Die Sharing Economy ist tot. Lang lebe die Sharing Economy!

In Amsterdam stellt die Stadt zudem öffentliche Sharing-Angebote zur Verfügung, um den Wohnraum nicht weiter zu verknappen.

Ende der 2000er Jahre wurde das Teilen als heilbringende Wirtschaftsform propagiert: Sharing Economy ändere das Konsumverhalten, schone Ressourcen und bringe Menschen zusammen. Seit Corona scheint der Hype abgeflaut, doch die Prinzipien haben sich vielerorts etabliert.
Von Doris Neubauer

Dank Foodsharing landen zigtausende Lebensmittel auf dem Teller, statt in der Tonne. Carsharing reduziert das Verkehrsaufkommen und damit den CO2-Ausstoß. In Gemeinschaftsgärten können diejenigen Tomaten und Zucchini anbauen, die zuhause keinen Platz haben; und wer die Bohrmaschine mietet, muss sie nicht teuer anschaffen. Zusätzlich beschere das Verleihen dem Besitzer eine Einkommensmöglichkeit. Es sind nur einige der großen Versprechen, die Befürworter der modernen Sharing Economy seit deren Aufkommen während der Finanzkrise 2007 propagiert haben.

„Diskurs und Erwartungen waren sehr hoch“, bestätigt Dominika Wruk, Juniorprofessorin an der Universität Mannheim. „Empirische Befunde, dass dem so ist“, fehlten aber, als sie sich 2015 im Rahmen des Forschungsnetzwerks „i-share“ erstmals mit der Sharing Economy beschäftigte. Letztere lieferten die Forschenden durch die Befragung von rund 500 Organisationen in Deutschland – von Carsharing bis zum Gemeinschaftsgarten – nach, und kamen 2022 in ihrem „i-share“ Report III zum Schluss: Die Sharing Economy entfaltet aktuell insbesondere soziale Wirkungen.

Teilen gegen Einsamkeit
Schon 2013 warb die südkoreanische Hauptstadt Seoul, die sich als erste „Sharing City“ der Welt verstand, damit, dass das Teilen von Wohnungen die fortschreitende Vereinsamung in der Millionenstadt lindern und die hohe Selbstmordrate senken könnte. Die hehre Erwartung wurde zwar nicht erfüllt. Sharing-Initiativen wie Tauschmärkte oder Gemeinschaftsgärten bringen aber sehr wohl Menschen zusammen – als Kunden, ehrenamtliche Mitarbeitende oder Anbieter von Produkten, Leistungen oder Arbeitskraft. Ganze 13 Millionen Interaktionsstunden pro Monat hat das Team von „i-share“ bei den deutschen Organisationen gezählt und vermutet, dass diese den Zusammenhalt der Gruppe verbessern. „Spannend ist, dass viele Interaktionen unter Menschen stattfinden, die sich zuvor nicht kannten“, so die Leiterin der interdisziplinären Gruppe „platforms2share“.

Auch ökologisch messbare Vorteile nannte der Forschungsverbund in seinem Report: „Bei Repair-Cafés konnten Neuanschaffungen vermieden werden, Community-Gärten führen dazu, dass weniger Lebensmittel gekauft werden“, zählt Wruk Beispiele auf. Im Report wird von monatlichen Einsparungen in der Höhe von 64.000 Tonnen CO2-Äquivalenten berichtet.

Die ökonomische Wirkkraft lässt hingegen zu wünschen übrig: „Lokale Initiativen leben von Ehrenamt, vieles findet auf kostenloser Basis statt“, erklärt Wruk. Der Umfang der ermittelten Einnahmen im Vergleich zu anderen Feldern und Branchen ist daher begrenzt. Zumindest war das zum Abschluss des Forschungsprojekts vor einem Jahr der Fall. „Die Daten sind alt, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für eine zweite Welle“, meint sie, denn eines sei klar: Auch wenn das „hippe Label“ Sharing Economy spätestens während der Corona-Pandemie für tot erklärt wurde, zu Grabe tragen sollte man das Thema nicht. Im Gegenteil: Unter dem neutraleren und umfassenderen Begriff „Plattformökonomie“ hat sich das Teilen in Bereichen längst etabliert. Vor allem Übernachtungsplattformen wie „Airbnb“ hätten „die Mitte der Gesellschaft erreicht und sind kein Nischenphänomen mehr, das von ökologisch motivierten Konsumenten getragen wird“, so Wruk, „das nutzen sogar meine Eltern“.

Sharing-Angebote aus unterschiedlichen Bereichen

ShareWaste
Essensreste mit Nachbarn teilen
sharewaste.com

foodsharing
Über die Plattform werden Lebensmittel vor dem Verfall gerettet und an soziale Einrichtungen oder Personen weitergegeben.
foodsharing.at

FragNebenan
Nachbarschaftsnetzwerk
fragnebenan.com


Dass es den meisten Nutzenden von Sharing- Angeboten weniger um die Umwelt oder die Vernetzung geht, hat die Wirtschaftspsychologin Eva Hofmann schon 2018 in einer Studie herausgefunden. Vielmehr steht das finanzielle Argument an erster Stelle. Das weiß auch die Expertin von der Universität Mannheim und plädiert, dass der „Durchschnittsbürger mehr Verantwortung für nachhaltige Themen im Privaten übernimmt“: „Wir als Nutzerinnen und Nutzer müssen uns an der Nase greifen“, meint sie. Konsumenten müssten sich fragen: Was hätte ich sonst gemacht? Was wird verdrängt? „Idealerweise der Besitz, dann bringt das Sharing-Angebot einen Vorteil“, erklärt Wruk, „wenn aber Zugfahren verdrängt wird oder andere ökologische Varianten, dann kann das kein Vorteil sein.“

Stichwort Sharewashing
Doch nicht nur Konsumenten sind gefragt. „Plattformen und Organisationen können bei der Gestaltung dazu beitragen, dass positive Wirkungen erreicht werden“, zieht die Juniorprofessorin die Akteure der Sharing Economy zur Verantwortung, sich beispielsweise genossenschaftlich zu organisieren und faire Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dass das nicht (ausreichend) passiert, hat der Platt-
formökonomie einen schlechten Ruf eingebracht: „Unter dem Begriff des Sharing sind in der überwältigenden Mehrheit Geschäftsmodelle subsumiert, die mit viel Kapital ausgestattet sind und da sind, um die bestehende Konkurrenz zu verdrängen, stark auf Daten und Netzwerkeffekte aufbauen und in letzter Konsequenz in Märkten agieren, um der Erste zu sein und zu bleiben“, spricht Michael Heiling von der Arbeiterkammer (AK) Wien von „Sharewashing“. Vom Grundgedanken des Teilens, um Ressourcen zu sparen seien Modelle wie die von „Airbnb“ oder „Uber“ weit entfernt. Stattdessen konkurrieren sie mit traditionellen Geschäftsmodellen, treiben Wohnungspreise in Großstädten in die Höhe und schaffen wenn dann eher prekäre Arbeitsplätze. „Gewerkschaften auf europäischer Ebene lobbyieren schon seit einem Jahrzehnt, dass der Graubereich von Plattformen arbeitsrechtlich groß ist. Selbstständige befinden sich in prekären Bedingungen“, ergänzt Heilings Kollege Christian Berger. An Regulierungen der „Gig Economy“ war auf europäischer Ebene gearbeitet worden, „auf den letzten Metern“ scheint jetzt aber Stillstand zu herrschen, berichtet er enttäuscht.

Während Regulierungen auf EU-Ebene (noch) fehlen, waren lokale Märkte in einzelnen Bereichen gezwungen, Rahmenbedingungen zu schaffen. So hat beispielsweise Barcelona eine Lizenz für das private Vermieten von Wohnungen geschaffen, um den Wohnraum nicht weiter zu verknappen. Wie auch Amsterdam und Seoul stellt die Stadt zudem „öffentliche Sharing-Angebote zu Verfügung oder unterstützt Initiativen“, weiß Dominika Wruk. Positive Modelle zu fördern, hält sie für genauso wichtig wie die Auseinandersetzung mit den großen digitalen Plattformen. So könnte man beispielsweise Repair-Cafés Räume zur Verfügung stellen, ein Startkapital für Community-Gärten anbieten oder für Nachbarschaftsnetzwerke werben.

„Die Sharing-Modelle bieten Potenzial, um einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit zu leisten“, lautet Wruks Fazit, aber: „Die sehr optimistische Sicht ist nicht eingetreten, sie war jedoch eher utopisch und nicht sinnvoll.“ Wie andere digitale oder technologische Innovationen führen sie nicht automatisch zu einer besseren Wirkung für die Umwelt oder zu sozialen und ökonomischen Vorteilen. „Lösungen zu finden, ist meist kein Problem“, ist sie überzeugt und fügt hinzu: „Solche zu finden, die umgesetzt werden und einen bestimmten Verbreitungsgrad erreichen, schon.“


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