„Die Satire kann dort hineinfühlen, wo es wehtut“

Foto Julia Geiter
Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh leiten das Filmfestival „Diagonale“ in Graz seit der Ausgabe 2024 als Duo. Im Interview mit dem ORIGINAL Magazin sprechen sie über das diesjährige Programm, politische Sorgen, budgetäre Herausforderungen und Nachhaltigkeit.
Von Sabina Zeithammer
Als Leitung der „Diagonale“ haben Sie das Festival unter anderem der Internationalität geöffnet sowie die Veranstaltungsreihe „Forum“ im Volkskundemuseum begründet. Wie sind diese Ideen in Ihrer ersten Ausgabe 2024 angekommen?
Claudia Slanar: Das Konzept ist tatsächlich sehr gut aufgegangen. Unser zusätzlicher Ort, der Heimatsaal im Volkskundemuseum, in dem Filme gezeigt werden, Diskussionen und Branchentreffen stattfinden, hat sich als Treffpunkt etabliert, wo man sich austauschen und verweilen kann.
Dominik Kamalzadeh: Die Internationalität wurde vielfach gewünscht und entspricht der Branchenentwicklung. Mit dem deutschen Regisseur Christoph Hochhäusler hatten wir auch einen wunderbaren Gast.
Heuer führen Sie Ihr Konzept fort und stellen das Werk der griechischen Filmemacherin Athina Rachel Tsangari vor. Warum haben Sie sie ausgewählt?
Kamalzadeh: Athina Rachel Tsangari ist als Regisseurin und Produzentin unglaublich energisch und vital. Als Filmemacherin verfolgt sie eine eigenwillige, spannende Ästhetik. Es geht in ihren Filmen oft um Paarbeziehungen, um Genderfragen, aber jenseits der politischen Grabenkämpfe. Bei ihr hat es eher etwas Verkorkstes, Weirdes. Die Welt wird von ihr durch ein surrealistisches Kaleidoskop betrachtet.
Eine zweite „Position“ ist der österreichischen Filmemacherin Ivette Löcker gewidmet. Wie ist die Wahl auf sie gefallen?
Slanar: Ausschlaggebend war, dass gerade ihr neuer Film „Unsere Zeit wird kommen“ fertig geworden ist, der auf der „Diagonale“ Premiere feiern wird. Ivette Löcker hat ein kleines und feines dokumentarisches Werk geschaffen, in dem es immer um Beziehungsgeflechte geht, die sie äußerst behutsam Schicht für Schicht enthüllt.
Kamalzadeh: „Unsere Zeit wird kommen“ handelt von der Beziehung zwischen einem Mann aus Gambia und einer Österreicherin. Es ist ein unglaublich feinsinniger Film, der die Differenzen, die in dieser Beziehung aufbrechen, auch respektiert. Genau das gelingt gesellschaftlich oft nicht: Wir respektieren das Anderssein nicht und versuchen gerne, alles einzuebnen.
Welcher Film eröffnet das Festival?
Kamalzadeh: Eröffnungsfilm ist Florian Pochlatkos Debütlangfilm „How to Be Normal and the Oddness of the Other World“. Er erzählt von einer jungen Frau, die gerade aus der Psychiatrie entlassen wurde. Der Film behandelt weniger psychische Probleme, sondern lässt sich auf ihre Art ein, die Welt zu erleben. Wobei permanent unklar ist, was Realität und was Einbildung ist.
Slanar: Pochlatko bedient sich unterschiedlichster Genres und probiert auch formal viel aus. Das hat uns fasziniert. Und es ist auch ein Film, der sehr ans Herz geht.
Ein großes historisches Special trägt den Titel „Österreich – Eine Satire“ und enthält Werke aus den Jahren 1976 bis 1989. Was hat Sie am Thema Satire gereizt?
Slanar: Die Satire kann realpolitische Verhältnisse karikieren oder ad absurdum führen beziehungsweise überhaupt dort hineinfühlen, wo es wehtut. Wir haben uns auf den Zeitraum der 1970er und 1980er Jahre fokussiert, weil da im österreichischen Film sehr viel passiert ist und viele Dinge aufgebrochen sind. Die ausgewählten Filme beziehen sich auf einer satirischen Ebene auf politische Aspekte, aber auch auf ein Stadtgefüge, das damit zusammenhängt. Oder es werden darin Körperpolitiken, die frühe Konsumgesellschaft oder das Patriarchat kritisiert und ausgehebelt.
Was sind generell Herausforderungen, die Sie heuer beschäftigen?
Kamalzadeh: Eine Herausforderung wird sein, dass wir unseren Vorstellungen weiterhin gerecht werden. Ansonsten sind wir mit budgetären Fragen beschäftigt. Wie andere Festivals kämpfen wir permanent um Förderungen. Die aktuelle Ausgabe ist mit einem Budget entstanden, das realiter stagniert und angesichts steigender Kosten also zurückgegangen ist.

Wir verlosen 2×2 Karten für den Eröffnungsfilm!
How to be Normal and the
Oddness of the Other World
19:30 Uhr, Helmut List Halle, Graz
Einfach eine E-Mail mit dem Betreff:
Diagonale Eröffnung 2025 an
redaktion@original-magazin.at senden.
Einsendeschluss ist der 24. März 2025
Keine Barablöse möglich. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Die Auszeichnungen am Ende der „Diagonale“ gestalten sich stets als wahrer Verleihmarathon. Gibt es hier Neuerungen?
Kamalzadeh: Bei den Preisen ändert sich grundsätzlich nichts, wir haben ja dankenswerterweise sehr großzügige Stifterinnen und Stifter. Das ist ein Asset der „Diagonale“, sie ist in Österreich das Festival mit dem größten Preisvolumen für Filmemacherinnen und Filmemacher und die Gewerke. Eine Besonderheit ist überhaupt, dass Letztere so stark sichtbar gemacht werden.
Das Festival hat einen Nachhaltigkeitsschwerpunkt unter dem Label „„Diagonale“ #denktweiter“. Darunter fallen nachhaltig produzierte Drucksorten, regionale und biologische Caterings, Abfallvermeidung, der Einsatz von Mehrwegflaschen, nachhaltige Mobilitätsangebote und vieles mehr. Haben Sie das Gefühl, dass das etwas bringt?
Slanar: Für uns ist es ein unverzichtbarer Teil des Festivals, der eine lange Tradition hat. Die „Diagonale“ war eine der ersten Organisationen, die sich darauf fokussiert haben. Unter dem Namen „„Diagonale“ Goes Green“ gibt es die Kampagne seit 2011, „#denktweiter“ seit 2016. Und was in den vergangenen Jahren noch dazugekommen ist, ist die Möglichkeit der „Diagonale“, andere Festivals und Organisationen zu zertifizieren. Je mehr Unternehmen und Organisationen diese Politik verfolgen, desto mehr Ausstrahlungseffekte gibt es.
Auf dem internationalen Filmparkett sind Frauen, so scheint es jedenfalls bei großen Festivals und Preisverleihungen wie den Oscars, stark unterrepräsentiert. Wie geht die „Diagonale“ damit um? Es gibt ja keine Quote in der Auswahl, richtig?
Kamalzadeh: Es gibt keine Quote, die in irgendeinem Statut steht, aber wir haben die Quote im Kopf.
Slanar: Genau, das läuft immer mit und ist uns bewusst. Und von den Einreichungen her ist es nie ein Problem. Wir müssen wirklich nicht sagen: Oh Gott, es gibt ja keine Filme von Frauen! (Lacht) Oder das Uraltargument, das immer noch herumgeistert: „Na die sind nicht so gut.“ Das war ganz lang so, in allen möglichen künstlerischen Bereichen. Das trifft überhaupt nicht zu.
Kamalzadeh: Natürlich haben wir es ein bisschen leichter, weil wir viele Debütfilme zeigen, mehr als andere Festivals. Und unter den Erstlingsfilmen finden sich tatsächlich mehr Werke von Frauen. Es ist statistisch wahrscheinlich immer noch so, dass es mehr Debüts von Frauen gibt als zweite, dritte, vierte Filme.
Zum Abschluss bitte noch ein paar Filmtipps.
Kamalzadeh: „Noch lange kein Lipizzaner“, der erste Langdokumentarfilm von Olga Kosanović, passt gut in den gegenwärtigen Moment. Es geht darin auf sehr originelle und auch komische Weise um die Frage, warum der Regisseurin, obwohl sie in Österreich geboren wurde, hier studiert hat und eine erfolgreiche österreichische Künstlerin ist, bis heute die österreichische Staatsbürgerschaft verwehrt geblieben ist.
Slanar: Dann tippe ich ein Spielfilmdebüt, der Roadmovie „Callas, Darling“ der Burgschauspielerin und Filmemacherin Julia Windischbauer. Es handelt von zwei Frauen aus unterschiedlichen Generationen, die gemeinsam nach Albanien fahren. Für die eine wird es eine Reise in die Vergangenheit, für die andere eine Reise zu sich selbst.
Und noch ein Kurzfilm?
Kamalzadeh: Da fällt mir „The Great Thaw“ ein, ein mittellanger, experimenteller Film über das Schmelzen der Gletscher in der Arktis, der permanent von Tropfgeräuschen begleitet wird. Das Regieduo Michaela Grill und Karl Lemieux komponiert damit eine ganz eigene, traurige Symphonie des Verschwindens.
Filmfestival Diagonale. 27. März – 1. April 2025, Graz. diagonale.at