Der Himmel gehört uns allen
Milchstraße, Stonehenge, 2019. Foto Sebastian Voltmer
Von Anna Greissing
Seit Jahrhunderten blickt die Menschheit auf den gleichen Sternenhimmel. Viele der uns bekannten Sternbilder wurden schon in den antiken Kulturen mit Namen getauft, verehrt und in Mythen interpretiert. Die Geschichte der Astronomie ist so alt wie die der Menschheit selbst. Das Weltall beflügelt seit jeher Fantasie und Entdeckergeist der Menschen. Als Orientierung für die Seefahrer und als visuelle Grenzen eines sonst unvorstellbar endlosen Universums gehören die Gestirne damit zu den fundamentalen Referenzpunkten unseres Kulturerbes.
Doch seit einigen Jahren schon wird es zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit immer schwieriger, den Sternenhimmel zu beobachten. Grund dafür ist die seit Jahren voranschreitende globale Lichtverschmutzung und neuerdings auch das vermehrte Einbringen von Satelliten ins All vor allem durch private Groß-Unternehmen. Was diese doppelte Lichtverschmutzung für Mensch und Tier bedeutet, und was wir verlieren, wenn der Sternenhimmel verschwindet – darüber hat Anna Greissing mit dem deutschen Astro-Fotografen, Dokumentarfilmer und Filmkomponisten Sebastian Voltmer gesprochen.
Die Lichtverschmutzung, also die Überlagerung von natürlichem Licht durch Kunstlicht, nimmt vor allem in den industrialisierten Ländern seit Jahren kontinuierlich zu. Wie wirkt sich Lichtverschmutzung auf uns Menschen und Tiere aus?
Wir wissen mittlerweile von vielen Studien, dass vor allem helles kaltweißes Licht, das ohne Blendschutz in die Umgebung strahlt, stark negative Einflüsse auf das Leben vieler Tier- und Pflanzenarten, aber auch auf den Menschen hat. Viele Vögel und nachtaktive Tiere, vor allem aber Insekten leiden unter zu starker oder allgegenwärtiger Beleuchtung. Starke Lichtquellen wirken dabei wie eine Anziehungs-Schneise, die Insekten verlieren ihre Orientierungsfähigkeit; Nahrungssuche, Paarung und Entwicklung der Tiere wird nachhaltig gestört und hat in den letzten Jahren zu einem massiven Insektensterben geführt. Bekannt ist außerdem, dass sich bestimmte Vögel bei ihren Flügen am Sternenhimmel orientieren. Bäume reagieren auf Kunstlicht mit einem verfrühten Austrieb. Beim Menschen führt zu viel Licht mit einem höheren Blauanteil zur Unterdrückung des Schlafhormons Melatonin und dadurch häufig zu Schlafstörungen.
Was können Staaten, Unternehmen und jeder Einzelne tun, um die Lichtverschmutzung zu reduzieren?
Einige Länder und Gemeinden reagieren bereits auf die Problematik (wenn auch noch lange nicht ausreichend), etwa mit alternativen Beleuchtungsmodellen. Auch zu Hause kann man darauf achten, Licht nur dorthin auszurichten, wo es auch gebraucht wird, d.h. eine Beleuchtung von oben nach unten. Bewegungsmelder sind sinnvoll, weil sie das Licht – ungenutzt – jeweils abschalten. Und dann ist da noch der Aspekt Farbtemperatur. Besonders geeignet ist das behaglich warme Licht von Amber-Leuchtmitteln.
Generell sollten noch viel mehr Menschen das Bewusstsein dafür entwickeln, was ein Zuviel an Licht bewirkt. Hier gibt es sinnvolle Initiativen, wie zum Beispiel das Projekt „Paten der Nacht“, das Vorreiter-Unternehmen vorstellt, die ihre Beleuchtung zu Gunsten von Nachhaltigkeit und Kostenersparnis umstellen. Oder Projekte, bei denen sich Naturschützer, Tourismus-Fachleute und PolitikerInnen für eine natürliche Nacht einsetzen und Straßen- und Sportplatzbeleuchtungen entsprechend umrüsten. Zusätzlich gibt es Institutionen wie die „International Dark-Sky Association“ (IDA), die spezielle Gebiete zu Lichtschutzgebieten oder „Sternenparks“ deklariert: so genannte Dark-Sky-Gebiete, die von Wissenschaftlern, aber auch touristisch für Nachthimmel-Erlebnisse genützt werden können. Dort ist noch ein weitgehend natürlicher Sternenhimmel zu erleben, wie ihn bereits die Menschen uralter Kulturen aufzeichneten.
Zusätzlich zur Lichtverschmutzung, die von der Erde aus gegen den Himmel strahlt, kommen nun seit ein paar Jahren künstliche Lichtquellen „von oben“ in Form von Satelliten hinzu, die durch das Weltall fliegen. Welche Gefahren gehen von der steigenden Anzahl an Satelliten aus?
Das von Großunternehmer Elon Musk betriebene private Raumfahrt- und Telekomunternehmen SpaceX ist einer der weltweit größten privaten Satellitenhersteller und -betreiber. Seit Februar 2018 schießt das Unternehmen Satelliten ins All, aktuell zwei Mal 60 Satelliten pro Monat, für 12.000 Starlinks hat er bereits die Lizenz, in einer weiteren Ausbaustufe sollen es sogar 42.000 werden. Dies alles mit dem offiziellen Ziel, weltweiten Internet-Zugang für alle zu ermöglichen. Tatsächlich geht es hier neben der Privatisierung einer Dienstleistung vor allem um die geplante Kolonialisierung des Mars bzw. um militärische Interessen. Neben SpaceX gibt es noch zahlreiche weitere Unternehmen, die die Ressource Weltraum kommerziell nutzen wollen. Ähnliche Projekte werden z.B. von OneWeb, Amazon und anderen kapitalkräftigen Unternehmen aufgebaut.
Ein großes Problem ist hier die Anhäufung von Satelliten: Je mehr davon in die Erdumlaufbahn gebracht werden, desto größer wird das Risiko von Kollisionen. In der Vergangenheit gab es bereits Zusammenstöße, die zu Schrottwolken von mehreren Millionen kleineren und größeren Teilen führten, die nun wie Geschosse den Orbit umkreisen. Je öfter das passiert, desto eher stoßen Schrottteile mit anderen wichtigen Satelliten zusammen oder können gar die Internationale Raumstation ISS treffen, in der bekanntlich Menschen arbeiten. Wir könnten uns den Erdorbit zum Minenfeld machen, was die Raumfahrt irgendwann für lange Zeit unmöglich machen würde.
Wie wirkt sich die Existenz von Tausenden Satelliten im All auf die Astronomie aus?
Viele dieser Starlink-Satelliten sind in der Nacht am Himmel zu sehen: ein Netz aus sich schnell bewegenden Punkten, die wie Lichterketten den Nachthimmel durchkreuzen. Das stört natürlich die Arbeit von Astronomen, die durch die „normale“ Lichtverschmutzung bereits vielerorts beeinträchtigt ist. Oft kann man durch die Menge an Licht, die den Himmel aufhellt, kaum mehr Sterne oder die Milchstraße sehen. Wo bleibt da noch die Heimlichkeit, die Erhabenheit des Himmels, die bisher viele Menschen noch erleben konnten? Mit den Mega-Satellitenkonstellationen wird auch die jahrelange Arbeit, die wir als so genannte „Hüter der Nacht“ in Dark-Sky-Parks und Naturschutzreservate gesteckt haben, zunichtegemacht. Fortschritt bedeutet in diesem Kontext eine immer größere Distanz zur Natur. Noch wissen wir wenig über die Wechselwirkungen und möglichen Kettenreaktionen, die in Zukunft durch die Satelliten ausgelöst werden könnten.
Den besorgten Astronomen erwidert Elon Musk, dass man die astronomische Forschung doch ins Weltall verlagern könnte. Das aber würde einer Monopolisierung der Weltraumforschung durch einige wenige Organisationen gleichkommen, die mit Space-X zusammenarbeiten, wie der NASA. Und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Weltraumteleskope und GPS-Satelliten durch Zusammenstöße mit Starlinks zertrümmert werden.
Das eigentliche Problem von Satelliten-Mega-Konstellationen wie dem Projekt SpaceX sehe ich aber im Verlust unseres Kulturerbes Sternenhimmel.
Wem gehört eigentlich das Weltall? Gibt es Gesetze oder internationale Abkommen, die die Nutzung des Alls regeln?
Genau das ist das Problem. Der Himmel gehört niemandem bzw. der Himmel gehört uns allen. „The Night Sky belongs to all of us“ – das ist auch der Slogan der neuen Initiative „Saveournightsky“, zu deren Team ich selbst auch gehöre. Als ich eben vom Kulturerbe des Himmels sprach, war mir wohl bewusst, dass es offiziell keines ist. Leider. Es müssen Vorschriften und Gebote her, die die Nutzung des erdnahen Raums bzw. des Weltalls regeln. Sonst wird unser Himmel so ruiniert wie die vermüllten Ozeane. Die Folgen sind in ihrer Gänze noch gar nicht absehbar.
Als Astrofotograf agierst du an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst. Welchen Mehrwert bringt die künstlerische Beschäftigung mit einem wissenschaftlichen Thema? Und was verlieren wir aus deiner Sicht, wenn wir den Sternenhimmel nicht mehr sehen?
Der Himmel hat schon seit jeher die Kunst inspiriert. Aus dem künstlerischen Blickwinkel heraus erreiche ich weitaus mehr Menschen und kann sie – besser als in wissenschaftlichen Abhandlungen – dazu inspirieren, sich für die Wissenschaft und die Einmaligkeit unserer Natur zu begeistern. Mir ist die Teilhabe der Menschen am Erleben des Himmels äußerst wichtig. Das ist auch ein Anliegen meiner Arbeit im Bereich der Volksbildung, die ich u.a. über die inklusive Wanderausstellung „Space mit allen Sinnen“ umsetze. Ebenso wichtig ist die Teilhabe aller Menschen am Internet. Das muss aber nicht im Gegensatz zum Erhalt des natürlichen Nachthimmels stehen. Außerdem sei die Frage gestattet: Ist Internet wirklich an jedem Ort in der Wildnis notwendig? Gilt es da nicht vielmehr den Sternenhimmel zu wahren als eines unserer wichtigen Kulturgüter? Als besonderes Nacht-Erlebnis, das Menschen schon tausende Jahre vor uns genauso erleben durften? In dieser Welt der Sterne erlebe ich ein großes Geborgenheitsgefühl – ja, der Nachthimmel stellt für mich ein regelrechtes „Zuhause“ dar.
Mein Foto des abendlichen Sternenhimmels über dem UNESCO-Weltkulturerbe von Stonehenge ist für mich wie ein Symbolbild. Es zeigt die Milchstraße über den Steinkollossen, wie es die Menschen alter Kulturen erlebt haben dürften. Es stellt für mich nicht nur eine Verbindung zwischen dem schützenswerten Himmel zur Erde her, sondern auch zwischen dem Heute und den Menschen, die vor mehr als 4000 Jahren lebten.
Dr. Sebastian Voltmer ist Filmemacher und international ausgezeichneter Astrofotograf. Seit seiner Jugend tüftelt er an astrofotografischen Methoden,
womit er Bundespreisträger bei „Jugend forscht“ wurde. In seiner Dissertation „Fotografie als wissenschaftliches Argument“
forschte er an der Schnittstelle zwischen Medientheorie und Astronomie. Seit über 5 Jahren setzt er sich aktiv für die Bewahrung des natürlichen Sternenhimmels ein.
______________________________________________________________________________
Highlight. Tipp der Redaktion
STERNENBILDER
Sebastian Voltmer
14. August – 18. September
Bregenzer Galerie, Kirchstraße 29, Bregenz
www.galerie-bregenz.com
In dieser Ausstellung präsentiert der Künstler Handabzüge auf Ilfochrome, Unikate kosmischer Kompositionen, Langzeitbelichtungen auf Leinwand, sowie Aufnahmeserien aus dem Millisekundenbereich von durch die Erdatmosphäre in Farben zerlegten Sonnen.