Ein globales Experiment
Aufforderungen zum Perspektivenwechsel
Von Robert Fabach
„42. Das war die „ultimative Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und allem anderen“, die der von einer außerirdischen Kultur erbaute Supercomputer „Deep Thought“ nach 7,5 Milliarden Jahren ermittelte. Scheinbar sinnlos, wie er selbst einräumte, da man sich eigentlich nie wirklich klar über die eigentliche Frage gewesen war. So wurde für diese „ultimative Frage“ ein noch größerer Supercomputer gebaut mit lebenden Organismen als Teil seiner Prozessorenmatrix, der eigentlich unsere Erde war. Seine außerirdischen, multidimensionalen Erbauer nahmen die Form weißer Mäuse an, um den Rechenprozess zu überwachen. Leider sollte dieser nie zu Ende geführt werden, da ein außerirdischer Bautrupp die Erde zwecks Errichtung einer intergalaktischen Hyper-Express-Route sprengen würde. Nur zwei seiner Bewohner sollten überleben, indem sie noch rechtzeitig per Anhalter mit einem Raumschiff entkamen.“
Ich möchte ganz bewusst eine literarische Konstruktion diesem Essay über die Auswirkungen der Corona-Krise voranstellen. Sie stammt vom britischen Autor Douglas Adams, der sie 1978 zum Ausgangspunkt seiner Buchreihe „Per Anhalter durch die Galaxis“ nahm. Sie steht ideengeschichtlich in einer Linie mit Buckminster Fullers Publikation „Operating Manual for Spaceship Earth“ (New York 1969) oder der nachmodernen „ Gaia-Hypothese“ von James Lovelock und Lynn Sagan, (Stockholm 1974), welche die Erde als gesamthaftes, dynamisches Lebewesen beschrieb.
Die gedanklichen Hypothesen von Adams, Lovelock und Fuller mögen beim Perspektivenwechsel helfen, um dem dominanten Sog der dramatischen und zugleich hermetischen Narrative zu entkommen, die rund um die Corona-Krise gebildet wurden und gerade das Leben von mehr als acht Milliarden Menschen einschneidend verändern. Diese Theorien sind letztendlich nicht überprüfbarer als Erstere, wurden aber von einer Vielzahl nationaler Regierungen als alternativlos dargestellt. Der Blick auf ein globales Ganzes und auf eine Reihe qualifizierter Fachmeinungen eröffnet aber plötzlich Alternativen.
Noch eine Hypothese: Wir erleben vermutlich gerade das erste planetare Experiment des Universums. Keine regellose Katastrophe und auch keinen „Krieg gegen einen Feind“, wie nationale Entscheidungsträger vielfach suggerieren, um ihren tief greifenden Gegenprogrammen den Anschein von Zwangsläufigkeit zu verleihen. Sehen wir von exogen ausgelösten „Experimenten“ wie Sonnenfinsternissen, Meteoriteneinschlägen und Ähnlichem ab, hat der Globus noch nie eine so umfassende, so abrupte Konditionierung seiner Lebensumstände erfahren. Nur scheinen heute – um noch mal mit Douglas Adams zu sprechen – asiatische Fledermäuse statt „weißen Mäusen“ ein primitives Virus dazu benutzt zu haben, um auf dem gesamten „Supercomputer Erde“ innerhalb weniger Wochen ein „Programm“ mit unabsehbaren Folgen ablaufen zu lassen. Ein im Grunde willkürlich ausgelöstes und weitgehend unkontrolliert verlaufendes Experiment.
Die sorgfältige Analyse dessen Auswirkungen und Ergebnisse verdient unsere Aufmerksamkeit und weniger die dramatische Inszenierung seiner Rechtfertigung.
Mind your mind, mind your mood!
Das eigentliche Experiment handelt von der Kommunikation über die Krise und den einmalig tief greifenden und meist brachialen Gegenprogrammen, die schon lange eine hohe Eigendynamik angenommen haben. Die Nebenwirkungen der „Therapie“ werden immer monströser gegenüber der eigentlichen Krankheit. Aus der „Corona-Krise“ wird mehr und mehr eine „Lock-Down-and-Shut-Up-Krise“, nachdem sich ursprüngliche Schreckensszenarien als fragwürdig herausstellen, die zugleich aber medial mit ungeheurem Nachdruck inszeniert werden. Slavoj Zizeks Diktum von der Angst als letztem verbliebenem Instrument der Politik bewahrheitet sich wieder und Analogien zur Instrumentalisierung der Flüchtlingskrise sind augenscheinlich. Damals mussten Vertriebene herhalten, jetzt dienen Viren als ultimative Bedrohung. Wieder werden mit kriegerischer Rhetorik Ausnahmezustände ausgerufen, Kriege gegen einen gemeinsamen Feind beschworen. Cui bono? Wem soll oder wird das alles dienen? Ein selektiver Stillstand, die Aufhebung von Grundrechten und in Friedenszeiten einmalige Eingriffe in Volkswirtschaften, in gesellschaftliche und kulturelle Abläufe?
Konstruktive Gegenbilder
Ich möchte aus einer Reihe von emotionalen Kommentaren zur Krise zitieren, deren Argumentationen am besten im Original nachzulesen sind.
Die Pathosformeln des Experiments entwickelten eine eigentümliche Psychologie. Dass die Presse sie so kritiklos reproduzierte, ist bis heute demokratiepolitisch beunruhigend. Unverständlich in Zeiten des Cambridge Analytica-Skandals, da der Widerstand gegen den kommerziell politischen Gebrauch sozialer Netzwerke und der Presse längst globale Ausmaße erreicht hat.
Eine treffende Kommunikationskritik hat dazu der Politikwissenschaftler Ernst Schmiederer im Falter geliefert, der auch die Fantasielosigkeit der Maßnahmen beklagte: „Ich hätte gerne Dashboards für alle Arbeitslosen, zerstörten Familienunternehmen und Existenzen, Privatkonkurse und familiären Katastrophen“, schreibt Schmiederer in der Falterausgabe 20/20 vom Mai und: “Darüber hinaus wäre noch ein Demokratie-Dashboard anzuregen, das tagesaktuell den Stand der Grundrechtseinschränkungen dokumentiert.“
Von Beginn an stutzig machte der beschwörende Umgang mit den Zahlen. So werden bis heute fast ausschließlich absolute Zahlen zu CoVid19 verbreitet, als ob es sich um die Opfer eines Serienkillers handeln würde. Doch die Formel „Jedes Todesopfer ist eines zu viel“ ist absurd. Sind wir ansonsten unsterblich?
Faktum ist, dass die Staaten Europas eine durchschnittliche Sterblichkeit von rund einem Prozent der Bevölkerung aufweisen. Im Kontext von jährlich etwa 80.000 Sterbefällen in Österreich oder 800.000 in Deutschland relativieren sich die „Corona-Toten“ und zeigt vor allem den Unsinn globaler Rankings.
So fehlt auch allen Todeszahlen die grundlegende Unterscheidung, ob jemand „an“ oder „mit“ dem Virus verstorben ist. Prof. Sucharit Bhakdi, ein deutscher Epidemiologe, hat sich aus seiner persönlichen Bestürzung über diese und weitere Verzerrungen wissenschaftlicher Daten und aus Sorge um demokratische Grundwerte immer wieder öffentlich geäußert und jüngst ein bemerkenswertes Buch dazu veröffentlicht. Viele Einordnungen, Klarstellungen und Erklärungen darin wirken befreiend nachvollziehbar, nachdem wir mit diffusen Schreckensmeldungen täglich bombardiert wurden. Die jüngste ORF-Schlagzeile, dass an der saisonalen Grippe dieses Jahr um rund ein Viertel mehr Menschen verstorben sind als an CoVid19, passt genau dazu.
Im Slogan „Jedes Leben zählt!“, der für Europa verkündet wird, zeigt sich ungeheurer Zynismus und Doppelmoral, wenn er aus afrikanischer Sicht gesehen wird, wo zur gleichen Zeit Epidemien über Teile des afrikanischen Kontinents niedergehen und vieles an Leid und Tod erwiesenermaßen durch internationale Spekulation und wirtschaftliche Ausbeutung verursacht und tatenlos hingenommen wird. Der nigerianische Filmemacher Caleb Okereke und die amerikanische Entwicklungsarbeiterin Kelsey Nielsen diskutierten diesen Eurozentrismus im Rahmen eines Kommentars auf Al Jazeera aus afrikanischer Sicht. „Many African countries have long experience in dealing with infectious diseases and by now have developed know-how that many Western countries might not have. And many African leaders are also not unaware of their fragile healthcare systems – unlike some of their Western counterparts.”
«Nach dieser Krise kommt die Zeit, den Planeten nachhaltig zu gestalten»
Die Verbindung zum Klimawandel und den Ruf zur Rückkehr zu regionalen Maßstäben, einer anderen Form der Wirtschaft, und zu einem Bewusstsein für Selbstversorgung und eine bewusste Mobilität schaffen schließlich Jeremy Rifkin und Yanis Varoufakis:
„Wir haben eine Globalisierung aufgebaut mit riesigen internationalen Unternehmen – mit denen ich übrigens auch zusammenarbeite. Aber sie sind zu zerbrechlich. Sie sind zu sehr auf Auslagerung und Offshoring aufgebaut. Diese negative Seite der Globalisierung wird den USA (wie auch anderen Ländern, Anmerkung) in dieser Pandemie zum Verhängnis. Deshalb sterben jetzt Menschen. Wir müssen von der Globalisierung zu einer Glokalisierung übergehen.“
Corona- oder Shut-Down-Krise. Was wir erleben, zeigt sich als vorläufiger Höhepunkt von globalem Systemversagen, das plötzlich Grundlegendes drastisch erlebbar und auf den Prüfstand gebracht hat. Werden wir in Zukunft Waren nach ihren Transportkilometern deklarieren? Haben wir Geschmack an Entschleunigung gefunden? Werden wir wieder jene regionalen und lokalen Strukturen einführen, die Leben retten? All dieser Unruhe gemein ist der Aufruf über Ursachen, über globale Strategien und Chancen, aber auch über ganz persönliche Handlungsweisen für die Zukunft nachzudenken und vor allem, aus der Krise nicht in eine Normalität überzugehen, sondern zu handeln.
Literatur:
Ernst Schmiederer:
Worauf warten wir eigentlich? Falter, Wien, Ausgabe 14.5.2020
Sucharit Bhakdi, Karina Reiss:
„Corona Fehlalarm? Zahlen, Daten und Hintergründe
Caleb Okereke & Kelsey Nielsen:
The problem with predicting coronavirus apocalypse in Africa,
7. Mai 2020, Al Jazeera
Jeremy Rifkin:
Interview mit David Torcasso in der Handelszeitung, Zürich, 3.4.2020
Sucharit Bhakdi, Karina Reiss: Corona Fehlalarm? Zahlen, Daten und Hintergründe. 2020, Goldegg Veralg