Ein Klimaschutzgesetz, das den Namen verdient
Michaela Krömer. Foto Stefan Fürtbauer
Seit über drei Jahren hat Österreich kein Klimaschutzgesetz, worauf Umweltaktivistinnen und -aktivisten nicht müde werden hinzuweisen. Genauer gesagt gibt es seit Ende 2020 keine gesetzlich definierten Emissionsziele mehr und die Republik segelt im Klimaschutz ohne bindenden Kompass.
Die Rechtsanwältin Michaela Krömer lässt das nicht so stehen und klagt beim österreichischen Verfassungsgerichtshof als auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) für das Recht auf Klimaschutz. Ein Urteil des EGMR erhöht nun die Erfolgschancen von Klimaklagen und sorgt wahrscheinlich auch bald in Österreich für Bewegung.
Von Sarah Kleiner
Im April gab der EGMR der Klage eines Vereins von mehr als 2.000 Schweizer Seniorinnen recht: Die Schweizer Regierung tue nicht genug gegen den Klimawandel und müsse vor allem vulnerable Menschen vor den Auswirkungen der Klimakrise schützen. Das Urteil wurde in den Medien als „wegweisend“ und „bahnbrechend“ bezeichnet. Warum?
Michaela Krömer: Es ist ein sehr komplexes Urteil, das im Detail nicht leicht zu greifen ist, wie das ja oft der Fall ist. Das Einmalige daran ist, dass erstmals ein internationales Gericht anerkannt hat, dass Klimaschutz ein Menschenrecht ist und dass in einem bestimmten Rahmen den Staaten eine Verpflichtung zu mehr Klimaschutzmaßnahmen auferlegt werden kann. Außerdem wurde klargemacht, dass Staaten die Pflicht haben, Klimaverfahren durchzuführen und diese auf den nationalen Gerichten zuzulassen. Es ist also letztlich die Aufgabe der Nationalstaaten, dafür zu sorgen, dass die Europäische Menschenrechtskonvention eingehalten wird.
Was wird das Urteil des EGMR zur Schweiz für andere Klimaklagen bedeuten?
Anfangs wurde erwartet, dass nun auch bei allen weiteren Klimaklagen positiv entschieden wird, aber das bezweifle ich. Mit dem Urteil wurde eine Tür aufgemacht – aber sicher kein Trampelpfad.
Sie haben vergangenes Jahr in Unterstützung Ihres Vereins „CLAW“ und gemeinsam mit „Fridays For Future Austria“ eine Generationenklage beim österreichischen Verfassungsgerichtshof eingebracht. Das österreichische Klimaschutzgesetz sei unzureichend und verletze die Kinderrechte im Verfassungsrang. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen – mit welcher Begründung?
Wichtig zu verstehen ist, dass er aus formellen und nicht aus inhaltlichen Gründen zurückgewiesen wurde. Das heißt, man hat sich inhaltlich nicht mit den Fragen beschäftigt, inwieweit aus den Kinderrechten ein Grundrechtsschutz ableitbar ist und damit auch Verpflichtungen entstehen. Es gab ja bereits mehrere Anträge und bisher sind alle Klimaverfahren beim österreichischen Verfassungsgerichtshof aus formellen Gründen gescheitert. Der Hauptgrund dafür ist, dass wir in Österreich ein Rechtsschutzdefizit im Klimaschutzbereich haben. Wir haben keine ausreichenden Beschwerdemöglichkeiten, um die politische Untätigkeit im Klimaschutz anzugreifen.
Aber genau das wurde nun vom EGMR gefordert.
Genau, er hat einerseits gesagt, die Klimaschutzpolitik der Schweiz ist unzureichend und grundrechtsverletzend. Und er hat andererseits gesagt, es ist Aufgabe der Nationalstaaten, faire Verfahren im Klimaschutz zu gewährleisten. Denn die Medaille hat zwei Seiten: das Recht auf der einen und die Beschwerde auf der anderen Seite. Wenn ich ein Recht habe, das ich nicht geltend machen kann, dann ist es wertlos. Das Problem sieht man ja offenkundig bei der Klage zu den Kinderrechten. Niemand bestreitet, dass die Kinder nicht tatsächlich in ihren Rechten verletzt sind, aber man lässt die Klage aus formellen Gründen nicht zu. Auch das ist eine Möglichkeit, Gerechtigkeit zu verhindern.
Das Schweizer Urteil erkennt allerdings nicht die individuelle Betroffenheit der Klägerinnen, also der Seniorinnen, an. Was bedeutet das?
Der Gerichtshof hat grundsätzlich anerkannt, dass es von der Klimakrise besonders betroffene Personen geben kann. Er hat aber klar gemacht, dass das eine individuelle Betroffenheit ist, die sich von der Allgemeinen abhebt. Im Gegensatz zu einem niederländischen Gericht, das bei der Klimaklage der Umweltstiftung „Urgenda“ ein Charakteristikum der Klimakrise darin verortete, dass alle Personen in irgendeiner Weise davon betroffen sind. Darauf ist der EGMR nicht eingestiegen. Grundsätzlich wird aber bestätigt, dass nicht nur bestimmte betroffene Einzelpersonen, sondern eben auch Vereine diese Klimaklagen führen können. Das erweitert den Kreis von möglichen Klägerinnen und Klägern.
Auch Sie haben eine europäische Klimaklage beim „EGMR“ eingebracht, gemeinsam mit „Fridays For Future“ und dem „Urgenda Litigation Network“. Beschwerdeführer ist Mex M., der an Multipler Sklerose erkrankt ist und das Uhthoff-Phänomen hat. Das heißt, so wie bei 60 bis 80 Prozent aller MS-Erkrankten verschlimmern sich seine Symptome bei zunehmender Temperatur. Er ist also heute schon direkt vom Temperaturanstieg betroffen – individuell.
Ja, das Schweizer Urteil erhöht Mex‘ Chancen auf ein positives Urteil in dem Sinn deutlich. Ab einer Temperatur von 25 Grad sitzt er im Rollstuhl und kann nicht mehr eigenständig gehen. Wenn Mex nicht besonders betroffen ist, dann ist es letztlich niemand. Er ist in einem Ausmaß betroffen, das meiner Ansicht nach in die Argumentation des Europäischen Gerichtshofs hineinfällt, weil die Europäische Menschenrechtskonvention stark darauf ausgerichtet ist, vulnerable Gruppen zu schützen.
Was würde hier ein positives Urteil für Österreich bedeuten?
Mex könnte der erste Fall einer Einzelperson sein, die diese individuelle Betroffenheitshürde nehmen kann. Wenn Mex‘ Fall durchgeht, dann heißt das für Österreich letztlich, dass ein Klimaschutzgesetz geschaffen werden muss, das diesen Namen verdient.
Wann gibt es bezüglich Mex eine Entscheidung?
Ich habe vom Gerichtshof die Information, dass der Fall im Anschluss an den Schweizer Fall behandelt wird. Aber wie schnell es ein Urteil gibt, kann ich nicht sagen, das wird noch dauern. Das Arbeitstempo der Gerichte passt oft nicht mit der Realität der Klima-krise zusammen. Das ist auch grundsätzlich etwas, das wir als Gesellschaft lernen müssen: Es gibt Veränderungen und Realitäten, an die wir uns anpassen müssen und über die wir nicht verhandeln können. Wir haben argumentativ viel Zeit vergeudet, geschoben und diskutiert. Aber wir sind beim Klimaschutz jetzt an einem Punkt, wo man sagen muss, es geht nicht mehr – wir können nicht mehr warten.
Frau Krömer, wir feiern mit dieser Ausgabe zehn Jahre ORIGINAL Magazin und alle Fortschritte und Bemühungen, die es in diesem Zeitraum für mehr Umweltschutz gegeben hat – auch wenn es noch nicht genug sind. Wo werden wir uns Ihrer Meinung nach in zehn Jahren im Klimaschutz befinden?
In zehn Jahren haben wir 2034. Da würde ich mir wünschen, dass Österreich die europäischen Klimaziele sogar noch übertroffen hat. Wir wissen, dass die zwischenzeitlichen europäischen Klimaziele nicht im Einklang mit dem Pariser Übereinkommen stehen. Ich würde mir wünschen, dass wir dann tatsächlich auf einem Kurs sind, das Pariser Abkommen einzuhalten. Und zwar faktisch, und nicht nur im Diskurs.