Culinarium Alpinum

Von Dominik Flammer

Das „Kulinarische Erbe der Alpen“ hat in einem ehemaligen Kapuzinerkloster in Stans im Schweizer Kanton Nidwalden eine neue Heimat erhalten.

Das „Kulinarische Erbe der Alpen“ hat Ende August 2020 eine Heimat erhalten, zumindest was seine inhaltliche und professionelle Förderung anbelangt. Im ehemaligen Kapuzinerkloster im schmucken Innerschweizer Dörfchen Stans im Kanton Nidwalden ist nach fünfjähriger Planungs-, Aufbau- und Umbauzeit ein alpenweit einzigartiges kulinarisches Kulturzentrum entstanden. Ein Zentrum, das sich ausschliesslich mit der Vielfalt an Produkten, Rezepten, essbaren Pflanzen, Tierrassen und vor allem auch mit dem potentiellen Ausbau dieses Erbes beschäftigt. Als Musterbetrieb bietet die Gaststube – in Klöstern Refektorium genannt – unter Chefkoch David Zurfluh und Gastgeber Peter Durrer radikal lokal-regionale Küche an, ausschliesslich mit Produkten, die direkt von den Bauern und Produzenten eingekauft werden. Produkte, die auch im klostereigenen Laden angeboten werden. Betreiberin des Klosters ist eine unabhängige und nicht gewinnorientierte Stiftung, unter deren Dach Gastronomie und Hotellerie (das „Culinarium Alpinum“ verfügt über 14 Herbergszimmer von einer luxuriösen Schlichtheit) vereint sind, ebenso wie der von der Agronomin Nadine Degen geleitete Bereich der Schule, der Projekte und der Beratungsabteilung. Ein Bereich, der umfassende Weiterbildungen, Seminare, Themen-Zyklen und Vorträge anbietet. Und der gemeinsam mit seinen Partnern aus der Hotellerie, der Gastronomie, der Landwirtschaft, des biologischen Landbaus und der Forschung ein vielseitiges Programm auf die Beine gestellt hat, das vom Kurs über die Herstellung alpiner Würste bis zu Projekten zur Erforschung der künftigen Schweizer Regionalfrühstücke eine breite Palette an Themen beinhaltet, die der Förderung der alpinen Regionalkulinarik dienen.

Seinen Ursprung hat dieses Projekt in den Büchern über das „Kulinarische Erbe der Alpen“, die in dieser Publikation bereits vorgestellt wurden. Als Autor dieser Bücher wurde ich vor bald sechs Jahren angefragt, ob ich mir vorstellen könnte, diese Thematik künftig auch breiter zu vermitteln und dafür in einen Wettbewerb zur Umnutzung eines stillgelegten Klosters einzusteigen. Dank der Unterstützung des St. Galler Immobilienentwicklers Johannes Senn, einer Handvoll namhafter Gründerstifter und dank der ebenso großzügigen Unterstützung des vom im St. Galler Rheintal gebürtigen Industriellen Stephan Schmidheiny und seiner Stiftung Avina ist es gelungen, den Kanton Nidwalden von unserem Projekt zu überzeugen. Gönner, Investoren, Sponsoren und private wie auch staatliche Förderer haben dazu beigetragen, dass das Kloster für viele Millionen Franken innerhalb von zwei Jahren komplett umgebaut werden konnte. Große Unterstützung hat das Projekt auch von der auf Steinverkleidungen von Küchen spezialisierten österreichische Firma Strasser Steine aus St. Martin im Mühlviertel erhalten, die sich auf alpine Steine spezialisiert hat.

Entstanden ist nicht nur ein prächtiges Zentrum für die alpine Kulinarik, sondern ein paradiesischer Ort, an dem das Wissen und das Können von Verbänden und Organisationen zusammengeführt wird. So dass Landwirte, Gastronominnen und Touristiker interdisziplinär zusammenarbeiten können, um das Profil der Kulinarik, der Produkte und der Gastronomie mit lokalen, regionalen und nachhaltigen Produkten weiterzuentwickeln und daraus auch möglichst viele innovative Ideen zu schöpfen. Nebst einer umfassenden Seminar- und Schulungsinfrastruktur mit einer prächtigen Schulküche, einem ehrwürdigen Klostersaal und unzähligen Seminar- und Schulzimmern präsentiert sich das „Culinarium Alpinum“ auch als Heimat für die erste „Essbare Landschaft“ der Schweiz. Eine Idee, die vom österreichischen Permarkultur- und Obstspezialisten Siegfried Tatschl in Kirchberg am Wagram bereits realisiert worden ist und die hier gemeinsam mit ihm nun auch in der Schweiz umgesetzt wird. Im März und im April wird der Garten bepflanzt, so dass schon in wenigen Monaten für Besucherinnen und Besucher ein einzigartiger Naschgarten vorhanden ist. So dass die Partner des „Culinarium Alpinum“ hier auch Kurse durchführen und beispielsweise Köche in der Vielfalt der Beeren und ihrer Nutzung in der Küche schulen können. Ein Projekt, das darauf zielt, auch die Gemeinde und die Dorfbevölkerung mit speziellen Anlässen, Spalierkursen und der Verteilung von Setzlingen dazu motiviert werden soll, sich an dieser „Essbaren Landschaft“ zu beteiligen, so dass in Stans das erste „Essbare Dorf“ der Schweiz entsteht.

Eine Heimat hat im Kloster auch der Alpsbrinz erhalten, der älteste dokumentierte
Alpkäse der Schweiz, der zur Familie der Extrahartkäse gehört. Als reiner Rohmilchkäse verfügt dieser extraharte Käse, der nur noch auf acht Alpen der Innerschweiz hergestellt wird, über einzigartige Qualitäten und hat den Ruf, der König unter den Schweizer Alpkäsen zu sein. Im Klosterkeller reifen seit einigen Monaten Käse von allen Sbrinzalpen, die ältesten unter ihnen sind bereits fünfjährig. Ziel ist es, diesem einst in viel größeren Mengen produzierten Käse eine Zukunft zu bieten, indem seine Geschichte nicht nur erzählt, sondern auch lebendig präsentiert wird.

Sind bis heute vor allem schweizerische Organisationen wie der Wirteverband (GastroSuisse), die Hotelleriesuisse, die Sortenorganisationen ProSpecieRara und Fructus, die Biobauern der Innerschweiz, die Conditorei- und Bäckereifachschule Richemont aus Luzern, der Schweizer Kochverband oder auch die Demeter-Organisation als Partner beteiligt, erhoffen sich die Initianten und Betreiber künftig auch Partnerschaften mit Verbänden und Berufsorganisationen aus den Nachbarländern. Mit dem Ziel, das kulinarische Erbe der Alpen über die Grenzen hinaus zu fördern und damit vor allem die Regionalküchen, die an keinen Bundesland- oder Landesgrenzen halt machen, sondern sich in ihren Regionen länderübergreifend entwickeln. Damit künstliche Grenzen überwunden werden und sich die Vielfalt an regionalen Koch- und Kulinariktraditionen weiterentwickeln kann und nicht in nationalpolitischem Patriotismus quasi erstickt. So wie Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland zu einer skandinavischen Küche gefunden haben, soll der Alpenraum auch seine gemeinsamen Werte und seine ungeheure Vielfalt mit vereinter Kraft weiterentwickeln. Denn wenn die Alpen auch ein Hort kleiner Nationen sind, so sind sie doch ein zusammenhängender Kulturraum mit ungemein vielen Parallelen, die es zu entdecken und zu fördern lohnt. 

Weiterführende Informationen unter:
culinarium-alpinum.ch

Dominik Flammer ist Autor und Ernährungsforscher. Seine Bücher gehören zu den Standardwerken über die alpine Kulinarik, insbesondere die vielfach preisgekrönten Bände, die unter dem Titel „Das kulinarische Erbe der Alpen“ erschienen sind. Flammer ist Initiator und Master Mind des „Culinarium Alpinum“. Dieses Kompetenzzentrum für alpine Regionalkulinarik hat am 6. August 2020 nach fünfjähriger Planung seine Tore geöffnet und sich innerhalb kurzer Zeit zum führenden Bildungszentrum für alle Organisationen entwickelt, die sich mit der alpinen Regionalkulinarik und ihrer gesamten Wertschöpfungskette beschäftigen.


Teilen auf:
Facebook Twitter