Der Dorfladen als multifunktionaler Kitt
Von Karlheinz Pichler
Aktuell liefern deutsche Studien stichhaltige Belege dafür, dass die Nahversorgung mit Lebensmitteln in Gemeinden ein wesentliches Kriterium für die Wohnungssuche und den Zuzug darstellt. Umgekehrt lässt das Fehlen der Nahversorgung die Ortskerne schrumpfen und die Attraktivität der Gemeinden schwinden. In einer Forderung der österreichischen Wirtschaftskammer zur Erhaltung der Nahversorgung werden die regionalen Lebensmittelhändler denn auch als die „Seelen- und Humangärtner“ der Gemeinden bezeichnet. Wobei die Forderung nach einer Stärkung des Bewusstseins für Nahversorgung vor allem auch mit der Sicherung der persönlichen Lebensqualität begründet wird. Groß geschrieben wird in diesem Zusammenhang die soziale und kommunikative „Integrationsfähigkeit aller Bevölkerungsgruppen“ durch Nahversorgung. Eine intakte Nahversorgung reduziert zudem das Verkehrsaufkommen, wie verschiedene Verkehrsclubs in Untersuchungen nachgewiesen haben.
Von all diesen Dingen wusste der Feldkirch-Pionier Julius Schedel bereits, als er 2008 in Vorarlberg den Verein „Dörfliche Lebensqualität und Nahversorgung“ aus der Taufe hob, ohne dass er dafür statistisches Zahlenmaterial benötigt hätte. Als Betriebsökonom und Organisationsberater hatte Schedel schon zuvor als Mitträger vieler sozialer Projekte enge Kontakte zu den Gemeinden geknüpft und erkannte rasch die strukturellen Probleme der Dorfläden – und dass ziemlich viel auf dem Spiel stand. Im „Dorfladen“ sah er in der Folge das zentrale Instrument, um die Nahversorgung zu gewährleisten und das Dorfgeschehen neu zu beleben. Schedel erkannte, dass Dorfläden Begegnungsorte sein sollten, an denen die Dinge des täglichen Bedarfs erhältlich sind und darüber hinaus auch der Austausch und die Kommunikation der Bewohner gefördert wird. Als er 2014 die Geschäftsführung des Vereins „Dörfliche Lebensqualität und Nahversorgung“, der mittlerweile mehr eine Bewegung denn einen Verein darstellt, an seinen Nachfolger Karl-Heinz Marent übergab, hatten sich bereits fast die Hälfte der 96 Vorarlberger Gemeinden dem Verein angeschlossen. Mittlerweile ist auch das Land eingestiegen und zu einem wichtigen Förderer des Projekts geworden.
Ideell sehr hoch budgetiert
Heute frönt Julius Schedel, der in Sachen Ökologie und sozialem Zusammenhalt über viele Jahre eine charismatische Instanz war, dem Ruhestand. Aber er ist dem Verein nach wie vor mit Herzblut verbunden und Nachfolger Marent kommt ihn oft besuchen, um mit ihm den Austausch zu pflegen. Schedel verweist im Gespräch darauf, dass bei Projekten nach der Pionierphase häufig ein Einbruch erfolgt. Beim Verein hingegen sei eine klare Qualitätssteigerung entstanden, der Sprung von der Pionierphase in die Stabilisierungsphase gelungen. Das Vorhaben „Dörfliche Lebensqualität und Nahversorgung“ sei ideell nach wie vor sehr hoch budgetiert, ist Schedel seinen Nachfolgern dankbar.
Schedel-Nachfolger Karl-Heinz Marent, der in Bregenz eine Praxis für Organisations- und Personalentwicklung sowie für klinische und Gesundheitspsychologie betreibt und zudem als Lehrbeauftragter für Kommunikation an der Fachhochschule Vorarlberg in Dornbirn tätig ist, hat den Verein ganz im Sinne von Schedel weitergeführt und weiterentwickelt. Laut Marent gibt es mittlerweile 50 Dorfläden. 27 davon werden von Spar beliefert, 17 von Adeg und sechs von Wedl und Nah und Frisch. Die Läden werden vom Land, die eingebundenen Gemeinden durch die Nahversorgungsförderung unterstützt. Durch diese Fördermittel habe nicht nur das Ladensterben gestoppt werden können, sondern es seien sogar Wiedereröffnungen möglich, was sich gerade in der jetzigen Corona-Krise als vorausschauend und wichtig herauskristallisiert habe, so Marent.
Im Dorfladen wird wieder vermehrt eingekauft
Laut Marent haben die Dorfläden in den vergangenen Jahren stark an Zuspruch gewonnen. „Die Bürger kaufen wieder vermehrt im Dorfladen ein“, so der Geschäftsführer des Vereins. Damit sei auch die Kaufkraftbindung in den Dörfern gestiegen. Laut dem aktuellen Nahversorgungsbericht, den der Verein „Dörfliche Lebensqualität und Nahversorgung“ in regelmäßigen Abständen erhebt, konnte sie in den Jahren 2013 bis 2018 von 34,4 Prozent bis 38,1 Prozent gesteigert werden. Schwach sei die Kaufkraft jedoch in Gemeinden, die an die Zentralräume im Rheintal und im Walgau angrenzen. „Neueröffnungen von Diskontern und Einkaufszentren an wichtigen Verkehrsknotenpunkten machen auch dem besten Dorfladen zu schaffen. Hier bedarf es einer rücksichtsvollen und vorausschauenden regionalen Abstimmung der Raumplanung“, sagt Karl-Heinz Marent.
Die Dorfläden zählen zu den Nutznießern des Corona-bedingten Home-Office-Trends. Die Kaufkraft bleibt dadurch im Ort. Gemeinden wie Warth oder Damüls allerdings, die stark vom Tourismus abhängig sind, haben durch die Pandemie mit Einbrüchen von über 50 Prozent zu kämpfen.
Treffpunkt Dorfladen
In rund 30 Vorarlberger Gemeinden stellt der Dorfladen die letzte infrastrukturelle Einrichtung dar. Vielerorts sind Gewerbebetriebe verschwunden, ist die Gastronomie weggebrochen. Neu entstehende Dorfläden werden daher von Vornherein als Multifunktionsläden geplant, in denen neben dem Verkauf von Waren auch Begegnung stattfinden kann. Neben den Regalflächen, in denen viele einheimische Erzeugnisse – von gestrickten Wollsocken bis zum lokalen Schnaps und Käse – erhältlich sind, werden auch gastronomische Bereiche mit durchschnittlich acht Plätzen eingerichtet. So wurde es etwa im Dorfladen von Düns, der jahrelang als Vorzeigeladen diente, bereits Tradition, dass sich dort die Männer vor dem Mittag für einen Umtrunk und Diskussionen treffen. Vor allem für ältere Leute, deren Mobilität eingeschränkt ist, können die Dorfläden zu einem wichtigen sozialen Treffpunkt werden.
Der Verein führt zur Eruierung von Bedürfnissen neben Befragungen auch Bürgerstammtische durch, die in der Regel stark besucht werden. Bei vielen dieser Bedürfnisse handelt es sich gemäß Marent um Dienstleistungen, die nicht immer kostendeckend angeboten werden können. Hier gelte es auch Leistungsvereinbarungen mit der Gemeinde zu erarbeiten, die von dieser finanziell mitgetragen würden, so Marent, der hier etwa Öffnungszeiten, Warenzustellung oder Bankomatfunktionen als Beispiele
anführt. Viele Bürgermeister haben mittlerweile verstanden, wie wichtig Dorfläden auch außerhalb ihres Kern-Geschäfts Lebensmittelhandel sind. Um die Dorfläden als Zentren für Austausch und Begegnung weiter auszubauen, will der Verein künftig auch die Nutzung sozialer Medien wie etwa Instagram oder Facebook forcieren. Dadurch soll der Kontakt zwischen Konsumenten und Dorfladen gefördert und potenzielle neue Kunden, auch jüngere, angesprochen werden.