„Da zahlt sich die rechte Tasche in die linke“

Herbert Ritsch, Foto ORF/Mirela Jasic

Grüne Geldanlagen boomen, insbesondere in Europa. 80 Prozent der Investments, die in nachhaltige Geldanlagen flossen, stammen laut dem Analyseunternehmen „Morningstar“ aus europäischen Staaten. Die strategischen Weichenstellungen zum „Green Growth“ – wie zum Beispiel die „Economic Social Governance“ (ESG) Kriterien – sollen bewirken, dass Investments in umweltfreundliche und zukunftsfähige Branchen und Unternehmen fließen. Doch es ist nicht alles grün, was glänzt. Wirtschaftswissenschaftler Herbert Ritsch überprüft und erforscht, ob grün etikettierte Finanzprodukte tatsächlich den ESG-Kriterien entsprechen. Von Sarah Kleiner

Sie setzten sich kürzlich für die Arbeiterkammer Steiermark in einer Studie mit Lebensmittelspekulation auseinander. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Ich habe einerseits alle namhaften NGOs um Informationen angefragt und zahlreiche Interviews mit Ratingagenturen geführt, um zu hinterfragen, wie sie an Nachhaltigkeitsbewertungen bei der Nahrungsmittelindustrie herangehen, nämlich aus Sicht der ESG-Kriterien. Mein Zugang war einerseits zu überprüfen, was aus den Forderungen aus der Zeit der Finanzkrise von 2007 und 2008 wurde. Damals gab es gesetzliche Vorhaben, wie man mit Derivaten umgehen soll, wie man sie limitieren kann zum Beispiel. Es wurde auf EU-Ebene der Wertpapierhandel und die Organisation der Marktstruktur durch die Richtlinie MiFID II stärker reguliert, also es wurden Vorschriften eingerichtet, wie man als Händler veranlagt, wie sehr man das Bewusstsein zu den Konsumenten holt, dass sie risikoreich veranlagen, wie dokumentiert und vorgegangen wird. In diesem Paket wurde auch das Positionslimit für Derivate verabschiedet, das 2018 in Kraft trat. Damals war das ESG-Thema noch nicht so groß, deshalb wollte ich das auch unter dieser Perspektive beleuchten.

Sie beschreiben in der Studie, wie sich der Markt für Nachhaltigkeitsratings in den vergangenen Jahren internationalisiert und diversifiziert hat. Im Gegensatz zum Kapitalmarkt sind die Kriterien aber undurchsichtig und die Ratings unterscheiden sich.
Wir haben am Kapitalmarkt ein Oligopol, Moodys, Standard & Poors, Fitch – einige wenige Ratingagenturen dominieren den Markt. Die Korrelation der Ratings dieser Agenturen ist sehr hoch, sie unterscheiden sich nur in Nuancen, während das bei den Ratings zur Nachhaltigkeit stark auseinandergeht. Die eine Agentur kommt auf ein Triple A-Rating, die andere erkennt den Worst Case, also Triple B. Früher war es überschaubarer, weil die Agenturen kleiner waren und transparent arbeiteten.

Die Agenturen bräuchten also selbst ein Rating darüber, wie viel Bestand ihre Ratings haben.
Die EU hätte vor zehn, fünfzehn Jahren eine eigene unabhängige Agentur gründen können, die transparent Ratings vergibt. Das wurde aus der Hand gegeben, es bestimmen heute allen voran Agenturen mit Sitz in Amerika. Die Ratings sind deswegen so entscheidend, weil der Fluss des Geldes – auch der Zukunft – jetzt durch diese Weichenstellung bestimmt wird. Die Nahrungsmittelindustrie ist natürlich bemüht, gute Ratings zu bekommen.

Wie viel Konsistenz haben die Ratings für die Lebensmittelindustrie?
Die Agenturen geben zwar gute Ratings für die Nahrungsmittelindustrie ab, aber es ist die Frage, ob diese Konzerne wirklich nachhaltig sind. Nehmen wir die Lagerhaltung. Lebensmittel werden ja aus verschiedenen Gründen gehortet oder zurückgehalten, was eigentlich unredlich ist, aber es wird nicht kontrolliert. Keine Ratingagentur konnte mir sagen, in welchem Ausmaß die Lagerhaltung bei den einzelnen Unternehmen ausgeprägt war. Das ist nicht von Interesse. Auch die Verwendung von Pestiziden in der Lebensmittelproduktion oder Düngemitteln oder die Arbeitsverhältnisse werden nicht kritisch bewertet. Ein weiterer Punkt ist die Eigentümerstruktur. Die Kontrolle über die Nahrungsmittelindustrie haben die großen Fonds- und Investmentgesellschaften.

Sie schreiben, die Investmenthäuser BlackRock, Fidelity, State Street und Vanguard besitzen im Durchschnitt 30 Prozent der Anteile an den größten Lebensmittelkonzernen.
Ja, und das heißt 30 Prozent der echten Schwergewichte, also der ABCD-Konzerne (Archer Daniels Midlands, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus, Anm.), die wiederum 70 Prozent des Weltmarkts ausmachen. Das heißt die Investmenthäuser haben massiven Einfluss. Natürlich haben sie eine Empfehlung für diese Lebensmittelunternehmen, da sie ja selbst Eigentümer sind. Und sie verdienen doppelt, einerseits durch die Aktie und die Kurssteigerung, anderseits durch die Dividende. Da zahlt sich die rechte Tasche in die linke. Und wie man herleiten und belegen kann, bestimmen diese Unternehmen bei Hungerkrisen, hohen Lebensmittelpreisen, Inflation, schwierigen politischen Gegebenheiten oder sozialen Unruhen, welche Länder in Schwierigkeiten kommen und welche nicht. Ein Beispiel dafür ist der Arabische Frühling, der durch eine Lebensmittelknappheit und daraus resultierende soziale Unruhen befeuert wurde.

Ist denn aktuell allein der Ukraine-Krieg für die steigenden Lebensmittelpreise verantwortlich?
Ein Sammelsurium von vielen Faktoren spielt hier mit, das macht das Ganze sehr komplex. Nicht nur Erdöl- oder Erdgaspreise sind mitverantwortlich, die ja auch für die Produktion von Düngemitteln gebraucht werden, sondern es ist auch der Kapitalmarkt, die Oligolpolstellung im Lebensmittelbereich. Auch die Lagerhaltung ist ein großes Thema, hier spielt vor allem China eine Rolle. Die Preise der Lebensmittel wurden schon vor der Ukrainekrise gepusht, weil China Lebensmittel zurückhält und dem Markt nicht zur Verfügung stellt.

Eine Erkenntnis der Studie ist eine notwendige Restrukturierung des Lebensmittelmarkts durch die Aufhebung der hohen Marktkonzentration, die Reduktion des Einflusses großer Investmentbanken, mehr Transparenz und Kontrolle. Was könnte der Spekulation noch einen Riegel vorschieben?
Die ESG-Ratings müssten transparent und nachvollziehbar sein. Eine Agentur hat sogar auf mehrmalige Nachfrage hin nicht ihr Rating bekannt gegeben, das war das Moodys ESG-Rating. Die Offenlegung der Rating-Methode und die Berücksichtigung kritischer Maßnahmen, wie zum Beispiel der Lagerhaltung, sind entscheidend. Der „storage“ ist nicht transparent, es gibt keine Informationen darüber. Plus Transparenz im Derivatebereich und voller Fokus, wenn das Investitionsvolumen im Bereich der Futures wächst, gerade bei kritischen Commodities, also nicht nur Lebensmitteln, sondern zum Beispiel auch bei seltenen Erden.

Inwieweit spielen Futures bei der Lebensmittelspekulation eine Rolle?
Natürlich stellen die Futures einen Treiber dar, aber sie sind nicht alleine das Problem. Futures haben die wichtige Aufgabe, dem Markt Liquidität zur Verfügung zu stellen. Das Problem bei den Futures ist aber, dass egal, ob mit Lebensmitteln, Rindfleisch, Weizen, Metall, einer Aktie oder einer Währung gehandelt wird: es wird alles gleich gewertet. Wenn der Preis vermutlich steigt, wird gekauft, um den Profit im Portfolio zu optimieren – ganz egal, ob dahinter Staaten stehen, die ein Lebensmittel gerade brauchen. Die moralische Grenze zwischen den einzelnen Gütern im Derivatebereich ist gleichgeschaltet. Sobald man auf die Einzeltitelebene, die Basiswerte kommt, wird es moralisch, dann spricht man von Unternehmen, Staaten und einem Werteschema. Die Frage wäre: Was ist ein nachhaltiges, ein ESG-Futures-Geschäft? Der Terminus widerspricht sich derzeit noch. Wenn man über die Wertigkeit von Finanzprodukten spricht, müsste diese aber auf allen Ebenen gelten.


Dr. Herbert Ritsch war nach Abschluss seines Studiums an der Wirtschaftsuniversität Wien in der Finanzbranche unter anderem in den Bereichen Portfolio- und Risikomanagement tätig. 2016 wurde er Direktor für Wirtschaftsethik bei der Bank Schelhammer & Schattera und später Geschäftsführer der Tochterfirma Aquinas Beratungs GmbH. Seit 2021 ist er akkreditierter Prüfer des österreichischen Umweltzeichens für Finanzprodukte (UZ-49). Mit seiner Firma ESG Solutions berät er Unternehmen und Investoren bei der nachhaltigen Geldanlage. Herbert Ritsch ist „EESC Advisor“ für das „European Economic and Social Committee“ der EU und Autor zahlreicher Bücher und wissenschaftlicher Publikationen. esgsolutions.at


Teilen auf:
Facebook Twitter