Der Faden der Ariadne

Von Jutta Nachtwey
Foto: In der Kampagne für die Merino-Kollektion – zu 100 % traceable – stehen die vierbeinigen Wolllieferanten gleichberechtigt den Models gegenüber, die die gestrickten Endprodukte im urbanen Umfeld Stockholms präsentieren. Foto Asket
Das Stockholmer Modelabel Asket setzt voll und ganz auf Transparenz und Traceability. Die Geschichte hinter der Herstellung wird dabei zu einem authentischen Bestandteil der Outfits.
Der Black Friday ist bekanntlich der Tag des weltweiten Konsumrausches. Wer sich an diesem Datum auf die Website des Stockholmer Männermode-Labels Asket begibt, steht allerdings vor verschlossenen Online-Shop-Türen. Als es diese Aktion 2017 startete, riet es den Besuchern, lieber mal nachzudenken, was im Leben wirklich wichtig ist. 2018 blockierte die Marke am Black Friday ihren Online-Shop mit einem Garment Care-Portal und legte dem User nahe, statt neue Klamotten zu kaufen, lieber die alten auf Vordermann zu bringen. Auch der Stockholmer Showroom verschrieb sich am Black Friday ganz und gar der Reparatur: Der Kunde konnte dort im «Clothing Spa & Repair Shop» auch andere Kleidungsstücke wieder auffrischen lassen.
Mit dieser Aktion macht Asket die eigene Haltung unmissverständlich klar – „ending the era of fast consumption“ ist ihr Leitmotiv. Statt in immer schnellerem Tempo immer neue Kleider anzuschaffen, die nach ein paar Wäschen hinüber sind, sollte man nach Ansicht der Gründer August Bard Bringéus und Jakob Dworsky lieber weniger und dafür hochwertigere Kleider kaufen. Denn laut Forschungsinstitut Mistra Future Fashion können die Umweltauswirkungen eines Kleidungsstücks fast halbiert werden, wenn es doppelt so lange getragen wird. Zu diesem Zweck stellt Asket zeitlos schlichte Basics her und verwendet dabei hochwertige Materialien, die einen längeren Lebenszyklus garantieren.
Bringéus und Dworsky, beide Betriebswirtschaftler, arbeiteten in den Bereichen Management Consulting und E-Commerce, bevor sie 2015 über eine Kickstarter-Kampagne die Produktion eines T-Shirts initiierten, das unter verantwortungsvollen Produktionsbedingungen hohe Qualität zu einem realistischen Preis bieten sollte. Die Resonanz war so positiv, dass sie begannen, weitere Basics herzustellen. Dabei erkannten sie schnell, dass es aufgrund der fragmentierten Wertschöpfungskette äußerst schwierig ist, vom fertigen Produkt ausgehend rückwirkend Informationen über die Herkunft der Materialien und deren Weiterverarbeitung zu erhalten. Deshalb begannen sie von nun an, bei der Entwicklung neuer Produkte die Wertschöpfungskette von Grund auf selbst zusammenzubauen.
Bei der Wahl der Materialien, Verarbeitungsweisen und Partnerfirmen setzen sie statt des sinnentleerten Begriffs der Nachhaltigkeit auf „Verantwortung“, sowohl gegenüber der Natur als auch gegenüber den Menschen, die an der Produktion beteiligt sind. Während viele große Unternehmen oftmals nur ein winziges Detail auf Umweltschutz ausrichten und sich damit als vorbildlich ökologisch präsentieren, berücksichtigt Asket die gesamte Produktionskette – und denkt auch über die Endprodukte hinaus: bis Ende 2020 sollen sie kreislauffähig sein.
Je tiefer die beiden in die Strukturen der Fashion-Industrie eintauchten, desto klarer wurde ihnen, dass sich die Qualitäten ihrer Kleidungsstücke nur durch absolute Transparenz vermitteln ließen. Deshalb beschlossen sie 2018, ihre Produkte voll und ganz auf Traceability auszurichten. Die gesamte Kollektion soll bis Ende 2020 zu 90% rückverfolgbar sein und langfristig zu 100%.
In jedem Kleidungsstück ist ein entsprechendes Etikett eingenäht – quasi die Short Story aller Arbeitsschritte. Auf der Website kann sich der Kunde die Long Version anschauen: Fotos und Texte geben Auskunft zu den jeweiligen Firmen – ob australische Merino-Wollfarm, italienische Strickfabrik oder portugiesische Näherei. Hier findet man auch Angaben zu Arbeitszeit und Lohn. Für jedes Produkt legt Asket zudem die Kalkulation offen und listet jeweils die Kosten für Arbeit, Material und Transport. Ihr Ziel ist es, mit gutem Beispiel voranzugehen und die gesamte Branche zu Transparenz und Traceability anzustiften.
Natürlich bedeutet Rückverfolgbarkeit per se nicht, dass alles für die Umwelt perfekt ist. Aber Asket geht auch hier mit gutem Beispiel voran: Die Marke arbeitet kontinuierlich daran, die Auswirkungen für die Umwelt zu minimieren. In Kooperation mit dem schwedischen Forschungsinstitut RI.SE ermitteln sie derzeit die vollständige Ökobilanz ihrer Kollektion. Dabei werden CO2-Emissionen, Wasser- und Energieverbrauch gemessen – von der Quelle aller Materialien über Produktion und Versand bis hin zur gesamten Produktnutzungsphase. Die Ergebnisse wird Asket auf seiner Website präsentieren.
Die absolute Offenheit auf allen Ebenen sorgt unterm Strich für treue, loyale Kunden. Sie tragen diese Kleider mit dem Wissen um ihren Wert und ihre wahre Geschichte. Asket bietet quasi den Faden der Ariadne, der durchs labyrinthische Dickicht der Fashion-Industrie bis zum Ursprung des jeweiligen Produkts führt. Der zu 100% rückverfolgbare Merino-Pullover ist über die Website zudem quasi mit Erinnerungen aufgeladen – bis zurück zur Schafherde, die von Alpacas gehütet über die endlosen Weiden strich. Diese Verbundenheit sorgt dafür, dass man einen solchen Pullover nicht achtlos in den Altkleidersack stopft, sondern ihn stattdessen respektoll hütet. Eigentlich ist diese moderne Art der Askese, die Asket propagiert, also alles andere als Verzicht!
Warum ist es so mühsam, für Transparenz zu sorgen?
In bestehenden Lieferketten fürchten manche Unternehmen, dass dadurch Konkurrenz entsteht. Wenn sie beispielsweise ihren Garnlieferanten preisgeben, könnte man dort das Garn zu günstigeren Konditionen direkt einkaufen – aber darum geht es uns eben nicht. Nur wenn der Konsument die ganze Geschichte seines Kleidungsstückes kennt, kann er die Komplexität verstehen. Das kann dazu beitragen, dass er sich, wenn er das nächste Mal zu H&M geht, fragt, wie es sein kann, dass ein T-Shirt nur 5 Euro kostet.
Eure Kleider sind also nicht nur zum Anziehen, sondern vor allem auch zum Nachdenken da?
Wir wollen so eine Art trojanisches Pferd sein. Das Produkt selbst soll durch seine Schlichtheit und Langlebigkeit den Kaufanreiz bieten, aber eigentlich bewirkt es, dass der Konsument ein anderes Bewusstsein entwickelt: Wir helfen ihm, den inhärenten Wert jedes Kleidungsstückes zu verstehen und die Auswirkungen seiner Entscheidungen besser abzuschätzen. Man kann es auch so beschreiben: Das Produkt ist nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Entscheidet sich der Kunde für das Produkt, entscheidet er sich zugleich für das zugrunde liegende Wertesystem – das einen wahren Wandel in der Fashion-Industrie ermöglicht.
Welche Rolle spielt das eingenähte Label dabei?
Es zeigt, dass die Branche sonst nur einen winzigen Ausschnitt preisgibt, wenn sie etwa „Made in Bangladesch“ draufschreibt. Unser Etikett soll dazu einladen, die ganze Geschichte unserer Produkte auf unserer Website zu verfolgen – und dabei gleichzeitig das Bewusstsein über die eigene Rolle zu erweitern: Jeder kann den Wandel selbst vorantreiben!
August Bard Bringéus,
Mitgründer des Modelabels Asket. Foto Asket