Der neue Luxus
Illustration: Lea Berndorfer
Die auf Hochglanz polierten Boutiquen nobler Weltmarken in Shopping-Malls oder den Duty-Free-Zentren großer Flughäfen könnten den Anschein erwecken, dass Luxus boomt. Doch ein genauer Blick auf die sich verändernde Gesellschaft macht deutlich, dass die Bedeutung von Luxus sich gerade immens wandelt. Text: Lena Papasabbas
Die Strahlkraft des Luxus nimmt ab – zumindest im deutschsprachigen Raum. Auch wenn einzelne Märkte, allen voran China, Wachstumsraten im Luxussegment verzeichnen, sind in Europa viele klassische Luxusgüter, wie teure Uhren, hochwertige Füller oder Maßanzüge seit Jahren auf dem absteigenden Ast. Hochpreisiges Porzellan zur Hochzeit ist out. Protziger Schmuck ebenso. Fette SUVs gelten geradezu als vulgär. Und ehemals als luxuriös geltende Schönheits-OPs haben längst als Statussymbol der Reichen und Schönen ausgedient.
Doch Luxus verschwindet nicht aus der Gesellschaft. Vielmehr befindet sich im Wandel, was als Luxus wahrgenommen wird. Was bedeutet Luxus in einer Zeit, in der wir ständig auf dem Sprung, gestresst und „always on“ sind? In einer Zeit, in der die Klimakrise als Bedrohung über allem schwebt und der materielle Überfluss der Konsumgesellschaft zunehmend als Belastung empfunden wird?
Demokratisierung des Luxus
Die Hauptfunktion von Luxus, neben den Bequemlichkeiten, die luxuriöse Güter und Dienstleistungen mit sich bringen, ist ihre Funktion als Distinktionsmerkmal. Doch in Zeiten, in denen die Codes und Erkennungsmerkmale von gesellschaftlichen Gruppen und Subkulturen immer flüchtiger, partikularer und wahlloser geworden sind, taugen weder eine Gucci-Tasche noch aufgespritzte Lippen heute als Abgrenzungsmerkmal. Die Demokratisierung der Luxusmärkte ist in vollem Gange. Fast jedes hochpreisige Produkt gibt es in einer bezahlbaren Version. Auch das Design von Luxusmarken wird immer schneller auf günstigere Produkte übertragen. Luxus definiert sich damit immer weniger über ein bestimmtes Objekt und dessen Besitz.
Comeback der inneren Werte
Stattdessen müssen Luxus-Produkte heute für bestimmte Werte stehen. Sie verkörpern einen Lebensstil: Sie dienen weniger der persönlichen Distinktion und mehr dem Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Wertegemeinschaft.
Das wachsende Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten für ökologische und soziale Probleme ist eine der größten kulturellen Verschiebungen des 21. Jahrhunderts. Erfolgreiche Luxusmarken bieten nicht nur ein besonders hochwertiges Erlebnis an, sondern verstehen sich als Teil der Lösung zu einem anerkannten Problem in der Gesellschaft. Diese Güter sind üblicherweise fair und ökologisch hergestellt, ihre Exklusivität ist dem hohen Anspruch an ihre ethisch korrekte Erzeugung geschuldet. Der Kaffee vom autonomen Bauern mit ökologischer Permakultur, die diverse Design-Agentur mit weiblicher Führungsspitze, die Direct-Trade-Avocados der fast vergessenen Sorte Fuente, das vegane Restaurant, das ausschließlich Produkte aus dem Umland verarbeitet, das Steak der alten, wiederentdecken Rinderrasse mit ganzjährigem Weidegang… Alle diese neuen Luxusartikel und -dienstleistungen vereinen den Anspruch an hohe Qualität mit ethischen Werten.
Öko-Hedonismus setzt neue Standards
Dieser neue Luxus ist ein Gegenentwurf, eine Rebellion gegen Askese und Verbote genussfeindlicher Öko-Prediger. Sustainable Luxury kann als disruptive Innovation verstanden werden, da die Pioniere meist nicht aus der Luxusbranche selbst stammen, sondern einen Aspekt in den Vordergrund stellen, der bisher für Luxusmarken keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielte, wie die Identität der Erzeugerinnen und Erzeuger, die Herkunft oder die Arbeitskultur hinter der Marke. Wenn im Supermarkt plötzlich „slavery free“ Schokolade neben den Produkten der großen Marken liegt, wirft das moralische Fragen auf, denen sich auch die Marktriesen nicht entziehen können.
Auch der Konsum dieser Objekte fokussiert folglich auf das Anliegen: Man konsumiert etwas, weil man die Werte, die das Unternehmen verkörpert, teilt, und weil man die Verfolgung dieser Ziele unterstützen möchte. Und diese Ziele haben ihren Preis. Denn wer eine Mission verfolgt, dem geht es nicht um schlichte Kostenreduktion – erst recht nicht auf Kosten anderer oder der Umwelt. Diese Verknüpfung von Luxus und Nachhaltigkeit bringt den Lebensstil des Öko-Hedonismus hervor: Es geht darum, individuell luxuriös und genussreich zu leben – und zugleich sozial Gutes zu tun.
Fair Fashion vs. Fast Fashion
Dieser Öko-Hedonismus beschränkt sich nicht auf die Lebensmittelbranche. In der Modewelt ist zur Abgrenzung von Fast Fashion und schnell produzierter Billigware aus asiatischen Online-Shops Luxus ohne ethischen Anspruch undenkbar geworden. Während viele große Marken noch daran arbeiten, über ein reines Greenwashing herauszukommen, gibt es gerade in der Fashion-Szene viele kleine und mittelgroße Player, die ihre Produktions- und Lieferketten vollständig transparent machen. Statt in Hochglanz-Marketing-Kampagnen und extrem teure Ladengeschäfte an Flughäfen und Shoppingmeilen, investieren sie in die Qualität und den Herstellprozess ihrer Kleidung – und überholen dabei oft die Qualität und Originalität der Klassiker der Luxusmode.
So wird hohe Qualität, das zentrale Merkmal von Luxusprodukten, heute immer stärker mit ökologischer Verträglichkeit verknüpft. Und das nicht nur in der Fashion-Industrie. Auch im Tourismus, in der Möbelbranche und der Kosmetik gehören Luxus und Nachhaltigkeit zunehmend zusammen.
Neuer Luxus: Zeitwohlstand
Doch der wahre Luxus unserer Welt hat gar kein Preisschild mehr. Nichts ist heute so rar und gleichzeitig so begehrt wie: Zeit. In einer hypervernetzten Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, wird Zeitwohlstand zum obersten Luxusgut. Zeit für sich, Zeit für die Liebsten, Zeit für Regeneration und Muße, Zeit sich zu entfalten und im Moment zu leben – über die eigene Lebenszeit zu verfügen, ist zum Privileg geworden.
Mit diesem neuen Verständnis von Luxus geht ein tiefgreifender Wandel in der Arbeitswelt einher. Statt das immer größere Gehalt und die höhere Karrierestufe anzustreben, sind insbesondere die jungen Generationen dafür bekannt, die Freizeit über die Karriere zu stellen. Nichts ist ihnen wertvoller als ihre Zeit – und sie für eine glänzende Rolex oder 200 PS zu tauschen erscheint ihnen undenkbar. So wird ein neues Verständnis von Wohlstand zum Treiber für strukturellen Wandel.
Lena Papasabbas, Kulturanthropologin und Zukunftsforscherin, beschäftigt sich mit dem Wertewandel und dessen Auswirkungen auf Gesellschaft und Individuum. Sie ist Co-Founderin des progressiven Thinktanks für Trend- und Zukunftsforschung „The Future:Project“, der sich auf jene gesellschaftlichen Transformationsprozesse fokussiert, die den Weg in eine lebenswerte Zukunft weisen. thefutureproject.de