Der Rat der Bürger

Werner Fischer ist Mitglied des Klimarats. Foto Klimarat/Karo Pernegger

Der österreichische Klimarat ist als demokratisches Instrument für die Klimapolitik gedacht. Wie arbeitet er und wie viel Macht hat er tatsächlich? Von Laura Anninger

Lesen Sie sich folgende Aussagen in Ruhe durch. Im Ortszentrum soll man nur mehr 30 Kilometer pro Stunde fahren, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Klimaschutz soll in den Lehrplänen verankert werden. Gemeinden sollen dazu verpflichtet werden, Leerstand zu erheben, Eigentümer dazu, ihre Gebäude energetisch zu sanieren. Für alle Konsumgüter soll Kostenwahrheit herrschen. Entscheiden Sie nun: Stimmen Sie zu? Oder eher nicht?

Dies alles sind konkrete Vorschläge des ersten bundesweiten Klimarates. Von Jänner bis Juni dieses Jahres arbeiten 100 Bürger an sechs Wochenenden zu breiten Themen: Wie wollen wir in Zukunft wohnen? Woher soll unsere Energie und unser Essen stammen? Wie wollen wir uns fortbewegen? Es sind Fragen, die unser aller Leben betreffen. Antworten darauf will der Klimarat nun finden und an die heimische Politik herantragen.
Es ist Zeit für Lösungen. Ändern wir unser Verhalten nicht, könnte die globale Durchschnittstemperatur bald auf mehr als 1,5 Grad seit vorindustriellen Zeiten steigen. Dann, so führt der jüngste Bericht des „Intergouvernemental Panel on Climate Change
(IPCC) vor Augen, wäre ein Leben auf unserer Erde unmöglich. Dürren, Waldbrände und Überschwemmungen zeigen schon heute, was dann auf uns zukommen könnte.

Das beschäftigt die Österreicher. Fast 85 Prozent halten die Klimakrise für ein ernstes Problem. Eines, dem man sich auch stellen kann. Immer mehr fordern konkrete politische Handlungen, etwa die 380.000 Österreicherinnen und Österreicher, die das Klimavolksbegehren unterschrieben haben. Eine seiner Forderungen ist die Einrichtung des bundesweiten Klimarates, den der Nationalrat im März 2021 beschloss. Der Klimarat ist die erste bundesweite Bürgerversammlung und ein Testballon.

Daniela Ingruber beobachtet seinen Flug. Die Politikwissenschafterin des „Democracy Lab“ der Donau-Uni-Krems evaluiert den Klimarat. „Die Menschen wollen, dass ihnen zugehört wird,“ sagt sie. Das passiert in Bürgerräten und Bürgerversammlungen. Dort können Stimmen von Menschen laut werden, die weder von politischen Parteien noch von Lobbys beeinflusst sind. Dafür müssen diese Räte aber richtig umgesetzt werden, die Teilnehmer etwa die Gesamtbevölkerung so gut wie möglich widerspiegeln. Die 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Klimarates sollen ein „Mini-Österreich“ darstellen. Die Auswahl soll die Bevölkerung in den Bereichen Bildung, Geschlecht, Alter, Wohnort, Einkommen so gut als möglich abbilden. Und tut sie das auch?

„Für einen ersten Versuch wurde es recht gut gelöst“, meint Ingruber. Die Auswahl der Teilnehmer übernahm die Statistik Austria, sendete 2.000 zufällig aus dem zentralen Melderegister gezogenen Personen eine Einladung mit der Bitte um Rückmeldung. Aus jenen filterte man 100 Teilnehmer und 20 Reserveteilnehmer aus. Bei den Treffen des Klimarats gilt 2G Plus. Diese Regelung spielte auch in die Auswahl mit hinein. Ungeimpfte Menschen wurden damit ausgeschlossen. In der Einladung wurden außerdem die Einstellungen zur Klimakrise abgefragt. Vertreter der rund sieben Prozent der Österreicher, die glauben sie sei nicht menschengemacht, haben auf die Einladung nicht reagiert – und sind somit auch im Klimarat nicht vertreten. Das Evaluationsteam prüft gerade, ob im Rat vermehrt Menschen diskutieren, für die die Klimakrise ein wichtiges Anliegen ist.

„Wenn es jemanden nicht interessiert, würde er wohl nicht an einem Klimarat teilnehmen“, meint Werner Fischer. Der 64-Jährige verbringt seinen Ruhestand im niederösterreichischen Laa im Walde. In einer seiner früheren Arbeitsstellen, als Facility Manager eines Herstellers von Futtermittelzusätzen, war er damit betraut, CO2-Emissionen von Unternehmensstandorten zu reduzieren. Er setzte sich mit den Fakten zur Klimakrise auseinander. „Ich habe schnell bemerkt, dass wir näher an der Katastrophe sind, als ich dachte“, sagt der Pensionist und Vater. Als der Brief des Klimarates in sein Haus flattert, zögert er nicht lange. „Ich könnte es mir leicht machen und sagen: Ich werde nichts mehr davon merken. Aber meine Kinder werden die Auswirkungen spüren, die Enkelgeneration wird stark leiden“, sagt Fischer. Im Klimarat könne er helfen, ihre Zukunft zu verbessern. Doch wie viel Macht hat der Rat?

Kritische Stimmen stellen seine demokratische Legitimation infrage. Der Klimarat ist ein Instrument der konsultativen Demokratie. Bürger sollen durch ihn als Berater für politische Entscheidungsträger dienen. Die Politik ließe sich vom Klimarat bevormunden, kritisiert Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon. Die FPÖ nennt ihn „scheindemokratisch“ und ortet Steuergeldverschwendung. „Von einer Scheindemokratie sind wir weit entfernt. Aber wenn die Lösungen aus den Bürgerräten umgesetzt werden, ist das eine kleine Entmachtung gewisser Institutionen“, so Demokratieforscherin Ingruber. Rechtlich bindend sind die Lösungsvorschläge, die der Rat erarbeitet nicht. Sie müssen auch nicht im Nationalrat behandelt werden. Aber sie könnten Diskussionen anstoßen, etwa über Punkte im geplanten Klimaschutzgesetz. In letzter Instanz hat der Klimarat also nur so viel Macht, wie die Politik ihm einräumt.

Auch in England, Irland, Dänemark, Finnland, Schottland und Frankreich wurden solche Räte bereits abgehalten. In unserem Nachbarland Deutschland empfohlen 160 Teilnehmende des „Bürgerrates Klima“ auch ein Werbeverbot für klimaschädliche Produkte und ein Tempolimit für Autofahrer – und rückten damit auch unpopuläre Positionen in den Fokus der öffentlichen Debatte.

Vorarlberg ist Bürgerrat-Vorreiter. Seit 2013 steht er dort in der Landesverfassung. Jeder Vorarlberger, der mindestens 1.000 Unterschriften sammelt, kann einen Bürgerrat einberufen. Der zwölfte Bürgerrat beschäftigte sich im Juli 2021 mit dem Thema „Klima-Zukunft“. Diese Räte dauern ein Wochenende, die Teilnehmeranzahl ist niedriger als beim bundesweiten Klimarat. Ein weiterer Unterschied ist das Budget. Um mehrere landesweite Bürgerräte auszurichten, haben Organisatoren jährlich nur einen mittleren fünfstelligen Betrag zur Verfügung.

Rund zwei Millionen Euro kostet im Vergleich der bundesweite Klimarat. Davon bezahlt man Kost, Logis, An- und Abreise und einen Unkostenbeitrag für die Teilnehmer sowie wissenschaftliche Begleitung und ein Moderationsteam. Fast ein Viertel des Budgets fließt in Kommunikation und Marketing. Für letzteres zeichnet auch Lothar Lockl verantwortlich, der Kampagnen der Grünen Partei umsetzte. Kritiker sehen darin politische Beeinflussung. Anzeichen dafür gebe es aktuell aber keine, sagt Daniela Ingruber. Die politische und mediale Öffentlichkeit wird diesen Aspekt wohl weiter sehr genau im Blick behalten.

Werner Fischer hebt derweil die gute Begleitung der Klimarat-Treffen hervor. Die Moderation funktioniere, jeder werde gehört. „Die wissenschaftlichen Briefings und Vorträge sind hervorragend. Sie geben einen sehr klaren Überblick und sind verständlich aufbereitet. Ich war auch verblüfft, wie viel Fachwissen die anderen Teilnehmer mitbringen“, sagt er. Für die Diskussionen würde er sich allerdings mehr Zeit wünschen.

Auf Bürgerräten und Bürgerversammlungen lastet auch die Hoffnung, das Vertrauen in das politische System zu festigen. Es wäre höchste Zeit dafür, denn fast 60 Prozent der Befragten des SORA-Demokratiemonitors finden, es funktioniere nicht wie es sollte. „Die Masse fühlt sich von der politischen Elite nicht mehr vertreten“, sagt Daniela Ingruber. Bürgerräte können das Gefühl zurückgeben, dass die eigene Stimme gehört werde. Die Demokratieforscherin hofft deshalb, dass der Testballon Klimarat wegweisend für weitere Räte sein wird. Erste Anzeichen dafür sieht man schon. Im Frühjahr fand ein kleiner, steirischer Klimarat statt, im Herbst werden 50 Menschen in einem weiteren über die Verkehrspolitik in der Ostregion diskutieren.

„Solche Räte können nie komplett repräsentativ sein. Dennoch sind sie ein gutes demokratisches Mittel“, findet Werner Fischer. Selbst habe er durch seine Teilnahme mehr Wissen über die Klimakrise, welches er an Freunde und Bekannte weitergibt. „Ich glaube, dass das den einen oder anderen zum Umdenken bringt“, sagt der 64-Jährige. Seine Familie besitzt noch drei Verbrenner, wendet er ein. Aber er und seine Frau haben seit kurzem Klimatickets und eine Photovoltaikanlage auf dem Hausdach. Gerade will Werner Fischer seine Gastherme gegen eine Wärmepumpe tauschen. Das Angebot liegt schon auf dem Küchentisch.

Obwohl solche einzelnen Handlungen sich summieren können: die Klimakrise abschwächen werden nur große, systemische Änderungen. Entscheiden und verantworten muss sie die Politik. Vorschläge aus der Bevölkerung gibt es zuhauf. Die Entscheidungsträger wären gut damit beraten, sie umzusetzen.


Teilen auf:
Facebook Twitter