„Die wichtigsten Orte der Welt“
Das „Maison du Peuple“ in Ouagadougou (Burkina Faso): Um den 1960er-Jahre-Bau zu erhalten, initiierte der WMF unter anderem Workshops im Bereich Stahlbeton-Konservierung für lokale Architekturstudierende und junge Fachleute.
Der „World Monuments Fund“ (WMF) setzt sich weltweit auf vielfältige Weise für den Erhalt von Gebäuden ein, die von Zerstörung bedroht sind. Dabei geht es auch darum, langfristige soziale und wirtschaftliche Vorteile für die jeweiligen Gemeinschaften vor Ort zu erzielen.
Text Jutta Nachtwey, Fotos World Monuments Fund
Welche Gebäude sind es eigentlich wert, vor dem Verfall bewahrt zu werden? Die Organisation „World Monuments Fund“ (WMF) richtet den Blick nicht allein auf die Architektur, sondern ebenso auf die kulturelle Bedeutung für die lokalen Gemeinschaften. Ziel ist laut eigenen Angaben, „die wichtigsten Orte der Welt“ zu retten – und diese können auf ganz unterschiedliche Weise bedeutsam sein. Das Spektrum reicht etwa vom Maison du Peuple in Ouagadougou (Burkina Faso), über Wasserbrunnen im Kathmandu-Tal (Nepal) und die Synagoge in Timișoara (Rumänien) bis hin zum Quetzalcóatl-Tempel in Teotihuacán (Mexiko).
Die private Non-Profit-Organisation hat ihren Hauptsitz in New York City und unterhält Büros und Tochtergesellschaften in Kambodscha, Indien, Peru, Frankreich, Portugal, Spanien und im Vereinigten Königreich. Darüber hinaus kooperiert sie mit einem internationalen Netzwerk von Fachleuten in China, Japan, dem Nahen Osten, Afrika, Südostasien, Lateinamerika und der Karibik.
Zu den vielfältigen Aktivitäten des WMF zählt beispielsweise „The Crisis Response Program“: Es bietet Unterstützung für kulturelles Erbe, das durch Katastrophen wie Erdbeben, Überflutungen, Kriege oder Revolutionen beschädigt wurde. Alle zwei Jahre schreibt der WMF zudem den „World Monuments Watch“ aus, der Mitgliedern lokaler Gemeinschaften eine Stimme geben soll: Hier können Einzelpersonen und gemeinnützige Organisationen schützenswerte Stätten selbst nominieren. Die Einreichungen werden durch Fachleute vor Ort und durch internationale Expertinnen und Experten für Kulturerbe geprüft, die dann die endgültige Auswahl treffen. Zu den Bewertungskriterien gehören die kulturelle Bedeutung der Stätte, die Notwendigkeit zeitnaher Maßnahmen und die Durchführbarkeit des vorgeschlagenen Ansatzes. Ein besonderes Augenmerk wird auf weniger bekannte Orte gelegt, wo Erhaltungsmaßnahmen den Lebensunterhalt und das Wohlergehen der jeweiligen lokalen Community direkt und nachhaltig verbessern würden.
Die ausgewählten Projekte werden vom WMF als gefährdete Baudenkmäler gelistet. Dadurch erhalten sie zwar keine direkten Zuschüsse, aber sie können ihre Platzierung auf der Watch-Liste dafür nutzen, ihrerseits Mittel für den Erhalt effektiver zu akquirieren. Außerdem werden sie als Mitglieder in das Watch-Network, ein globales Denkmalpflege-Netzwerk des WMF, aufgenommen. Darüber hinaus wirbt die Organisation für bestimmte Watch-Stätten selbst Gelder von Einzelpersonen und Fördereinrichtungen ein, um etwa neue Pilotprojekte in Partnerschaft mit regionalen Akteurinnen und Akteuren zu entwickeln. Bei Bedarf stellt sie zum Beispiel Teams aus internationalen Spezialistinnen und Spezialisten zusammen, die Schulungsprogramme erarbeiten und die langfristige Betreuung von Architekturen planen.
Beim vergangenen Durchlauf, dem „2022 World Monuments Watch“, wurden 25 Kulturerbestätten ausgewählt. Bei der Prüfung der Nominierungen beobachtete der WMF einen deutlichen Schwerpunkt: „Wir stellten fest, dass immer mehr Stätten gemeldet wurden, bei denen der Klimawandel – beispielsweise vermehrte Überschwemmungen, Dürre und Hitzewellen – als Hauptursache für die Zerstörung genannt wurde“, berichtet Keaton Ramjit, Media Relations Manager beim „World Monuments Fund“. „Diese Informationen waren unglaublich nützlich, denn sie führten letztlich zur Entwicklung unserer ‚Climate Heritage-Initiative‘, die wir Anfang dieses Jahres ins Leben gerufen haben.“ Diese Initiative verhalf einigen Orten aus dem „2022 World Monuments Watch“, etwa den Wasserbrunnen im Kathmandu-Tal, zu einer intensiven Unterstützung.
Die Nominierungen für den „2024 World Monuments Watch“ werden derzeit von den Expertinnen und Experten überprüft und im Januar 2025 bekannt gegeben. Der diesjährige „Watch Award“ wurde bereits im Juni vergeben, und zwar an die marokkanische Architektin Aziza Chaouni für ihre Pionierarbeit im Bereich des Kulturerbes. Sie ist Professorin für Architektur an der Universität von Toronto und Gründerin von „Aziza Chaouni Projects“ mit Büros in Fez und Toronto. Der WMF würdigte ihren innovativen Ansatz in der Denkmalpflege, der kulturelles Erbe mit zeitgenössischen Bedürfnissen und Umweltbelangen verknüpft. „Aziza Chaouni hat maßgeblich dazu beigetragen, den Erhalt der Architektur mit ökologischer Nachhaltigkeit zu verbinden, insbesondere in Regionen mit geringen Niederschlägen, in denen solche Bemühungen von entscheidender Bedeutung sind“, sagte Bénédicte de Montlaur, Präsidentin und CEO des WMF anlässlich der Preisverleihung.
Mit dem WMF kooperierte Aziza Chaouni bereits an mehreren Orten: In Sierra Leone widmete sie sich beispielsweise der Restaurierung des 1827 gegründeten „Old Fourah Bay College“, der ältesten Universität Westafrikas. Die britische Kolonialmacht nutzte das Gebäude ein Jahrhundert lang für den Transfer westlicher Vorstellungen von Staatsführung, Religion, politischer Organisation und öffentlicher Verwaltung. In den 1990er Jahren verwandelte sich der Bau während des Bürgerkriegs in einen Zufluchtsort für Vertriebene, bevor es ein Feuer schwer beschädigte. Dank der Intervention des WMF und Aziza Chaouni konnte der Bau vor der endgültigen Zerstörung bewahrt werden.
Auch in Burkina Faso war die Zusammenarbeit erfolgreich: Hier wurde in der Hauptstadt Ouagadougou das 1965 eröffnete „Maison du Peuple“ vor dem Verfall gerettet. Nachdem das Land fünf Jahre zuvor seine Unabhängigkeit von Frankreich erklärt hatte, diente das Gebäude als Ort für die demokratische Regierung und für politische Debatten. Der Entwurf des französischen Architekten René Faublée sollte den Aufbruch in eine neue Ära symbolisieren. Er konstruierte ein brutalistisches Bauwerk, das jedoch deutliche Bezüge zur lokalen Architektur enthält: Die Betonfassade hat geometrische Ziegelreliefs und verweist in Farbgebung, Textur und Musterung auf traditionelle Lehmbauten in Burkina Faso, während die Dachlaternen an den Baustil des dort lebenden Mossi-Volks erinnern.
Diese Beispiele machen deutlich, dass der WMF nicht nur für den Erhalt von Gebäuden eintritt und dabei hilft, ihnen neues Leben einzuhauchen. Er sorgt zugleich auch dafür, dass die Geschichten über die soziale und kulturelle Bedeutung dieser Orte für kommende Generationen bewahrt werden und im realen Leben erfahrbar bleiben. Darüber hinaus wirkt die Arbeit der Organisation bis in unsere eigenen Köpfe hinein: Die Vorstellung von dem, was wir als die „wichtigsten Orte der Welt“ begreifen, wird auf jeden Fall erheblich erweitert und bereichert.
Weitere Informationen: wmf.org