Dinge des Lebens

Mit Mode die Meere retten

Immer mehr große Modekonzerne bringen Kleidung aus „Ozean-Plastik“ auf den Markt. Was hat es damit auf sich? Und ist Recycling-Polyester tatsächlich ein Weg zu mehr Nachhaltigkeit – oder nur ein Marketinggag?
Von Babette Karner

In den vergangenen Jahren haben internationale Modekonzerne das Recycling als Marketinginstrument entdeckt. Eine neue, bewusstere junge Generation ist herangewachsen und auch die Älteren machen sich inzwischen mehr Gedanken über die sozialen und umweltzerstörerischen Folgen ihres Konsums. Und plötzlich ist Recycling-Mode überall: Adidas macht Sneaker aus Plastikmüll und H&M seidige Tops aus alten PET-Flaschen.

Ganz abgesehen davon, dass die Philosophie des „Buy Nothing“ nach wie vor das beste Konzept für mehr Nachhaltigkeit ist: Kann man Werbebotschaften wie „produziert mit Plastik aus dem Meer“, „gemacht aus alten Fischernetzen“, „Garn aus PET-Flaschen“ trauen? Ist das sogenannte rPET tatsächlich eine gute Möglichkeit, nachhaltiger zu konsumieren?

Polyester – was ist das eigentlich?
Polyethylenterephthalat, kurz PET genannt, wird aus Erdöl hergestellt und ist die weltweit meistverbreitete Kunststoffart. PET ist die Basis für Polyester. Greenpeace schätzt, dass heute 49 Prozent der weltweiten Kleidung aus diesem Material bestehen.

Recyceltes Polyester, auch rPET genannt, wird hingegen durch das Einschmelzen von vorhandenem Kunststoff und dessen Versp-innen zu neuen Polyesterfasern gewonnen. rPET kann nicht nur aus weggeworfenen Kunststoffflaschen und -behältern hergestellt werden, sondern wird auch aus zahlreichen Industrie- und Konsumartikel-Materialien recycelt.

Der größte Teil von rPET wird durch mechanisches Recycling erzeugt: Sortenreines PET (etwa aus Kunststoffflaschen) wird gesch-reddert, gereinigt, eingeschmolzen und anschließend zu PET-Granulat verarbeitet. Dieses kann dann wieder für die Faserherstellung verwendet werden. Der mechanische Vorgang zerstört die Polymerketten des Kunststoffs nicht, das Ausgangsmaterial PET bleibt erhalten, kann aber an Festigkeit verlieren.

Beim chemischen Recycling wird Kunststoffabfall mittels Pyrolyse oder Gasifizierung in seinen Ursprungszustand zurückgeführt. Dieses rPET unterscheidet sich am Ende nicht von neuem Polyester. So können selbst stark verunreinigte Kunststoffabfälle oder Mischfasern recycelt werden. Chemisches Recycling ist im Moment noch kompliziert, teuer und energieintensiv, Forschungsprojekte gibt es allerdings: Der österreichische OMV-Konzern plant, ab 2025 etwa 200.000 Tonnen zerkleinerte Mischplastikabfälle pro Jahr mittels eines Verfahrens namens „Re-Oil” in Rohöl und verwertbares Gas zurückzuverwandeln.

Recyceltes Polyester: die Vorteile
Das Recycling gibt einem Material ein zweites Leben, das nicht biologisch abbaubar ist und sonst auf Deponien oder im Meer landen würde. Das spart Müll. Laut der NGO Ocean Conservancy gelangen jedes Jahr ganze acht Millionen Tonnen Kunststoffe in die Ozeane, zusätzlich zu den geschätzten 150 Millionen Tonnen, die derzeit bereits in den Meeren zirkulieren.

Die Qualität von rPET ist fast gleichwertig wie die von neu produziertem Polyester. Die Herstellung benötigt jedoch 59 Prozent weniger Energie, wie 2017 eine Studie des Schweizer Bundesamtes für Umwelt ergab.

Recyceltes Polyester: die Nachteile
Auch nach mehrmaligem Recycling gibt die Faser weiterhin Mikroplastik ab.

Viele Kleidungsstücke bestehen aus einer Mischung von Polyester und anderen Materialien, was das Recycling schwierig bis unmöglich macht.

Jedes Einschmelzen vermindert die Qualität, sodass der nachfolgende Kunststoff für die Herstellung von Produkten geringerer Qualität verwendet werden muss.

„Ozean-Plastik“: Lobenswerte Initiative oder Marketinggag?
Fast 80.000 Tonnen Plastik treiben in einem Gebiet von 1,6 Millionen Quadratkilometern im Pazifik. 30 Prozent des Plastikmülls auf dem Meeresgrund stammen dabei aus der Fischerei.

Es verwundert also nicht, dass immer mehr Hersteller inzwischen Produkte aus Recycling-Materialien anbieten, die sie als „Ozean-Plastik“ vermarkten: T-Shirts und Bikinis, Sonnenbrillen und Rucksäcke. Die Botschaft: Wir säubern die Meere von Geisternetzen, in denen Schildkröten und Delfine qualvoll verenden. Wir verwandeln Müll in Kleidung und helfen, den textilen Kreislauf zu schließen. Das ist oft zu schön, um wahr zu sein: „Leider ist Ozean-Plastik zumeist nur ein Marketinggag: oft falsch und fast immer irreführend“, erläutert Andrea Stolte vom Umweltverband WWF in einem Interview mit der Berliner taz im Dezember 2019. Natürlich verliere niemand freiwillig seine Netze, aber die Bergung sei aufwendig und zumeist viel zu teuer.

„Econyl“: Ein Garn aus Geisternetzen?
Wenn von der Verwertung von „Ozean-Plastik“ die Rede ist, macht derzeit vor allem das recycelte Nylongarn „Econyl“ von sich reden: Hergestellt wird es von der italienischen Firma Aquafil, einem der größten Nylon-Hersteller der Welt. Die Firma bewirbt das Recycling-Garn mit Schildkröten in Fischernetzen, die Modemarken vermarkten es als „Ozean-Plastik“. Rund 240 Modelabels verarbeiten inzwischen „Econyl“ – von Adidas über H&M bis hin zu Tommy Hilfiger und Mammut.

„Econyl“ ist eine beeindruckende Innovation für das Recycling von Nylon, die Bezeichnung „Ozean-Plastik“ ist dennoch irreführend: Wie Aquafil selbst auf eine Medienanfrage hin im Frühjahr 2021 angibt, stammen rund 50 Prozent des Rohstoffs für „Econyl“ aus Industrieabfällen wie Plastik und Stoffresten. Die andere Hälfte sei „Post Consumer“-Müll: alte Teppiche und Fischernetze aus Aquakulturen. Geisternetze hingegen machen nur den kleinsten Teil aus: „Wir arbeiten auch mit Geisternetzen (…), aber die Menge variiert stark“, schreibt Aquafil. Das Problem sei die komplizierte Beschaffung und Aufbereitung von Geisternetzen. Diese seien in der erforderlichen Menge und Qualität für die industrielle Produktion von Garn nicht verfügbar.

Tatsächlich müssen Geisternetze auf NGO-Initiative von Tauchern einzeln aus dem Meer geborgen und gesäubert werden. Manchmal liegen sie jahrzehntelang am Meeresgrund und sind voll von Schlick, Muscheln und diversen Abfällen, die sich in ihnen verfangen. Das Recycling solcher Netze ist – wenn überhaupt möglich – mit enormen Anstrengungen und hohen Kosten verbunden.

„Sie machen nichts falsch, wenn Sie die Recyclingfasern kaufen, rPET ist auf jeden Fall besser als neues Polyester“, sagt Andrea Stolte vom WWF. Zudem würden viele Hersteller einen Teil der Einnahmen in tatsächliche Aktionen zur Bergung von Plastik aus dem Meer stecken. Aber die perfekte Gewissensberuhigung für ungehemmten „Fast Fashion“-Konsum ist rPET sicher nicht. Nach wie vor tut es unserer Welt am besten, wenn wir Kleidung aus natürlichen Materialien bewusst auswählen, diese lange tragen und so oft wie möglich reparieren. Und sie erst dann recyceln.


Teilen auf:
Facebook