Reparieren statt resignieren

Die Menge an Elektroschrott, die jährlich in Europa anfällt, ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen. Die neue Ökodesign-Verordnung der EU erlegt den Herstellern von Elektro- und Haushaltsgeräten nun neue Pflichten auf und verhilft der Reparatur zu neuem Aufwind.

Von Sarah Kleiner

Im Innenhof der Lützowgasse 12 ist die Stimmung schon Anfang April sommerlich. Die Sonne scheint vom blitzblauen Himmel, ein angenehm kühler Wind weht. Am Weg zum orangen Eingangstor des R.U.S.Z‘ passiert man Werkstätten mit offenen Fenstern und laufenden Radios. Im Inneren der Werks- und Lagerräume des Reparatur- und Servicezentrums stapeln sich Elektrogeräte jeglicher Art, Küchenmaschinen, DVD-Player, Fernseher, Lampen, Bildschirme, Plattenspieler und eine erstaunliche Anzahl an Waschmaschinen. Seit über 20 Jahren werden hier im 14. Wiener Gemeindebezirk defekte Elektro- und Haushaltsgeräte repariert, um die 9.000 Stück im Jahr. Die neue EU-Ökodesign-Verordnung, die seit 1.März in Österreich Kraft ist, verbessert nun die Rahmenbedingungen für Reparaturbetriebe.

Der weltweite Ressourcenverbrauch der Spezies Mensch hat sich nämlich in den vergangenen 50 Jahren laut UN Environment verdreifacht, obwohl sich die Weltbevölkerung im selben Zeitraum „nur“ verdoppelte. Allein in der EU werden laut dem „Global E-Waste Monitor“ jedes Jahr um die zwölf Millionen Tonnen Elektroschrott erzeugt. Österreich liegt mit etwa 13 Kilogramm pro Kopf und Jahr im europäischen Spitzenfeld. Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist unser verstärkter Konsum von Produkten, die immer kürzer halten. Obsoleszenz ist damit der zentrale Begriff rund um unseren Ressourcenverbrauch und das Geschäft mit dem Reparieren.

Reparaturwerkstatt R.U.S.Z.

Obsoleszenz beschreibt generell das „natürliche“ Altern und Abnutzen von Produkten, allerdings unterscheidet man zwischen unterschiedlichen Formen. Die technische Obsoleszenz geht auf die Nutzung von möglichst günstigen Einzelteilen und Materialien zurück. Sie werden mit der Zeit durch die Abnutzung zu den Schwachstellen des Geräts, bis es kaputt geht. Psychologische Obsoleszenz, die sich im 21. Jahrhundert besonders gut beobachten lässt, zeigt sich vor allem in der Unterhaltungsindustrie. Ein größerer Fernseher, ein besseres Tablet, jedes Jahr das neueste Smartphone – Altes wird weggeworfen, obwohl es funktionstüchtig ist, weil nicht neu und nicht gut genug. Geplante Obsoleszenz ist die besonders kontroverse Variante.

Damit ist die absichtliche Verkürzung des Produktlebens gemeint, indem Hersteller Schwachstellen bewusst einbauen lassen. Durch Sollbruchstellen oder Zählwerke funktionieren die Geräte nach einer bestimmten Zeit nicht mehr. Bei modernen Druckern wurden schon eingebaute Chips entdeckt, durch die das Gerät nach einer bestimmten Anzahl an gedruckten Seiten nicht mehr betriebsfähig waren. Das volkswirtschaftliche Potential, das aus zu Bruch gehenden Konsumgegenständen erwächst, wurde bereits vor einhundert Jahren erkannt. Die Glühbirnenindustrie gilt als die erste Branche, die das Konzept realisierte. Lampenhersteller einigten sich 1924 auf eine Soll-Lebensdauer von maximal 1000 Stunden je Glühlampe, erst in den 1950er Jahren wurde die Praxis publik. Vorzeitige Obsoleszenz führt heute nicht zuletzt in Kombination mit niedrigen Preisen für Neugeräte zu vielen Konsumentinnen und Konsumenten, die neu kaufen, anstatt reparieren zu lassen.

„Die Preise für Elektroneugeräte im Einzelhandel sprechen nicht die soziale und ökologische Wahrheit“, sagt der Geschäftsführer des Reparaturzentrum R.U.S.Z Sepp Eisenriegler im Telefoninterview.


„Die Hälfte aller Kohlenstoffemissionen hängt
direkt mit unserem Konsum
zusammen.“
Sepp Eisenriegler

„Wir beuten nicht-regenerative Rohstoffe in Ländern des globalen Südens aus und verarbeiten sie meist in Schwellenländern, wo Arbeitskräfte ausgebeutet werden, zu Produkten weiter. Ohne diese doppelte Ausbeutung, die sich dann in billigen Preisen niederschlägt, könnten wir gar nicht so viele Elektrogeräte kaufen“, sagt er. Sepp Eisenriegler hat das Reparaturzentrum in Wien-Penzing 1998 ins Leben gerufen und engagiert sich seit Jahren auch auf EU-Ebene für die Modelle und Ideen der Kreislaufwirtschaft.

„Die Hälfte aller Kohlenstoffemissionen hängt direkt mit unserem Konsum zusammen“, sagt Sepp Eisenriegler. „Wenn man den reduziert, zum Beispiel durch langlebigere Produkte oder Reparatur von kurzlebigeren, dann hat man einen sofortigen Impact auf das Klima und damit ist jede Reparatur ein individueller Beitrag zum Klimaschutz“, sagt er. An der Ausarbeitung der neuen EU-Verordnung war Eisenriegler maßgeblich beteiligt, die Rede ist dabei auch vom „Recht auf Reparatur“. Die Hersteller gewisser Geräte müssen Reparaturbetrieben nun sieben bis zehn Jahre nach Einstellung der Produktion Ersatzteile und Reparaturanleitungen zur Verfügung stellen. Das betrifft zum Beispiel Kühlgeräte, Waschmaschinen, Geschirrspüler, Displays, aber auch externe Netzteile, Elektromotoren oder Kühlschränke in Supermärkten. Mit der neuen Verordnung will die EU die Transformation des Wirtschaftssystems hin zur Kreislaufwirtschaft vorantreiben und die CO2-Emissionen auf Dauer senken.

Auch das „Reparaturnetzwerk Wien“, das ausgewählte Fachbetriebe unter einem Schirm vereint, geht auf Eisenrieglers Initiative zurück und feierte bereits 20-jähriges Bestehen. Handyreparateure, ein „Puppendoktor“, Änderungsschneidereien, Uhrmacher, Bike-Stores, Shops zur Datenrettung – heute umfasst das Netzwerk mehr als 100 Unternehmen. Nicht zuletzt weil die Stadt Wien über den „Wiener Reparaturbon“ anbietet, in ausgewählten Aktionszeiträumen 50 Prozent der Kosten für eine Reparatur in einem dieser Betriebe, nicht mehr aber als 100 Euro, zu übernehmen. Ein Angebot, das laut Hadis Kendic viele Kunden des R.U.S.Z‘ in Anspruch nehmen.

„Etwa 90 Prozent der Kunden nutzen den Reparaturbon – so gut wie jeder, den wir über das Angebot informieren“, sagt er. Hadis Kendic arbeitet seit einigen Jahren im R.U.S.Z, er absolviert hier eine Lehre zum Bürokaufmann. An dem sonnigen Apriltag sitzt er am Empfang und führt durch die rustikalen Räumlichkeiten der Werkstätten. Schrauben und Kabel, Werkzeuge, Lötkolben, kleinste Einzelteile aus Kunststoff und Metall füllen die Werkbänke der unterschiedlichen Bereiche. Hintergrundkulisse in jedem Raum sind Regale voll mit gelb etikettierten defekten Geräten. „Günther ist unser Experte für Kaffeemaschinen“, sagt Kendic. Einige Räume weiter ist Herbert für feinteilige Reparaturen zuständig, gerade hat er sich einen DVD-Player vorgenommen und dessen Innenleben freigelegt. „Meistens ist es der Arbeitsaufwand, also die Zeit, die bei den Kosten für eine Reparatur ins Gewicht fällt“, sagt Kendic. „Je mehr kleine, mechanische Bauteile abgebaut werden müssen, um zum Schaden zu kommen, desto länger dauert es dann natürlich auch, alles wieder zusammenzubauen.“

Zur Zeit habe man viel zu tun im R.U.S.Z. „Wir merken, dass die Reparatur immer besser funktioniert, die Menschen haben mehr Motivation und erkennen, dass es eine Kostenersparnis für sie bedeutet“, sagt Kendic. Besonders häufig würden derzeit Audiogeräte zur Reparatur gebracht, man musste für ihre Lagerung zusätzliche Regale besorgen. „Ich persönlich habe ja den Eindruck, dass in Wien mehr Musik gehört als Brot gebacken wird”, sagt Hadis Kendic. Zumindest im Innenhof der Lützowgasse 12 lässt sich diese Vermutung bestätigen.


Interview mit Sepp Eisenriegler


Die Reparatur ist krisenresilient

Seit 1. März ist die neue Ökodesign-Verordnung der EU in Österreich in Kraft, die auf verbesserte Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit von Elektro- und Haushaltsgeräten abzielt. Sepp Eisenriegler, Geschäftsführer und Begründer des Reparatur- und Servicezentrum R.U.S.Z in Wien, war an der Entstehung der neuen Richtlinie maßgeblich beteiligt. Im Interview spricht er darüber, wie sich die Wirtschaftskrise auf die Reparatur auswirkt und wie er die Kreislaufwirtschaft seit 40 Jahren kämpferisch verteidigt.

Herr Eisenriegler, wie hat sich die Nachfrage im Reparatur- und Servicezentrum R.U.S.Z im vergangenen Jahr angesichts der Lockdowns entwickelt?

Wir hatten generell schwere Zeiten bis zum Jahr 2018. Danach ist ein enormer Bewusstseinswandel durch die Fridays-For-Future Bewegung eingetreten, das haben wir beim Reparieren gemerkt. Wir hatten erstmals einen kleinen Überschuss in der Bilanz 2019, Anfang 2020 dachte ich dann, es würde alles wieder den Bach hinuntergehen, weil wir im ersten Lockdown vier Wochen lang zusperren mussten. Wir konnten umsatztechnisch aber schnell aufholen und der Juli 2020 war der beste Monat aller Zeiten. Die Menschen haben Zeit verordnet bekommen, viele haben den Haushalt auf Vordermann gebracht, Garagen, Keller und Dachböden aufgeräumt. Dabei sind sie auf Dinge gestoßen, von denen sie schon vergessen hatten, dass sie sich in ihrem Besitz befinden, darunter auch Elektrogeräte, die schon ein paar Jahre am Buckel hatten. Viele haben dann die Entscheidung getroffen, die Sachen reparieren zu lassen, auch wegen ideeller Werte. Zu einem Röhrenradio hat ein Mensch meines Alters, der das noch als Kind erlebt hat und für den das neben dem Vierteltelefon der einzige Zugang zur Außenwelt war, einen besonderen Bezug. So sind wir zu Reparaturen gekommen, die wir vorher nicht bekommen hätten. Daraus und aus anderen Erfahrungen lässt sich der Schluss ziehen, dass sich Corona positiv ausgewirkt hat auf Themen wie Ressourcenschonung und Klimaschutz. Wir sind mit unserem Vor-Ort-Service jetzt Notfalldienstleister und dürfen auch in Corona-Zeiten zu den Leuten nach Hause kommen. Das Einzige, was wir schließen müssen, ist der Handel mit Second Life Geräten, Neu- und Mietgeräten. Diese Bereiche werden etwas leiden, aber ansonsten ist die Reparatur krisenresilient.

Bewirkt die Aktivität von FFF auch, dass mehr junge Leute ins Reparaturzentrum kommen?

Ja, tatsächlich. Was Klimaerwärmung mit Reparaturen zu tun hat, ist dabei ganz einfach – wenn man ein Produkt länger nutzt, dann muss kein neues hergestellt werden. In der Studie der UN Environment „Global Resources Outlook 2019“ ist abzulesen, dass die Hälfte aller CO2-Emissionen und Äquivalente darauf zurückgeht – in einem globalen Kontext wohlgemerkt –, dass wir natürliche Ressourcen abbauen und sie weiterverarbeiten zu Produkten. Die Hälfte aller Kohlenstoffemissionen hängt damit direkt mit unserem Konsum zusammen. Wenn man den reduziert, zum Beispiel durch langlebigere Produkte oder Reparatur von kurzlebigeren, dann hat man einen sofortigen Impact auf das Klima und damit ist jede Reparatur ein individueller Beitrag zum Klimaschutz. Wenn irgendwer fragt „Was kann ich schon beitragen“, dann sage ich, am einfachsten ist, du lässt deine Waschmaschine oder auch andere Elektrogeräte reparieren, wenn sie kaputt sind, anstatt neue zu kaufen.

Sie starteten im Jahr 1999 das Reparaturnetzwerk Wien, damals mit 23 Betrieben, inzwischen sind über 100 Fachbetriebe Mitglied. Wie entwickelt sich das Netzwerk, spüren kleinere Betriebe die Krise?

Bei den seriösen Reparaturdienstleistern sehe ich diese Gefahr nicht. Neue Mitglieder im Reparaturnetzwerk kommen in erster Linie wegen des großzügigen Angebots der Stadt Wien. Das ist auch gut so, dazu gibt es das ja, aber das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange, weil eine Reparaturförderung zwar überlebenswichtig ist einerseits, aber andererseits dient sie auch als Krücke. Eine Kommune ist nicht dafür da, das Marktversagen auszugleichen, dass es den Reparaturbetrieben insgesamt so schlecht gegangen ist, dass in den letzten zehn Jahren mehr als die Hälfte zugesperrt hat. Wir haben einen Durchschnittspreis für eine Vor-Ort-Reparatur an Haushaltsgroßgeräten von 150 Euro und sind immer wieder mit der Frage von Konsumentinnen und Konsumenten konfrontiert: „Zahlt sich das aus, weil um 250 Euro bekomme ich schon eine neue.“ Das ist zwar eine naive Herangehensweise, wenn man bedenkt, dass das neue, billige Gerät nach ein paar Jahren auch nicht mehr funktionieren wird, aber man muss schon sagen, dass die Preise für Elektroneugeräte im Einzelhandel nicht die soziale und ökologische Wahrheit sprechen. Wir beuten nicht-regenerative Rohstoffe in Ländern des globalen Südens aus und verarbeiten sie meist in Schwellenländern, wo Arbeitskräfte ausgebeutet werden, zu Produkten weiter. Ohne diese doppelte Ausbeutung, die sich dann in billigen Preisen niederschlägt, könnten wir gar nicht so viele Elektrogeräte kaufen. Jede Waschmaschine, die nicht wenigstens 600 Euro kostet, spricht preislich nicht die ökologische und soziale Wahrheit.

Sie haben an der Entstehung der neuen Ökodesign-Verordnung auf EU-Ebene mitgewirkt. In einem Interview mit ORF „Eco“ sagten Sie vergangenes Jahr: “Die Hersteller sind nicht die bösen Buben.” Wie kooperativ zeigte sich die Industrie bei den Verhandlungen?

Ich hätte das vor meinem Engagement in Brüssel, das 2016 begonnen hat, um die von uns entwickelte österreichische Norm möglichst unbeschadet durch den EU-Standardisierungsprozess zu bringen, wahrscheinlich noch anders beantwortet. Aber ich bin jetzt alle zwei Monate in Brüssel mit Industrielobbyisten zusammengekommen und wir haben europäische Standards entwickelt, die die frühzeitige Obsoleszenz weiter bekämpfen. Eine der großen Nummern im Konzern „Bosch Siemens Hausgeräte“ sagte zu mir sinngemäß: „Weißt du, Sepp, wir wissen schon lange, dass diese ressourcenvernichtende Produktion so nicht weitergehen kann, aber wir hätten niemals selbst angefangen, bessere Materialien zu verwenden, langlebigere Produkte zu designen und die Reparaturanforderungen zu berücksichtigen, weil uns das am Weltmarkt einen Nachteil gebracht hätte. Jetzt, wo es für alle gilt, sind wir mit Feuereifer dabei.“ Und das hat man auch an seinem Verhalten den ganzen Standardisierungsprozess hindurch gemerkt. Ich will damit sagen, dass die Hersteller nicht die „bösen Buben“ sind, sondern selbst Getriebene. Sie sind verhaftet in einem linearen Wirtschaftssystem, das auch als „take-make-dispose economy“ bekannt ist und in dem man sehr rohstoffintensiv kurzlebige Produkte erzeugt, die möglichst schnell zu Abfall werden sollen. Im Projekt PROMPT entwickeln wir zusätzlich unabhängige Testmethoden gegen frühzeitige Obsoleszenz. Das ist sozusagen die zweite Daumenschraube, die wir den internationalen Herstellern und Importeuren anlegen. Das wird zur Folge haben, dass ab 2025 der Schrott, den wir heute noch kaufen können, nicht mehr in der EU verkauft werden darf. Damit bin ich endlich da, wofür ich seit 40 Jahren kämpfe, oft gegen große Widerstände.

Die geplante oder zumindest einkalkulierte Obsoleszenz von Produkten wurde beginnend mit der wirtschaftlichen Depression der 1920er und 1930er Jahre auch als Weg diskutiert, den Konsum und die Wirtschaft anzukurbeln. Ist die Obsoleszenz von Produkten damit nicht der Motor unseres  Wirtschaftssystems?

Naja, auch. Gerade in den 1920er Jahren hat sich der Neffe von Sigmund Freud, Edward Bernays – er gilt heute unter anderem als Vater der modernen PR – in den USA für eine Idee engagiert. Er hat schon damals postuliert, dass es bei Produkten gar nicht um den Produktnutzen geht, sondern lediglich um den Ausdruck, „express yourself!“ war die Devise. Man definiert sich über die Statussymbole, die jeder sieht, wenn man wo hinkommt – sei es ein Auto oder das neueste iPhone. Das sind die entscheidenden Kriterien, warum Leute so viele unnütze Dinge einkaufen und das immer wieder und immer schneller tun. „Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, mit Geld, das wir nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen“ sagte Will Rogers, ein US-amerikanischer Komiker, bereits in den 1930er Jahren.

Sie sprechen über psychologische Obsoleszenz, die dadurch entsteht, dass Produkte weggeworfen werden, weil sie nicht neu beziehungsweise nicht „hip“ genug sind.

Genau und dagegen gilt es anzukämpfen. Ich spreche jetzt eines meiner Lieblingsthemen an, über das sonst selten geredet wird; es braucht Werberegulierungen. Wir empfangen pro Tag 5.000 Werbebotschaften und ob wir es mitbekommen, oder nicht: sie wirken. Würden sie nicht wirken, würde die Industrie nicht weltweit mehr als 600 Milliarden US-Dollar im Jahr für Werbung ausgeben. Wenn man auf die böse Idee kommt, einen Ersatz für einen Kaffeevollautomaten – nämlich eine Kapselmaschine – als Anreiz dafür zu verkaufen, dass man danach 100 Euro pro Kilo Kaffee bezahlen muss, dann ist das ein Beispiel dafür, wie man ein völlig falsch designtes Produkt marktgängig macht und damit noch Profit erzeugt. Und man produziert dabei auch noch sehr viele Abfälle.

Im Lebensmitteleinzelhandel wird oft mit der Macht des Konsumenten argumentiert, unsere Kaufentscheidungen würden das Angebot direkt beeinflussen. Wieviel Macht hat der Konsument im Elektromarkt?

Die Macht der Konsumenten ist eine Ausrede. Der erfolgreichste Werbeslogan aller Zeiten war „Geiz ist geil“. Wenn Einzelhandelsketten mit besonderen Schnäppchen und Aktionen werben, dann können sie nachher nicht sagen, die Konsumentinnen und Konsumenten könnten ja, wenn sie wollen, das teurere oder nachhaltigere Produkt kaufen. Die Konsumenten alleine sind nicht in der Lage, solche tradierten Strukturen aufzubrechen. Aber es ist gut, wenn sie immer wieder sagen, was sie wollen, wenn das dann gefördert wird durch diverse NGOs, die als Stakeholder in politischen Prozessen, wo es um Ordnungspolitik in der EU geht, diese Forderungen vortragen. Und wenn dann die EU-Kommission wie in Sachen Kreislaufwirtschaft eine Ordnungspolitik betreibt, die dem entspricht. Diese drei Dinge brauchen wir wirklich.

Sie sind seit Jahrzehnten ein starker Bewerber und Verfechter der Kreislaufwirtschaft. Harald Gründl vom Design-Studio EOOS sagte im ORIGINAL-Interview: “Die Kreislaufwirtschaft ist die einzige Möglichkeit, wie wir als Menschheit weiter existieren können.” – Würden Sie es auch so formulieren?

Sagen wir so, es ist die einzige Möglichkeit, die politisch anschlussfähig ist. Was ich mir viel mehr wünsche, und daran werde ich auch noch mitarbeiten, das ist die Postwachstumsökonomie. Die Kreislaufwirtschaft hat viele Vorteile und sie ist tatsächlich in der Lage, unseren Ressourcenverbrauch von unserem werbeinduzierten Lebensstandard abzukoppeln. Ein Beispiel: Ich muss eine Waschmaschine nicht in mein Eigentum übertragen, um das zu bekommen, was ich wirklich brauche, nämlich saubere Wäsche. Es wäre wesentlich besser – vom Aspekt der Convenience, von der Planbarkeit der Kosten her – eine Waschmaschine zu mieten. Wir haben die Produktdienstleistung „Saubere Wäsche“ im R.U.S.Z vor dreieinhalb Jahren gestartet und haben gemerkt, die österreichische Seele ist noch nicht so weit. Wir haben bis jetzt etwa 50 unterschriebene Mietverträge, das ist nicht viel. Aber ich merke immer wieder, dass das Angebot interessiert von gewerblichen Nutzern wahrgenommen wird. Wir haben zum Beispiel mit den Johannitern seit zweieinhalb Jahren eine gute Kooperation. Wenn sie ein Flüchtlingscamp oder Wohnhäuser für Unterstandslose eröffnen, dann machen sie das mit unseren Mietwaschmaschinen, weil sie keine kaufen wollen, die dann schnell kaputt gehen. Das hat auch den Grund, dass wir hochwertige Waschmaschinen zum Vermieten verwenden. Wenn dieses Gedankenexperiment, das seit 30 Jahren einen überbordenden wissenschaftlichen Hintergrund hat, weitergeführt wird, dann täten internationale Hersteller gut daran, auf dieses neue Geschäftsmodell umzustellen, weil sie anders in Zukunft wahrscheinlich keine Dividenden mehr ausbezahlen können.

Gemäß der Studie „Economic Growth Potential of More Circular Economies“ können bei kontinuierlicher Entwicklung der Kreislaufwirtschaft bis 2030 in Europa 1,2 Millionen Arbeitsplätze, davon 25.000 in Österreich geschaffen werden. Finden Sie, dieses Potential wird auf bundespolitischer Ebene entsprechend gewürdigt?

Nein, wird es definitiv nicht, zumal mir die Mitchell-Studie mit ihren Berechnungen sehr vorsichtig erscheint, in Wahrheit ist das Potential noch viel größer. Was ich in Österreich merke, ist, dass es noch immer keine klare Linie gibt. Auch wenn im Regierungsprogramm steht, dass von diversen Maßnahmen für die Kreislaufwirtschaft bis hin zur ökologischen Steuerreform alles in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden soll, dann muss ich sagen, es beginnt sehr zögerlich. Wir müssen der Realität in die Augen sehen: Solange es diese Ordnungspolitik, die in der EU jetzt schon sehr weit gediehen ist, nicht als Verpflichtung für die einzelnen Mitgliedstaaten gibt, werden diese sich nicht bewegen. Wir haben schon etwas vorzuweisen, die neue Ökodesign-Verordnung hat in Österreich schon Gültigkeit und sie zeigt, wohin der Weg geht.

Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten hunderten Langzeitarbeitslosen, Menschen mit Behinderung, Geflüchteten und Migranten über die Arbeit im R.U.S.Z zu einer sicheren Ausbildung und Existenzgrundlage verholfen, auch politisch engagieren Sie sich seit Jahrzehnten beherzt. Was ist Ihr Motor?

In erster Linie das Wissen darum, dass ich das Richtige tue, im Gegensatz zu vielen, vielen anderen. Ich bin von der Grundausbildung her AHS-Lehrer, mein Hauptfach war Geographie und ich habe mich schon vor 40 Jahren mit der Tragfähigkeit des Planeten Erde beschäftigt. Damals ist es um die Ernährung von bald zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten gegangen und wir haben bereits als Studenten Modelle entwickelt, wie sich das bei schrumpfender landwirtschaftlicher Nutzfläche ausgehen kann. Wie Sie sich vorstellen können, sind wir auf ganz andere Lösungen gekommen, als sie die Nahrungsmittelindustrie heute praktiziert. Wir brauchen regionale Wirtschaftskreisläufe, wir müssen die Arbeit finanziell entlasten und die kritischen Ressourcen besteuern. Mit rückläufiger arbeitender Bevölkerung kann man nicht aufrechterhalten, dass das Staatsbudget gespeist wird aus Steuern, die auf Arbeit geleistet werden. Diese Argumentationskette treibt mich an, aber an erster Stelle, dass es das Richtige ist. Der Schwenk der in der Ordnungspolitik vollzogen wird, und die Bewusstseinsbildung bei zumindest einem Teil der Konsumentinnen und Konsumenten zeigt mir, dass ich am richtigen Weg bin.



>> Und hier finden Sie das
ORIGINAL-Interview mit Harald Gründl vom Design Studio EOOS.


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