Die olympische Stadt. Paris 2024

Bild: Olympische Spiele, Champ-de-Mars. Foto: Fonzatti
Olympische Spiele als Katalysator urbaner Transformation. Ein Gespräch über das „Village des Athlètes“ mit der Pariser Architekturvermittlerin Astrid Maria Rappel.
Von Robert Fabach
Basketball unter dem Eiffelturm, Schwimmwettbewerbe in der Seine – Paris hatte nicht nur die Olympischen Sommerspiele in die Stadt gebracht, sondern gezielt deren Landmarks und die Vision einer nachhaltigen Stadt inszeniert. Bestehendes wurde saniert; viele Austragungsorte enstanden temporär, bestachen jedoch durch eine atemberaubende Kulisse inmitten der Stadt. Die Topologie von Paris wurde Mittelpunkt eines urbanistischen Diskurses und die Heimstätte der Tausenden von Athleten – das „Village des Athlètes“ – ist Beispiel und Experiment zugleich für diese Bemühungen. Keine baulichen Strohfeuer, die leere Ruinen hinterlassen! Paris zeigte sich im Sog eines Paradigmenwechsels. Veränderung ist möglich.
2017 bewarb sich Paris erfolgreich für die Olympischen Spiele 2024 mit dem ambitionierten Ziel, das Event zu den „ökologisch verantwortungsvollsten und nachhaltigsten Spielen der Geschichte“ zu machen. Derartige Großveranstaltungen, so wie zuvor auch die Olympiade von Athen 2004 oder in Rio de Janeiro 2016, waren immer wieder begleitet von Hintergrundberichten über drastische Eingriffe in soziale und vegetabile Lebensräume und hohe Schulden bei geringem Langzeitnutzen. Wie fanden die Zielsetzungen zur Nachhaltigkeit Eingang in den Bau des olympischen Dorfes 2024?
Astrid Maria Rappel: Mit Blick auf das positive Beispiel Barcelona 1992 hatte Paris bei der Planung von Anfang an betont, die langfristige Nutzung in den Vordergrund zu stellen und ein neues Stadtviertel an der Seine zu schaffen. Das sollte nur temporär als Herberge für die 14.500 Olympionikinnen und Olympioniken sowie die 9.000 Paralympionikinnen und Paralympioniken gemietet werden.
Der Ort dafür stand fest. An der Schnittstelle zwischen drei der ärmsten Kommunen Frankreichs in den an Paris im Norden angrenzenden Banlieues galt er als ein – nicht zuletzt unter sozialen Gesichtspunkten – komplexer Standort.
Den städtebaulichen Wettbewerb dazu gewann 2018 der französische Architekt Dominique Perrault. Er hatte bereits zuvor den übergeordneten Masterplan für das Areal erarbeitet. Sein Konzept greift die Überlegungen der Bürgermeisterin Anne Hidalgo auf, die Flusswindungen der Seine als verbindenden Faden zwischen den Olympiastätten zu spannen. Ein großzügig ausgestalteter Naturraum an der Seine wurde dort das zentrale landschaftliche Element. Orthogonal zum Wasser reihen sich seine „îlots paquebots“, lang gestreckten Häuserblöcke, die sich wie Frachtschiffe im Hafen ausrichten und den Fluss visuell, aber auch mikroklimatisch ins Quartier holen.
Entstanden sind dabei sehr dichte Stadtbausteine, die sich jeweils durch einen gemeinsamen Sockel auszeichnen. Darauf ruhen in formaler Variation unterschiedliche Häuserblöcke mit grünen Innenhöfen, deren Planung wiederum über Realisierungswettbewerbe an 41 Architekturbüros vergeben wurde. In nur drei Jahren sollten auf 52 Hektar 2.800 Wohnungen entstehen.
Der hohen Dichte, welche die geplante umfangreiche Infrastruktur in der Erdgeschosszone wirtschaftlich trägt, stehen zahlreiche Grünflächen gegenüber. Die „cœurs d‘îlots“, die grünen Innenhöfe, und private Grünflächen im Zentrum übertreffen die öffentlichen im Ausmaß. Neben dem kleinen bewaldeten Park und der neu geschaffenen Flusspromenade sollen sie für Biodiversität und lebenswerten Stadtraum sorgen.

Ein weiteres Leitmotiv ist der Umgang mit dem „Déjà-là“ (dem Vorgefundenen). Dies deckt sich ja mit einer aktuellen Architekturwende vom Bau zum nachhaltigeren Umbau.
Ja, als Mittelpunkt des olympischen Dorfs wählte Dominique Perrault die imposanten ehemaligen Turbinenhallen der Pariser Metro von 1933, die nach einer Idee von Regisseur und Produzent Luc Besson 2012 als „Cité de Cinéma“, als Filmstadt mit Studios und Produktionsstätten eröffnet wurden. Die historischen Hallen sollten als Herzstück des neuen Quartiers für vielfältige kulturelle und öffentliche Nutzungen zur Verfügung stehen.
Es mag eine strategische Schwäche des Konzepts sein, dass vorab nicht geklärt wurde, ob anstelle der Filmstadt tatsächlich ein Quartierzentrum mit einem Vorplatz als Begegnungsstätte entstehen kann. Die zentrale Halle stand nur während der Spiele als Mensa der Athletinnen und Athleten zur Verfügung. Die bestehende Filmstadt bildet nun eine Barriere, eine unzugängliche Mitte zwischen den Sektoren des Quartiers.
Das gesamte Quartier wurde in hohem Maß als Holzbau errichtet, verfügt über eine geothermische Heizung sowie Kühlung und weist ein Drittel seiner Dachflächen für Photovoltaik aus. Wie kam es zu diesem hohen ökologischen Anspruch?
Die französische Regierung hatte bereits 2009 eine Strategie für nachhaltige Städte vorgelegt, in deren Rahmen 2022 – auch mit Blick auf die olympischen Bauten – ein Gesetz in Kraft trat, nach dem alle von öffentlicher Hand finanzierten Gebäude zu mindestens 50 Prozent aus Holz oder anderen natürlichen Materialien erbaut werden müssen. So soll das Land bis 2050 CO2-neutral werden.
An dieser Stelle sei ein politisches Faktum genannt. 2001 gelang dem Sozialisten Bertrand Delanoë durch ein Wahlbündnis mit den Grünen zum ersten Mal seit 1871 die Führung im Stadtrat beziehungsweise einen Bürgermeister der Linken zu etablieren. Delanoë hat in Folge eine Reihe von sozialen Maßnahmen, aber auch erste ökologische Schritte zugunsten des öffentlichen Verkehrs in Gang gesetzt. Sozialwohnungen, Mieträder, eigene Busspuren und auch Einrichtungen zugunsten von Diversität und kulturellem Zusammenleben entstanden. Seine Nachfolgerin Anne Hidalgo verfolgt diesen Umbau noch stringenter, hin zu einer nachhaltigen, möglichst autofreien Stadt.
Dieses Nachhaltigkeitsbewusstsein ist aber erst spät entstanden.
Das schon, aber zwischenzeitlich viel ausgeprägter. Ohne die drei Termini „bio-“ und „géosourcé“ sowie „bas-carbone“ kommt heute keine Ausschreibung mehr aus. Dabei hat Biodiversität, aber auch das Regionale, Holz aus Frankreich beispielsweise, sehr an Bedeutung gewonnen. Eine Regionalität, die sich gut mit dem französischen Nationalbewusstsein deckt.
Frankreich und insbesondere Paris können auf keine allzu große Holzbauerfahrung zurückgreifen, deshalb hat man sich die Expertise dazu in relativ kurzer Zeit angeeignet. Im Februar 2025 fand etwa ein großer Holzbaukongress in Paris statt, an dem auch Architektinnen und Architekten aus Vorarlberg referierten.
Der Drang zum Holzbau und die dafür nötige spezifische Erfahrung und Kooperation in Planung und Umsetzung klaffen deshalb noch auseinander. So gerieten die sehr hohen ökologischen Ansprüche und Ambitionen beim Bau des olympischen Dorfs in Bedrängnis und mussten angesichts von Kostenentwicklungen und Planungsunsicherheiten heruntergeschraubt werden. Der nachträgliche Erwerb von 2.500 Klimageräten durch die Sportlerteams aus Unsicherheit über das Kühlungskonzept ging durch die Schlagzeilen.
Ihr Fazit?
Das Olympiadorf mag aufgrund der kurzen Bauzeit mehr gekostet haben, nichtsdestotrotz wurde in kürzester Zeit neuer Wohnraum geschaffen, der Naturräume einbezieht und die Qualität des Stadtumfelds steigert. Das Quartier befindet sich noch im Umbau und Letztgültiges werden erst die kommenden Jahre zeigen. Einzelne Zielsetzungen wurden nicht erreicht oder waren Kompromissen ausgesetzt, aber Olympia war für die Verantwortlichen auch dezidiert Labor. Die neuen Sportbauten zeigen einen angemessenen Maßstab und sind öffentlich nutzbar.
Zugleich kam es jedoch auch hier zu verstärkten sozialen „Säuberungen“ von Obdachlosen und besetzten Häusern. Natürlich wurden dadurch, wie in anderen urbanen Austragungsorten wie London, Athen oder Atlanta, Gentrifizierungseffekte in Gang gesetzt, denen aber die Stadt begegnet. Die Vororte von Paris – ich spreche hier hauptsächlich von der Nord-, Ost- und Süd-Banlieue – kämpfen für eine bessere Erschließung, Ansiedlung von Dienstleistungen und stärkere Durchmischung. Einen Beitrag dazu leisten neue Stadtviertel wie das „Village olympique“, vor allem aber auch Mobilitätskonzepte wie der „Grand Paris Express“, eine Vorortelinie, die in einem Ring das Umland miteinander verbinden wird. Nicht zuletzt durch diese verbesserte Anbindung gewinnen diese Vororte für ein breiteres Publikum an Attraktivität.
Die Olympischen Spiele 2024 haben nicht nur mit spektakulären Bildern vor historischen Kulissen Zeichen gesetzt, sondern auch durch die Botschaft, dass Nachhaltigkeit und Klimabewusstsein zu den Features einer kulturbewussten und letztlich lebenswerten Großstadt zählen können. Die Wettkämpfe im Wasser der Seine und die Bilder der schwimmenden Bürgermeisterin mögen plakativ gewesen sein, aber so sind – wie mit der Begrünung von Stadträumen und Dächern und dem Fokus auf dem öffentlichen und autofreien Verkehr – erlebbare Zeichen, vielleicht sogar Wahrzeichen des Wandels entstanden.
Paris hat es geschafft, eher negativ konnotierte Qualitäten wie Verzicht, Angemessenheit oder Wiederverwendung auf einen spektakulären Laufsteg städtischer Attraktionen zu stellen.

Astrid Maria Rappel widmet sich seit vielen Jahren der Architekturvermittlung in Deutschland und Frankreich und ist Mitbegründerin des Beratungsbüros „ak architekturkultur“. Sie engagiert sich in der Initiative „who made my space“, die sich mit fairer Architektur und -kommunikation beschäftigt. Vor Kurzem hat sie mit dem Projekt „Überlegungen zu einem ganzheitlichen Nachhaltigkeitskonzept in der Tourismusbranche beispielhaft am Hotel Rote Wand in Zug/Arlberg“ ihren Kurs zur Nachhaltigkeitsmanagerin im Bauwesen abgeschlossen. ak-architekturkultur.com