Design mit Seele

Vom Sessel aus grob vernähtem Rindsleder bis zur Leuchte aus handgetöpfertem Bone China: Je digitalisierter unsere Welt, desto mehr fasziniert uns echtes Handwerk. Weil es uns erdet, die Sinne wiederbelebt – und weil handgearbeitete Wohnobjekte Anker auswerfen in einer unsicheren Zeit.
Von Tina Schneider-Rading

„Eine große Welle ist in Bewegung geraten“, beobachtet Sonja Messing. Die Interiordesignerin führt einen Concept Store auf der Lindauer Insel. Ihr Sortiment: alte Schätze und neues, handwerkliches Design in einer ausbalancierten Mischung, bei ihr treffen Jahrzehnte alte Hocker auf aktuelle Platzteller, hochherrschaftliche Kristalllüster auf farbenfrohe Kissen. Gerade hat sie ein Casa im ligurischen Küstenort Imperia gekauft und renoviert, sie pendelt dafür zwischen Deutschland, Österreich und Italien. Aufs gute Handwerk zählte Messing schon immer, doch während des ersten Lockdowns vor zwei Jahren erkannte sie in ihrem persönlichen Umfeld eine Wandlung: „Alles, was uns tagtäglich umgibt, kam auf den Prüfstand“, sagt sie. Die Menschen sortierten aus ihren Wohnungen aus, wozu sie keinen Draht mehr hatten. Sperrholzregale, Plastiksessel, die Wertstoffhöfe füllten sich mit Billigmöbeln. Was blieb, hatte Bedeutung: „Möbel und Gegenstände brauchen eine Geschichte.“ Davon ist Messing überzeugt.

Deshalb ist gutes Handwerk aus nachwachsenden Rohstoffen seit Jahren so im Kommen – nicht nur wegen der Pandemie: Es entschleunigt. Es schafft eine Verbindung zwischen sich und den Menschen, weil es alle Sinne anspricht. Massives Naturholz duftet jahrelang, handgewebte Teppiche schmeicheln den Sohlen und Fingerspitzen. Man sieht echten Handwerksprodukten die Zeit an, aus der sie kommen. Und die es brauchte, bis sie entstanden. Auch Fehler oder Macken sind gewollt, als Erinnerung. Sonja Messing rät dazu, Lieblingsstücke selbst zu restaurieren. Schließlich sind die Hände unser wichtigstes Werkzeug, und was wir berühren, berührt auch uns. „Wir leben gerade in einer Zeit, in der wir uns stärker auf die Menschen konzentrieren, mit denen wir eine gute und verlässliche Beziehung haben“, sagt Messing. „Nach diesem Motto werden wir auch immer mehr unser direktes Umfeld prägen, ob es ums Einrichten oder Gestalten geht.“ Dem Handwerk aus der Vergangenheit steht eine große Zukunft bevor.█
schoscha.com

Teilen auf:
Facebook