Der reine Wein vom Wogenrain

Foto Herbert Lehmann, ÖWM

Von Jürgen Schmücking

Am Anfang war der Wagram nicht der Wagram. Als Weinregion hieß die Gegend zuerst Krems. Dann Donauland-Carnuntum. Das war ein stattliches Stück Land, und die Weine des Carnuntums (vorwiegend Rotweine) hatten mit den Weinen vom Traisental (das damals ebenfalls noch zur Region gehörte) so viel gemeinsam wie Tequila mit Oberpullendorf. Weder der Weinstil noch der Boden waren ähnlich, sodass es für die Weine des Wagram schwierig war, eine eigene Identität zu entwickeln. Der Wagram war bekannt als Fasswein- und Traubenlieferant. Die Region befand sich – auch touristisch betrachtet – in einer dornröschenschlafähnlichen Lethargie. Das änderte sich rapide, als Bernhard Ott Mitte der 90er Jahre zur Leitfigur der Region wurde. Diese Aufbruchsenergie nutzend, entstanden am Wagram aktive Winzervereinigungen und dadurch eine produktive Konkurrenz, die die Qualität der Wagram-Weine in neue Höhen katapultierte. 2007 wurde die Region von Donauland in Wagram umbenannt. Das Traisental und Carnuntum gingen da bereits eigene Wege. Seither tut sich auch touristisch einiges. Die Ortsbilder verändern sich, Winzerzimmer entstehen und die Gebietsvinothek ist ein Vorzeigeprojekt der Weinvermarktung. Der jüngste Coup der Wagramer ist das Slow Food-Projekt „Roter Veltliner“. Konsequent gehen da einige Betriebe einen besonderen Weg: biologischer oder biodynamischer Anbau, Konzentration auf eine autochtone (regionale) und in ihrem Bestand gefährdete Rebsorte. Das ist ihre Geschichte.

Die Truppe, die sich des Roten Veltliners angenommen hat. Foto Jürgen Schmücking

13 Winzer vom Wagram sitzen an einer Tafel im Gut Oberstockstall und diskutieren leidenschaftlich. Zum Gut Oberstockstall später noch mehr. Immerhin ist es DER kulinarische Hotspot am Wagram und aus vielerlei Gründen einen Besuch wert. In der Runde der Winzer geht es um existentielle Fragen rund um die Rebsorte Roter Veltliner. Wie läuft die Lese ab? Wie kann garantiert werden, dass ein fairer Preis erzielt wird? Dabei geht es um die Sicherung der Sorte, um höchste Qualität und den Erhalt des Handwerks.
Eine Frage, die auf der Hand und österreichischen Weinfreunden auf der Zunge liegt, ist das Verhältnis zum Grünen Veltliner. Immerhin der bedeutendsten Rebsorte des Landes. Sind sie Geschwister? Ist der eine ein Elternteil des anderen? Hatten beide einmal was mit dem Traminer? Rebsorten-Gossip im Seitenblicke-Format. Aber die Ampelographie, die wissenschaftliche Rebsortenkunde, stellt hier unmissverständlich klar: kein wie auch immer geartetes Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Grünen und dem Roten Veltliner. Es ist ein wenig wie bei uns (Menschen). Im Zillertal gibt es viele Fankhausers, im Montafon jede Menge Sutterlüttys und Moosbruggers und im Ausseerland mehr Schlömmers als sonst in Österreich. Bei den Rebsorten taucht immer wieder ein Veltliner auf. Aber auch, wenn es zwischen dem Grünen und dem Roten keine (nachweisbare) Verbindung gibt, ist der Rote Veltliner ein echter Familienrebstock. Er gilt als Urrebe und Elternteil für eine ganze Reihe nicht unbekannter österreichischer Rebsorten: Frühroter Veltliner, Neuburger, Zierfandler und Rotgipfler.

Das Programm

Presidi-Projekte, früher hießen sie Förderkreise, wurden ins Leben gerufen, um gefährdete Produkte, Produktionsweisen und einzigartige Regionen zu bewahren. Hier geht es also nicht ausschließlich um die Rebsorte Roter Veltliner. Es geht auch um das Handwerk seiner Herstellung. Ist die begehrte Slow-Food-Schnecke erst einmal an der Flasche angebracht, werden die Winzer gemeinsam auftreten. Auf Messen und Slow-Food-Veranstaltungen. Dabei sind sie nicht alleine. Die Arche des Geschmacks umfasst derzeit 17 Weine. Aus Österreich ist außerdem noch der Wiener Gemischte Satz im Rennen. Diese Weine haben, so verschieden sie sind, ein paar Dinge gemeinsam: sie sind selten und stehen unter Druck, sie werden handwerklich und mit hohem persönlichen Einsatz der Winzer produziert. Und sie sind gut. Unglaublich gut.

Wege zum Roten Veltliner

Das einzigartige Gebäude-Ensemble des Gut Oberstockstall in Kirchberg am Wagram mit traumhaftem Innenhof und eigener Kapelle (eine Kirche fast) ist seit Jahren ein Garant für einen hinreißend gekochten Speisereigen mit Bodenhaftung Das »Gut Oberstockstall« kann in puncto Biozutaten aus dem Vollen schöpfen, Vieles kommt aus eigener Landwirtschaft. »Wir arbeiten seit jeher biologisch, seit Mitte 2008 sind wir biodynamischer Demeter-Betrieb und wirtschaften in einem geschlossenen Kreislauf«, erzählt Fritz Salomon, Winzer und Landwirt. So kommt es auch, dass jetzt auf dem Gut neben den Hühnern auch Pommerngänse und Waldviertler Blondvieh (im Übrigen ebenfalls ein Arche-Projekt von Slow Food) beheimatet sind. „Den Versuch, Turopolje- Schweine zu halten, haben wir bald wieder aufgegeben und uns für die sanfteren Rinder entschieden,“ so Salomon. „Das Gemüse kommt sonnengereift frisch aus dem Garten in die Küche. Selbst für unsere Breiten ungewöhnliche Gemüsesorten wie Artischocken gedeihen hier prächtig. Um das ganze Jahr über Produkte aus der eigenen Landwirtschaft bieten zu können, wird natürlich auch eingekocht und eingelegt.“ Wer übrigens länger im Restaurant hängenbleibt, oder mit dem Winzer bei einer Verkostung versumpft, kann das ohne schlechtes Gewissen machen. Im Gut Oberstockstall gibt es neuerdings auch Zimmer. Und was für welche. „Unser Hof ist unser Lebensmittelpunkt. Mit dem alten Haus kommt auch viel Verantwortung. Die Räume sehnten sich nach neuem Leben. Deshalb entschieden wir uns dafür, mit den Gästezimmern der langen Geschichte ein neues Kapitel hinzuzufügen!“. Der Stolz der Familie Salomon wird spürbar, wenn sie von ihren neuen Zimmern sprechen.
Übrigens kommt Wagram von „Wogenrain“. Es bezeichnet die etwa 40 Meter hohe Kante (oder Welle), die sich von Krems in Richtung Osten erstreckt. Im ganz großen historischen Kontext ist es eine gewaltige Anschwemmung von Löss und damit DER Boden für Veltliner. Grün wie Rot. 
_____________________________________________________________________________

Empfehlungen des Redakteurs

Trinken:

Bioweingut Söllner
Daniela Vigne & Toni Söllner
3482 Gösing am Wagram
www.weingut-soellner.at

Familien-Weingut Wimmer-Czerny
Hans Czerny
3481 Fels am Wagram
www.wimmer-czerny.at

Weingut Mehofer-Neudeggerhof
Stephan Mehofer
3471 Neudegg
www.mehofer.at

Weingut Fritsch
Karl Fritsch
3470 Oberstockstall
www.fritsch.cc

Weingut Bernhard Ott
Bernhard Ott
3483 Feuersbrunn am Wagram
www.ott.at

Schlafen:

Gut Oberstockstall
Familie Salomon
3470 Oberstockstall
www.gut-oberstockstall.at

Winzerhof Obenaus
Luisa Obenaus
3471 Großriedenthal
www.winzerhof-obenaus.at

Winzerhof Obenaus
Luisa Obenaus
3471 Großriedenthal
www.winzerhof-obenaus.at

Alter Winzerkeller
Familie Vogel
3470 Kirchberg am Wagram
www.alterwinzerkeller.at

Essen

Restaurant Gut Oberstockstall
Elke & Matthias Salomon
3470 Kirchberg am Wagram
www.gut-oberstockstall.at

WERITAS
3470 Kirchberg am Wagram
www.weritas.at

Topografische Karte Wagram © ÖWM
Teilen auf:
Facebook