Die schweren Brocken kommen erst
Um als erster Kontinent bis 2050 CO2-neutral zu sein, muss Europa die Mobilität von fossiler auf saubere Energie umstellen. Vorreiter sind auch in Österreich die Pkw.
Von Maria Brandl
2008 entstand in Vorarlberg mit der „Vlotte“ die erste Modellregion für Elektro-Mobilität Österreichs. „Damals gab es noch nicht einmal Ladestellen oder serienmäßige Elektroautos zu kaufen, abgesehen vom Think City“, erinnert sich Martin Seeberger, Leiter Versorgung und Dienstleistung bei der illwerke vkw AG, die das Projekt leitete. Der Think City aus Norwegen war eines der ersten Elektroautos in Europa vor knapp 20 Jahren. Es handelte sich um einen sehr spartanisch ausgestatteten Kleinwagen für zwei Personen.
Mittlerweile hat sich vieles verändert. Nach Abschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 verschärfte die EU sukzessive die CO2-Ziele zuerst für Pkw und ab 2019 auch für Lkw. Heute sind die CO2-Vorgaben für Neuwagenflotten nur mehr mit einem bedeutenden Anteil an emissionsfreien Fahrzeugen zu erreichen. Das sind jene, die mit Strom oder grünem Wasserstoff fahren. Grüner Wasserstoff wird mit Ökostrom via Elektrolyse erzeugt. Überschreitungen der CO2-Vorgaben können die Hersteller Milliarden kosten. Gleichzeitig sorgen die Staaten durch Maut- und Steuerregelungen sowie Förderungen für zusätzliche Anreize zum Umstieg. In Österreich sollen laut Mobilitäts-Masterplan der Bundesregierung ab 2030 nur noch emissionsfreie Pkw neu zugelassen werden.
2021 erreichte der Anteil emissionsfreier, das sind praktisch ausschließlich batterieelektrische Pkw, 13,9 Prozent an den heimischen Pkw-Neuzulassungen. Bei den „schwereren Brocken“ wie Transit-Lkw, Schiffen, Bahn und Flugzeugen herrscht weitestgehend Technologieoffenheit.
Von der Tankstelle zur Ladestelle
Vielen Privatkunden sind E-Autos aber trotz Förderung noch zu teuer. Dazu kommt die Angst vor mangelnder Kostentransparenz an öffentlichen Ladestellen. Letztere will die EU beseitigen. Künftig sollen öffentliche Ladestellen geeicht sein und den Preis pro Kilowattstunde anzeigen und verrechnen. Bestehende Ladesäulen sollen bis 2028 umgerüstet werden. In Österreich wird für heuer ein entsprechendes Gesetz erwartet. Jene Ladestellen, die nicht umgerüstet werden können, sollten jedoch nicht durch neue ersetzt werden müssen, fordern Experten. Das Geld solle lieber für zusätzliche Ladepunkte genutzt werden.
Das Geld brauchen die Betreiber der Ladestellen umso nötiger, als gewaltige Investitionen in Gleichstrom-Schnellladeparks mit 300 Kilowatt Ladeleistung nötig werden. Ein EU-Entwurf sieht Schnellladestationen alle 60 bis 100 Kilometer an frequentierten Autobahnen vor. Damit werden E-Autos auch ohne Riesenbatterien weitstreckentauglich. Ein Schnellladepark mit etwa 20 Ladepunkten kostet mehrere Millionen Euro, so Seeberger von der illwerke vkw.
Noch viel teurer wird die Infrastruktur für das geplante Schnellladen für Lkw werden. Mit einer Leistung von 1,5 Megawatt könnte ein Schwer-Lkw in 45 Minuten Strom für einen Tag laden, sagte Johnny Nijenhuis auf der El-MOTION 2022, einem Fachkongress für E-Mobilität. Forschungsprojekte dazu laufen bei der EVN und bei Netz Niederösterreich.
Am billigsten laden E-Fahrer aktuell zu Hause oder in der Firma, wo weiterhin 80 bis 90 Prozent der Ladevorgänge stattfinden werden, wie die Branche schätzt. Dank bidirektionalem Laden können E-Auto-Besitzer ihre Autobatterie auch als Zwischenspeicher
nutzen.
Große Fortschritte gibt es bei den Batterien. Die in der öffentlichen Diskussion gehypten Feststoffakkus, die anstelle eines flüssigen einen festen Elektrolyten besitzen und vor allem höhere Reichweiten als bisherige Lithium-Ionen-Batterien versprechen, verzögern sich jedoch weiter. Ihre Vorteile schrumpfen, auch die gefürchtete Brandgefahr der Lithiumakkus wird mit Feststoffakkus nicht beseitigt, so Martin Winter von der Universität Münster in einer Diskussion der Automobilwoche.
Noch in den Kinderschuhen steckt das Recycling. Bis 2030 rechnen Experten mit 10.000 bis 20.000 Tonnen Batterieabfall bei uns und Österreich hat bislang keine Batterierecyclinganlage. Wichtige Vorarbeit leisteten die Montanuniversität Leoben und der steirische Entsorgungsspezialist Saubermacher/Redux, der in Deutschland eine Anlage betreibt.
Tipp der Redaktion.
Gespräch mit Christian Clerici
im ORIGINAL-Podcast
original-magazin.at/podcast
Alternativen im Hintergrund
Ruhiger ist es bei uns um den Wasserstoffantrieb mit Brennstoffzellen geworden, eine andere Form der E-Mobilität. Der Strom für den E-Motor wird dabei an Bord aus Wasserstoff in Brennstoffzellen erzeugt. Dieser kostet an der Zapfsäule laut OMV rund zehn Euro pro Kilogramm, damit fährt ein Pkw rund 100 Kilometer. Asien, allen voran Japan, Südkorea und China, wollen auch hier die Führung bei der Entwicklung und Produktion des Brennstoffzellenantriebs übernehmen. Dabei können „gerade österreichische Firmen und Forschungseinrichtungen hier viel Expertise einbringen“, ist Alexander Trattner, Leiter des heimischen Wasserstoff-Forschungszentrums HyCentA in Graz, überzeugt. Der erste Wasserstoff-Cluster entstand in Tirol. Die Zillertalbahn will etwa auf Wasserstoffbetrieb umrüsten. Produktionen für grünen Wasserstoff ziehen auch die OMV oder die Energie Steiermark hoch.
Noch länger auf sich warten lassen so genannte E-Fuels, synthetische Kraftstoffe, die mit Ökostrom und CO2 aus der Luft oder Industrieabgasen erzeugt werden. Ihr Nachteil: Sie brauchen rund fünfmal so viel Ökostrom wie der direkte Einsatz von Strom im Fahrzeug. Aber sie sind gerade dort einsetzbar, wo Batterien zu schwer oder zu unflexibel sind, etwa im Schwer- und Langstrecken-, Flug- und Schiffsverkehr. Sie benötigen vielfach keine neue Tankinfrastruktur, können fossilem Sprit auch beigemengt werden und als Stromspeicher dienen.
Doch sie gelten nicht als emissionsfrei, denn die EU-Gesetze berücksichtigen derzeit nur den CO2-Ausstoß zwischen Tank und Auspuff. An einer gesamtheitlichen Ökobilanz, die von der Herstellung der einzelnen Materialien und Kraftstoffe über den Betrieb bis zur Verwertung des Altfahrzeugs alles umfasst, wird gearbeitet. Erst diese Gesamtlebensbilanz für ein Fahrzeug zeigt den wahren Öko-Fußabdruck einer Technologie. „Es ist besser, sich der Realität zu stellen, sie holt uns ohnehin ein“, merkte dazu vor kurzem Luca de Meo auf dem Internationalen Wiener Motorensymposium an. De Meo ist Geschäftsführer (CEO) der Renault-Gruppe, einer Vorreiterin der E-Mobilität in Europa.
Nähere Informationen zu Förderungen unter:
emob.klimafonds.gv.at
Interview mit Wolfram Senger-Weiss, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Gebrüder Weiss
Gebrüder Weiss aus Vorarlberg zählt mit einem Konzernumsatz von rund 2,5 Milliarden Euro und rund 8.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu den größten Logistik- und Transportunternehmen Europas. Im Schwerverkehr sind mehr als 3.500 Lkw für sie unterwegs, rund 150 bis 200 Fahrzeuge besitzt die Firma selbst. Der Umstieg auf alternative Antriebe bei den firmeneigenen Fahrzeugen soll einen wesentlichen Beitrag zum Ziel leisten, bis 2030 klimaneutral zu sein. Vor vier Jahren wurde der erste batterieelektrische Lkw übernommen, vor einem Jahr ein weiterer E-Lkw sowie ein Brennstoffzellen-Wasserstoff-Lkw.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit den beiden emissionsfreien Antrieben in der Praxis?
Wolfram Senger-Weiss: Mit der Zuverlässigkeit und der schnellen Alterung der Batterien im E-Lkw sind wir noch nicht zufrieden. Die Batterien sind zu schwer, das System zu wenig flexibel und die Ladezyklen zu lang. Ein batterieelektrischer Antrieb macht nur auf kurzen Distanzen oder im Zustellverkehr mit kleineren Fahrzeugen Sinn. Einer unserer E-Lkw ist zwischen Wien und Bratislava unterwegs. Die Strecke entspricht ungefähr der Reichweite, sofern es keinen Stau gibt. An beiden Orten wird geladen.
Im Lkw-Fernverkehr dürfte sich wahrscheinlich Wasserstoff als Kraftstoff durchsetzen, auch wenn es ergänzend Alternativen wie Biogas und E-Fuels gibt. Unsere Erfahrungen mit dem Wasserstoff-Lkw sind sehr gut. Er hat in einem Jahr gut 70.000 Kilometer zurückgelegt und damit rund 80 Tonnen CO2 gespart. Er funktioniert einwandfrei. Da das Fahrzeug in der Schweiz von der Maut befreit ist, ist es für uns in der Nutzung auch wirtschaftlich darstellbar.
Planen Sie, weitere Wasserstoff-Lkw anzuschaffen?
Ja, wir wären durchaus auch in Österreich und Deutschland daran interessiert. Aber ein Wasserstoff-Lkw kostet derzeit ungefähr das Vierfache eines Diesel-Lkw. Auch der Kraftstoff Wasserstoff ist teurer. Die EU hat das Problem erkannt und lässt eine Förderung von bis zu 80 Prozent der Mehrkosten zu. 20 Prozent müssen die Nutzer übernehmen. In Österreich hat sich eine Gruppe von Unternehmen zum Konsortium „H2-Mobility Austria“ zusammengefunden, das 2.000 Lkw mit Wasserstoff bis 2030 auf die Straße bringen will. Noch fehlt dazu aber der Förderrahmen.
Wie sehen Sie den geringeren Wirkungsgrad des Wasserstoffantriebs?
Der Umweg über Wasserstoff wird immer weniger effizient sein als ein direkter elektrischer Antrieb mit Batterien oder Oberleitung. Aber das nützt nichts, wenn diese Lösungen für viele Anforderungen in der Logistik nicht einsetzbar sind. Und bevor wir Autobahnen durch Oberleitungen elektrifizieren, sollten wir die Bahnstrecken elektrifizieren.
Interview mit Markus Tatzer, Geschäftsführer der MOON POWER
MOON wurde 2019 als Tochter der Porsche Holding Salzburg gegründet. Das Unternehmen bietet Firmen- und Privatkunden Systemlösungen für das elektrische Laden. Anfang des Jahres wurde die größte E-Ladegarage Vorarlbergs im Silvretta Park Montafon mit 50 Ladestationen von MOON POWER eröffnet. MOON ist in 18 Ländern tätig und beschäftigt rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Momentan betreibt die Firma rund 800 öffentliche Ladepunkte in Österreich und verkauft pro Jahr rund 5.000 Wallboxes – kompakte Ladeboxen an der Wand – in Österreich, 10.000 in Europa.
2021 war ein Rekordjahr für batterieelektrische Pkw. Das liegt vor allem an Firmenkunden. Warum?
Das große Interesse von Firmenkunden ist hauptsächlich durch die steuerlichen Vorteile bedingt. Bei Privatkunden braucht es mitunter noch Aufklärung, da gibt es teilweise Vorbehalte bei Reichweite und Ladeinfrastruktur.
Ein großes Ärgernis waren immer die vielen Ladekabeltypen.
Wir haben Ladesysteme mit jedem Stecker. Vom regelmäßigen Laden mit Schukostecker (Anm. Haushaltsstecker) raten wir ab, vor allem weil Haushaltssteckdosen für diese Dauerlast nicht ausgelegt sind. Mehr Sinn machen kann er für Plug-in-Hybride, die kleinere Batterien haben. Um Lastspitzen, die die Haushaltsstromrechnung in die Höhe treiben, zu vermeiden, empfehlen wir Stromspeicher. So lässt sich eine ausgediente E-Autobatterie als „Second Life-Anwendung“ einsetzen. Für „Laternenparker“ können Energiegemeinschaften interessant sein. Dort können Mitglieder laden oder auch ein E-Auto teilen. Grundsätzlich braucht es ein besseres Zusammenspiel zwischen Netzanbieter, Stromerzeuger und Industrie.
Mit welchen Kosten muss ein Privatkunde für das Laden zu Hause rechnen?
Für Kunden, die einen Starkstromanschluss zu Hause haben, bieten wir das Power2go-Ladekabel, ein Komplettset um 700 Euro. Eine Wallbox (11 kW) kostet ohne Montage ab rund 500 Euro, ein Ein-Familien-Paket samt Photovoltaik-Anlage (10 kW Peak), kleinem Speicher (10 kWh) und Ladebox wird auf rund 20.000 Euro kommen. Alle Preise sind Nettopreise nach Abzug der Förderungen.