DIE KULTUR DES FLÜCHTIGEN

Das Temporäre als ideengeschichtliche Konstante Hohenems’, ein Interview mit Kunsthistoriker Johannes Inama
Von Robert Fabach
Foto Ursula Dünser

Mein diesmaliger Gesprächspartner ist gebürtiger Hohenemser und ich treffe ihn an einer seiner Wirkungsstätten, dem „Visionscafé“, in dem samstäglich Ideen und Infos zur Entwicklung von Hohenems gewälzt werden. Zur Erklärung: Visionscafé bezeichnet eine wandernde temporäre Begegnungsstätte, in für den Umbau vorgesehenen Häusern. Johannes Inama, geb. 1961, ist promovierter  Germanist und Kunsthistoriker, aktiver Mitstreiter in vielen Kulturaktivitäten und mit ihm versuche ich eine Übersicht zu den kulturellen Markpunkten der Stadt.

„Erinnerung ist Erinnerung an etwas Vergessenes“ Eva Grabher, 1997

Eigentlich wollten wir das Ortszentrum durchstreifen auf der Suche nach ehemaligen und zukünftigen kulturellen Veranstaltungsorten. Doch schon im einleitenden Vorgespräch fand das Thema erstmal eine zeitliche Ausbreitung. Eine eigenwillige Zeitgeschichte der letzten 50 Jahre entspann sich, die nicht nur von den damals typischen Aufbrüchen, sondern immer wieder auch von einer Erinnerungskultur und einer intensiven historischen Aufarbeitung und Inbezugsetzung geprägt war.

Das kulturelle Leben Hohenems hat in diesem Zeitraum eine besondere Kultur temporärer Veranstaltungen entwickelt. Festivals, Symposien, Veranstaltungsreihen, aber auch freie Lebensformen, die in ihren internationalen Bezügen, in ihrer künstlerischen Entschlossenheit und in ihrem Anspruch an Diskurs und Reflexion in Hohenems nur zufälligen einen Ort gefunden zu haben scheinen. Doch es ist mehr. Tatsächlich scheinen eine gewisse Unangepasstheit und das Bekenntnis zu einem internationalen Maßstab vielen dieser sonst losen Ereignissen gemein.

Fluchtorte

Natürlich geschah dies zum einen aus der Position einer in den 1970er Jahren aufflammenden, durchaus diversen Protestkultur, die sich erst dauerhafte Räume erkämpfen musste. Johannes Inama durchwandert Jugenderinnerungen an eine Rocker-Community, die sich am Alten Rhein abseits der Kleinbürgerlichkeit ihre Fluchtorte schuf. In dieser Linie sieht er die legendären Konzerte des 1975 gegründeten „Vereins für Kommunikations- und Freizeitgestaltung KONKRET“ und später auch das Transmitter Festival, das an verschiedenen Standorten von 1991 – 2011 als Musik und Kulturfestival brisante Jugendkultur widerspiegelte.

Ein Streifzug durch die Zeit

Zugleich gab und gibt es eine Spur international orientierter Positionen in Vorarlberg, die sich am künstlerisch-architektonischen bzw. politisch-historischen Diskurs beteiligten und die dem Provinziellen eine hohe künstlerische Präzision und wissenschaftliche Expertise entgegensetzten.

Als 1972 Gerd Nachbauer die „Mozartgemeinde Vorarlberg“ gründete mit der Absicht in Hohenems einen jährlichen Konzertzyklus aufzuführen und in Folge daraus im Januar 1975 die „Schubertiade Hohenems“ entstand, suchte er höchste musikalische Qualität. Sehr bald entstand daraus ein international beachtetes Festival, dessen spezifischer Nimbus, dessen Intimität und künstlerische Intensität Größen wie Hermann Prey, Nikolaus Harnoncourt, Dietrich Fischer-Dieskau oder Andras Schiff über Jahre anzog.

Zeitgleich formierte sich der Wunsch, auch andere kulturelle Bereiche zu fördern. So entstand 1975 die „Gesellschaft zur Förderung der Bildenden Kunst, Literatur, Brauchtum und Museums- und Denkmalpflege Hohenems“, kurz der Kulturkreis Hohenems, mit einem bis heute umfangreichen Programm , der im Emser Almanach, einer im Jahr 2000 begonnenen Schriftenreihe, 1-2 mal jährlich akribische  Beiträge veröffentlicht und quasi lebendige Geschichtsschreibung betreibt.

Vielfach werden die gräfliche Geschichte der Stadt mit ihrer Hochblüte in Mittelalter und Renaissance und die damit zusammenhängende Ansiedlung der jüdischen Gemeinde als zentrale Bezugspunkte für die kulturelle Bedeutung von Hohenems gesehen. Prägend für die aktuelle kulturelle Situation ist für Johannes Inama aber vor allem das Vakuum, das diese blühenden Zeiten in der Stadt hinterlassen haben. An vielen Ecken der Stadt noch greifbar, erahnt man die einstige Größe, die mit Weltbürgertum, Internationalität und selbstbewusster Weitsicht – oftmals Nährboden für Außergewöhnliches – verbunden war, die aber seit den großen Brüchen des 20. Jahrhunderts spürbar fehlen.

„Leidenschaftliche Etablierungsphobie“

Ende der 1980er Jahre bildete sich ein loses Netzwerk einer ähnlich gesinnten Intelligenzia rund um die Gründung des Jüdischen Museums in der Villa Rosenthal. Johannes Inama beschreibt eine stille Übereinkunft in diesem Kreis, die auch für ihn fortan zur Leitschnur seiner Aktivitäten wurde, nämlich Geschichte und Wissen nicht in manifesten Denkmälern festschreiben zu wollen, sondern in temporären Veranstaltungen und Ereignissen stattfinden und in ihrer Form wieder vergehen zu lassen, um für zukünftige Sichtweisen und Entwicklungen Raum zu geben. Dieses Ideal des Ephemeren und eines offenen Geschichtsbildes entwickelte sich zu einem gemeinsamen Merkmal verschiedener Initiativen und Einrichtungen. 

1991 wurde zu einem Jahr des Neubeginns. Die Bemühungen im Vorfeld trugen Früchte. Schon seit den 1970er Jahren wurde in Hohenems über ein Jüdisches Museum diskutiert. 1983 erwarb die Stadt Hohenems die Villa Heimann-Rosenthal und es gelang schließlich einem 1986 gegründeten Verein zur Museumsgründung diese Möglichkeit zu eröffnen, jüdische Geschichte, jüdisches Leben und Kultur kennenzulernen. 1989 wurde schließlich Kurt Greussing beauftragt, für die von Roland Gnaiger restaurierte Villa ein Museumskonzept zu erarbeiten, und Persönlichkeiten wie Karl Heinz Burmester, Bernhard Purin (heute Leiter des Jüdischen Museums München) oder Eva Grabher als Gründungsdirektorin konnten schließlich das Jüdische Museum 1991 der Öffentlichkeit übergeben. Das Museum wurde ein „Laboratorium konkurrierender Sinnstiftungsentwürfe“. Wie aus einer Initialzündung starten just in diesem Jahr eine ganze Reihe weiterer kultureller Initiativen.

1990 – 1993 Internationales Bildhauersymposium
im Hohenemser Steinbruch,  Gründer Herbert Meusburger

Seit 1990 Kammerorchester
Arpeggione, Gründer Irakli Gogibedaschwili 1991 –2011
Transmitter Festival, Gründer Bernhard Amann

Seit 1991: Hohenemser Chor- & Orgeltage,
Gründer Edwin Wallmann (1923 – 2019)

Seit 1992: Homunculus, Festival für Puppenspiel und Kleinkunst

Stadtsanierung als Erinnerungskultur ohne Gedenktafeln.

Auf dem Weg durch die Stadt passieren wir einer Reihe historischer Bauten, die gerade sensibel umgebaut oder sichtbar in Vorbereitung sind. Diese einmalige Wiedergeburt einer Innenstadt fand eingebettet in diesen Reigen von kulturellen Initiativen statt und profitierte sicherlich davon.
1995-96 Projektreihe „Ein Viertel Stadt“. Führungen und künstlerische Installationen
1998 – 2000 Geladener Wettbewerb städtebaulicher Studien zum Jüdischen Viertel
2015 „Vision Hohenems“ Partizipationsprojekt zur Zukunft der Stadt mit 2.600 Hohenemser Bürgern

Wir sind schließlich an einigen Standorten in der Harrachgasse und Marktstraße angelangt, an denen die „Emsiana“, das von Stadtentwickler Markus Schadenbauer ins Leben gerufene „etwas andere Kulturfest“, seit 2009 in vielfältigen Aktivitäten die Wechselwirkung zwischen Quartier, Kunst und Geschichte thematisiert hat. Die »Emsiana« erinnert deshalb an eine erstaunlich vielfältige Vergangenheit, schlägt aber ebenso die Brücke zur Gegenwart. Geschichte ist in Hohenems besonders anschaulich erfahrbar, in all ihren Widersprüchen, und sie lebt in der Kultur von heute weiter. Emsiana heißt, ein Wochenende lang gemeinsam in die Beziehungen zwischen Geschichte und Gegenwart eintauchen, mit Genuss und Vergnügen, mit Nachdenklichkeit und Neugier.

Das Vertrauen auf das Temporäre, die ständig neu zu suchende Balance von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von Erinnerung, Stadtleben und Visionen, scheinen für Hohenems existentiell. Vermutlich ist gerade die innere Reibung und die Eigen-Sinnigkeit im besten Wortsinn eine wesentliche Quelle für Diskurs, Lebendigkeit und eine sich ständig neu formierende Identität.

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