAL über seine eigenen Erfahrungen am Bauernhof in Kärnten, die Herausforderungen der Alpenländler und über schiefe Verhältnisse.

Sie sind in Kärnten auf einer Landwirtschaft aufgewachsen. Wie hat sich der Hof seit Ihrer Kindheit entwickelt?
Robert Schabus: Mein Vater hatte als wir Kinder waren zwischen 17 und 20 Milchkühe und Jungtiere, ein bisschen Wald und Acker, aber nur so viel, wie man für das Futter benötigt, und Tourismus. Der Hof war kleinteilig und vielfältig, ein großer Anteil galt der Subsistenz – zwei Schweine für den Hausgebrauch, ein großer Gemüsegarten. Aber das ist ja auf vielen Bauernhöfen nicht mehr so üblich. Mein jüngerer Bruder Stefan hat heute zirka 25 Milchkühe. Der ältere Bruder ist Künstler in Wien und ich bin den Weg des Filmemachers gegangen. Der Hof ist heute nahezu gleich, nur etwas größer. Der wesentliche Unterschied ist, dass mein Vater vor 30 Jahren zeitweise mehr für die Milch bekommen hat, als mein Bruder heute.

Stellte sich für Sie je die Frage, den Hof zu übernehmen?
Nein, das war nicht meine Welt. Landwirtschaft bedeutet auch ein enges soziales Umfeld. Mit der eigenen Familie zusammenzuarbeiten ist manchmal nicht einfach, da muss man der Richtige dafür sein. Mich hat es damals als Arbeitsfeld nicht interessiert, ich wollte weg. Nicht unbedingt wegen des Bauernhofs, sondern ich wollte etwas anderes kennenlernen. Aber ich bin bis heute gerne dort und tausche mich mit meinem Bruder aus.

Das Bauerntum ist traditionell auch oft noch sehr konservativ. Wie reagierte die Familie auf Ihr Vorhaben, Philosophie zu studieren?
Damit haben sie nicht viel anfangen können, aber ich muss dazu sagen, ich habe Philosophie nicht fertig studiert, Pädagogik und Medienkommunikation schon. Schwieriger war es wohl für meinen älteren Bruder, der schon mit 16 wusste, er will Künstler werden. (lacht) Was das Aufwachsen oder das soziale Umfeld auf vielen Bauernhöfen kennzeichnet, ist, dass wenig geredet wird, Kommunikation findet eher wenig statt. Sich freizustrampeln und eigene Wege zu gehen, wenn man dauernd etwas spürt, aber nicht klar formuliert bekommt, ist sehr schwierig. Da hat sich schon einiges verändert, aber es ist oft immer noch so, dass es eine Form von Sprachlosigkeit auf den Höfen gibt. Es ist ja auch ein Beruf mit einem hohen Hang hin zur Depression.

Auch die erhöhte Suizidrate unter Landwirten ist kein Geheimnis, sie ist statistisch gesehen aber auch mit der Größe der Höfe, mit hektargroßen Anwesen, mit ganzen Hallen voller Tieren, verbunden. Hat das etwas mit einer Entkoppelung von der Natur zu tun?
Natürlich hat in manchen Bereichen der Landwirtschaft eine Entfremdung durch die Industrialisierung stattgefunden. Man muss aber aufpassen, dass man nicht in das Klischee verfällt, dass vor der Industrialisierung alles gut gewesen wäre, so ist es nicht. Da wurden die Tiere schlechter behandelt, die Ställe waren niedrig, dunkel, klein, die Tiere hatten kaum Bewegung. Aber jetzt haben wir in manchen Bereichen einen Punkt erreicht, der weit entfernt ist von einem Gleichgewicht zwischen dem Boden, den man bewirtschaftet, dem Vieh und den Menschen. Die Depressionen haben meiner Meinung nach weniger mit diesen großen Strukturen zu tun, sondern vielfach mit den wirtschaftlichen Zwängen. Viele Bauern sind in diesen Wachstumsdruck hineingeworfen worden und haben vielleicht auch selbst Entscheidungen getroffen, die aus heutiger Sicht nicht gut waren.

Woher kommt dieser Expansionsdruck?

Das Problem ist, dass wir alle in einer höchst kapitalistischen Gesellschaft leben, so auch die Landwirtschaft. Dabei geht es in der Landwirtschaft aber nicht einfach nur um Produkte, sondern um Grund und Boden, um Arbeitsplätze am Land. Man kann dieses System nicht einfach der Logik des Markts unterwerfen, das ist aber zu einem großen Teil passiert. Es hat einen politischen Willen gegeben, den Markt zu öffnen, auch der EU-Beitritt war ein Turbo in die Richtung. Wenn wir Lebensmittel in andere Länder exportieren, verlieren wir die regionalen Kreisläufe und jetzt stehen wir da, wo österreichische Schweine bis nach China geliefert werden. In manchen Bereichen ist der globale Handel sinnvoll – Bananen wachsen bei uns einfach nicht –, aber in anderen führt er zu Verwerfungen. Plötzlich konkurriert eine nicht ganz so „glatt gebügelte“ Landschaft mit einer, die völlig eben ist, wo fruchtbarer Ackerboden ist, und dann kommt es zu einer Preisschlacht – und das ist falsch.

Sie hatten sowohl für „Bauer unser“ als auch für Ihren aktuellen Film „Alpenland“ Kontakt mit Landwirtinnen und Landwirten. Was erzählen Sie Ihnen, was brauchen sie?
Alle Bauern leiden darunter, dass ihre Produkte nicht den Preis haben, den sie haben sollten. Der Liter Milch ist viel zu billig, der müsste mindestens 30 Prozent teurer sein. Die Fleischpreise müssen wir gar nicht erst diskutieren. Das Ganze funktioniert nur, weil es das wirtschaftliche Interesse gegeben hat, landwirtschaftliche Produkte möglichst günstig zu machen, damit die Konsumenten genug Geld haben, andere Dinge zu kaufen. Förderungen werden nach Fläche ausbezahlt, das heißt der in der Ebene kriegt am meisten. Es gibt Ackerbauern, die 150, 160 Hektar bewirtschaften und fast nicht davon leben können. Das ist absurd: wenn der schon nicht von seinen Produkten leben kann, wer soll es denn dann schaffen? Man könnte die Förderungen zum Beispiel so umstellen, dass Arbeitsplätze gefördert werden. Wenn eine Familie zwei Arbeitsplätze hat, die erhaltenswert sind, dann fördert man die Menschen, die dort arbeiten, und nicht die Fläche.

In „Alpenland“ wird eine Bergbauernfamilie im Mölltal gezeigt, ansonsten beschäftigen Sie sich darin mit Tourismus, Landflucht, Klimawandel. Standen die Drehorte und Themen von Beginn an fest oder gehen Sie auf der Recherche auch unerwartete Wege?
Wir hatten eine lange Recherchephase, bevor wir angefangen haben zu drehen, und haben uns überlegt, welche Orte interessant sein könnten. Für den Alpenraum braucht man einen internationalen Zugang. Auf den Ort der Messerproduzenten in Italien kamen wir durch einen Tipp von einem Bekannten. Bei anderen Schauplätzen haben wir im Vorhinein recherchiert, sind hingefahren und haben versucht, Leute zu finden, die sich uns gegenüber öffnen. Dokumentarfilm ist immer ein Sich-auf-den-Weg-machen und schauen, was passiert. Natürlich hat man bestimmte Bilder im Kopf und ein Konstrukt. Ich weiß, welche Fragen ich bei den Gesprächen stelle, aber in jedem Interview gibt es interessante Wendungen, an die ich vorher nicht gedacht habe. Jedes Gespräch ist ein kleines Abenteuer und das ist ja auch das Schöne.

Auch der Präsident von CIPRA Deutschland, also der Alpenschutzkommission, kommt zu Wort und zeigt in Fotografien den Rückgang der Schneegrenzen und Gletscher auf. Der Wintertourismus ist kein Zukunftsmodell für den Alpenraum – was wäre eines?
Meine Erfahrung auf der Recherchereise war, dass überall – ob in den aussterbenden Dörfern oder den intensiv genutzten Gegenden wie Garmisch-Partenkirchen – die Einheimischen unter Druck kommen. In Sambuco in der Region Piemont fehlt die Infrastruktur, es gibt keine Geschäfte, kein Gasthaus, keine Schulen mehr. Andernorts, wie im französischen Méribel, verschwinden die Ärzte, in Garmisch, wo das alles vorhanden ist, gibt es keinen Wohnraum, weil die Preise so hoch sind. Axel Doering bringt ja auch das Beispiel einer Schneekanone, die den Ort so viel kostet, wie eine Sozialwohnung. Es ist an vielen Orten ein Verhältnis in eine Schieflage geraten. Es wird nicht bedacht, was für die Allgemeinheit wichtig ist. Man orientiert sich stark an den Bedürfnissen der Gäste. Ich bin bestimmt kein Gegner von Tourismus, aber man muss dafür sorgen, dass alles in einem Verhältnis steht, das funktioniert, vor allem für die, die das ganze Jahr vor Ort sind.

Und woran arbeiten Sie zur Zeit?
Wir konnten ein Projekt an dem wir gearbeitet haben, leider nicht finanzieren. Es setzt sich mit der Lebensrealität junger Menschen in dieser krisenhaften Gesamtgemengelage auseinander, Klimakrise, Krieg, Wirtschaft. Studien zeigen, dass die Depressionen steigen, 60 Prozent der Jungen haben Zukunftsängste. Es ist sehr schade, dass wir das nicht realisieren können, aber wir haben zwei Mail eingereicht, ein drittes Mal werde ich es nicht versuchen. Das andere ist das Thema Transport, ein internationaler Zugang, ein dreigeteilter Film. Ich möchte mit einem Containerschiff von Shanghai nach Hamburg fahren und einerseits die Fahrt dokumentieren. Die Containerschiffe fahren alle unter Billiglohnflaggen, die Flagge bestimmt über das geltende Arbeitsrecht an Bord. Deswegen fahren auch deutsche Reeder nicht unter deutscher Flagge, sondern unter der von den Philippinen, Panama oder Libyen. Im zweiten Teil würden wir einen oder eine Fernfahrerin ein paar Wochen durch Europa begleiten, und einen Paketzusteller bei seiner Arbeit in der Stadt. Die Menschen sollen im Fokus stehen. Das Thema betrifft jeden, weil wir alle bestellen, aber es ist ein völlig unterbelichteter Arbeitsbereich.


Robert Schabus wurde 1971 in Förolach, Kärnten, geboren und studierte Pädagogik, Philosophie und Medienkommunikation an der Universität Klagenfurt. Seit Ende der 1990er Jahr ist er als Filmemacher tätig, zu seinen bekanntesten Werken zählt „Mind the Gap” (2019), in dem er der Frage nachging, warum immer mehr Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und das Vertrauen in die Politik verlieren, sowie „Bauer unser” (2016). 2020 ließ er im Kurzfilm „Ab:stand“ Menschen aus der Kunst- und Kulturszene mit ihrer Sicht auf Lockdown, Distanz und die eigene Sterblichkeit zu Wort kommen, heuer erschien mit „Alpenland“ ein Porträt des Alpenraums.


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