Ein gutes Leben wünscht dir …
Mit diesem Schlusssatz habe ich mich manchmal im Leben von einem Menschen verabschiedet, von dem ich der Meinung war, dass ich ihn vermutlich nie wieder in meinem Leben sehen werde und es war dann verdammt ernst gemeint.
Essay von Kurt Bereuter
Zugegebenermaßen ist es ein etwas dramatischer Schluss, weil das sich für immer Verabschieden damit klar und schwer zum Ausdruck kommt. Aber dieser Schluss rührt von einem Bild her, das ich einmal sah und immer noch vor meinem inneren Auge habe. Ein Mann in gehobenem Alter sitzt in seinem Fauteuil, in dem er fast verschwindet, und erzählt offenbar aus seinem langen Leben. Hinter ihm sieht man Bücher, Bilder, Plastiken, was auf eine höhere Bildung und einen gewissen Wohlstand schließen lässt. Aus seiner Pfeife steigt sich kräuselnder Rauch empor und in bedächtiger, leiser Sprache scheint er Folgendes zu sagen: „Es hat mich viel Kraft im Leben gekostet, ‚vielleicht‘ zu sagen, wenn ich ‚nein‘ gemeint habe, ‚wir werden sehn‘, wenn ich ‚ja‘ dachte, und ‚bis bald‘, wenn ich für immer Abschied nahm.“
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, fährt mir ein Satz Adornos in den Kopf. Tatsächlich glaube ich, dass ein gutes Leben auch mit Wahrheit zusammenfällt. In Lüge und Verstellung kann es wohl kein gutes Leben geben. Nicht für einen selbst und auch nicht für die anderen. Dabei stellt sich die Frage, wer denn der Urteilende ist, über “das gute Leben“. Ein jeder selbst oder gibt es auch einen objektiven Wertmaßstab oder muss es beiden Bewertungen entsprechen? Ich meine ja und nein zugleich, denn nicht immer müssen diese Urteile ident ausfallen. Denn nur in der Interaktion mit der Gesellschaft und den anderen Menschen kann ein gutes Leben gelingen. Aber das objektive Urteil ist eben zeit- und gesellschaftsabhängig. Das war beim Antisemitismus im Nationalsozialismus nicht anders als heute beim Klimawandel, auch wenn der Vergleich gewagt ist. Aber wir sind schon an dem Punkt angelangt, wo uns die Enkel fragen: „Und was habt ihr gemacht, um die Katastrophe zu verhindern? Warum seid ihr nicht aufgestanden, warum habt ihr mitgemacht, als die Klimakatastrophe schon absehbar war?“
Eine moralische Frage
Wie leicht wäre es doch, über ein „schönes Leben“ zu schwadronieren, denn da könnten doch dem Geschmack – über den sich bekanntermaßen nicht streiten lässt – alle Türen geöffnet werden. Aber im Falle des „guten Lebens“ sind wir inmitten einer moralischen Debatte und in Sachen Ethik und Moral lässt es sich bekanntermaßen herrlich streiten. Und irgendwie stehen die beiden Attribute des Lebens ja doch wieder nebeneinander: das Gute und das Schöne. Ist das eine ohne das andere vorstellbar, wenn wir nicht gerade von der Selbstkasteiung ausgehen? Wenn jede Autofahrt, jeder Urlaubsflug oder jeder Plastiksack (auch der für das Hundstrümmerl) zum Gewissensbiss wird, wird das Leben schwerer und mühsam. Eine meiner Lebensweisheiten heißt: „Love it, change it or leave it“. Aber soll ich es verlassen, dieses doch relativ angenehme und bescheidene Leben? Leben wie Diogenes, der Hund? Aber nein, da fällt mir ein, der Hund muss mit in das Fass und der verursacht bekanntermaßen einen ökologischen Fußabdruck in der Größe eines Kleinwagens und bislang ist er nicht von regionaler Ernährung auf pflanzlicher Basis zu überzeugen. Also dann doch wieder zurück zum „Change it“, soweit es möglich ist. Klar, es wäre noch viel mehr möglich, aber da gibt es eben auch noch den „inneren Schweinehund“, der sich auch ab und zu durchsetzt. Zu oft?
Ja, vermutlich zu oft und ich nehme mir zum wiederholten Mal vor, ihn noch konsequenter regional und vegetarisch zu ernähren, bis er vielleicht an einer Mangelernährung zu Grunde geht. Aber das kann noch dauern. Ein klein wenig stolz bin ich schon, wenn ich ihn wieder bezwungen habe, aber aufgeben wird er nicht so bald. Derweil ziehe ich mit dem anderen Hund am liebsten barfuß durch die Lande, auch auf die Gefahr hin, als alternder, aus der Zeit gefallener „Jutesack-Grüner“ angesehen zu werden. Aber so hinterlasse ich nicht einmal die Spur eines Kunststoffschuhprofils, sondern nur den Fußabdruck inklusive der Zehen, die sich im Gras, in der feuchten Erde oder im Sand abzeichnen.
Spuren im Sand?
In einem Managermagazin las ich einen Beitrag unter dem Motto „Nicht nur Spuren im Sand hinterlassen, die von der nächsten Flut weggewischt werden“. Man kann ja jeden noch so klugen Spruch hinterfragen und auf den Kopf stellen. Aber ja, Spuren im Sand sind vergänglich – wie wir auch. Selbst die Spuren, die wir in Geist und in Herzen legen, werden langsam getilgt werden. Die einen früher, die anderen später und ganz wenige überdauern Jahrhunderte. Aber die ökologischen Spuren werden wir auch hinterlassen, durch kleinere oder größere ökologische Fußabdrücke, die aber dann nicht mehr dem oder der Einzelnen zuordenbar sind, sondern eben einer gesamten Gesellschaft einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort.
Und es wird viele Gründe, viele Rechtfertigungen, viele Entschuldigungen geben, für unseren kleineren oder größeren Beitrag daran. Aber genau für den werden wir verantwortlich sein, auch wenn wir nicht mehr vor ein Gericht gezerrt werden können. Aber er wird Teil davon sein, wie unsere Erde, unsere Welt für unsere Kinder, Kindeskinder und so fort lebbar sein wird. Denn eines sollten wir alle wollen, dass auch die Menschen, die nach uns kommen, noch eine Welt vorfinden, in der es möglich ist, ein gutes Leben zu verwirklichen. Vielleicht ist es gut, wenn wir in unserem Leben manchmal Bilanz ziehen, darüber, ob wir ein gutes Leben gelebt haben oder leben und leben werden. Wo war mein Beitrag, wo ist mein Beitrag, wo wird mein Beitrag sein?
Der deutsche Philosoph Hans Jonas sprach von der intergenerativen Ethik, dem „Prinzip Hoffnung“ stellt er das „Prinzip Verantwortung“ an die Seite. So postulierte er einen neuen Imperativ, der eben sagt, „dass wir zwar unser eigenes Leben, aber nicht das der Menschheit wagen dürfen“: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“ und „Wir haben eine Verpflichtung gegenüber dem (…), was noch gar nicht ist (…)“.
Hinterlass‘ Spuren, aber ähnlich wie die im Sand, die wieder vergehen und Platz für neue machen. Wenn sich ein Herz oder ein Geist sich ihrer bemächtigt hat, sind sie da, auch wenn sie die Flut wieder getilgt hat, aber eben im Herz oder im Kopf, dort können sie mehr bewirken und möglich machen. Sie sind vielleicht nicht nachhaltig im Sinne von Beton, aber im Sinne unseres Planeten und im Sinne derer, die nach uns kommen. Ich wünsche Ihnen noch viele Spuren im Sand, Spuren im Kopf und in den Herzen anderer – und ganz im Vorübergehen auch noch ein gutes Leben.
Kurt Bereuter, geb. 1963, stammt aus einer Handwerkerfamilie, studierte BWL, Philosophie und Politikwissenschaften, arbeitete als Journalist, Projektleiter, Erwachsenenbildner, Lehrer und ist seit 26 Jahren selbständiger Organisationsentwickler und freier Journalist.