Ein Leben ohne Musik? „Unvorstellbar“

Mira Lu Kovacs, 2024. Foto Ina Aydogan

Mira Lu Kovacs, Teil der Wiener Rockband „My Ugly Clementine“, im Gespräch über die Magie von Musik, bewusstes Atmen und die Vorteile der Katzensprache.
Von Wolfgang Paterno

Mira Lu Kovacs trat vor etwas mehr als zehn Jahren als Frontfrau des Trios „Schmieds Puls“ öffentlich in Erscheinung. Die 1988 im burgenländischen Oberpullendorf geborene, vielfach ausgezeichnete Sängerin, Komponistin und Performerin ist Teil des Quintetts „5K HD“, das zwischen Elektronik und Avantgarde-Pop pendelt. Neben Sophie Lindinger und Nastasja Ronck ist Kovacs auch eine langjährige Verbündete des Indierock-Trios „My Ugly Clementine“, das 2021 den angesehenen „Impala Award“ für das beste europäische Album des Jahres verliehen bekam. Im Vorjahr erschien zuletzt das Clementine-Album „The Good Life“.

Mira Lu Kovacs, welche Fragen sollte man Ihnen eher nicht stellen?
Mira Lu Kovacs: Erstens: Wie kam es zu eurem Bandnamen? Zweitens: Wie ist es als Frau in der Musikszene? Das sind Fragen, die alles andere als willkommen sind. Wie der Bandname „My Ugly Clementine“ entstanden ist, lässt sich bequem im Internet finden, wobei die Geschichte dahinter ohnehin eher uninteressant ist. Wir haben das alles auch mindestens schon 33 Mal beantwortet. Natürlich werden wir nicht fuchsteufelswild, sollte die Frage dennoch irgendwann wieder auftauchen. Wer allerdings die zweite Frage stellt, muss mit dem Schlimmsten rechnen.

Die Beatles wurden in ihrer Frühzeit mutmaßlich auch öfter auf die Bedeutung ihres Bandnamens angesprochen.
Ab einem bestimmten Zeitpunkt verlieren Worte, die oft genug wiederholt werden, regelrecht ihre inhaltliche Ebene – und klingen schlicht nur mehr schön. Zu einem Namen wie „Claudia“ kann man eine Meinung haben. Lernt man dann tatsächlich eine Claudia kennen, die einen fasziniert, lösen sich die vorherigen Gewichtungen, die man diesem Namen vielleicht gab, in einem warmen Herzgefühl auf. „My Ugly Clementine“ hat sich für uns als Band längst von den Worten gelöst.

Haben Sie die Wahl des Bandnamens je bereut?
Nie. Für mich sind wir die „Clementines“, wobei ich den Begriff gern spielerisch verballhorne. Als Combo verbringen wir viel Zeit miteinander. Vielleicht haben wir uns auch deshalb innerhalb der Band eine Art Katzensprache angewöhnt: Wir unterhalten uns in Form gehobenen Blödsinns, den allein wir verstehen. Manchmal antworten wir auf Fragen nur mit „Miau!“. Mit „Miau!“ lassen sich erstaunlich viele Gefühlsebenen ausdrücken – von Gereiztheit bis zum Anlehnungsbedürfnis.

Kennt Ihre Katzensprache auch das Fauchen?
Selbstverständlich. Auch das Krallenausfahren, um klarzumachen, wo die Grenzen liegen.

Ein Leben ohne Musik wäre …
… kein Leben. Ein Leben ohne Musik wäre unermesslich langweilig. Unvorstellbar.

Ist Ihr Tag vom Aufstehen bis zum Schlafengehen von Musik bestimmt?
Wir sind viel am Organisieren und Kommunizieren. Wir planen Proben, schreiben gemeinsam an Texten, kümmern uns um die Aufrüstung der Pedalboards, statten dem Gitarrenbauer einen Besuch ab, halten Rücksprache mit der Agentur. Mein Leben ist voll von Musik, dennoch greife ich nicht jeden Tag zum Instrument oder stelle mich hinters Mikro. Die Steuererklärung wird übrigens auch uns nicht erlassen.

Hören Sie viel Musik?
Eher wenig. Ich höre gern Podcasts. Der Radiowecker spielt beim Aufstehen entweder das Morgenjournal oder das Mittagsjournal von Ö1, abhängig vom Vorabend. Sobald mir jedoch ein Song besonders gefällt, läuft er in Dauerschleife.

Analysieren Sie Ihre jeweiligen Lieblingssongs?
Ich höre grundsätzlich nur Musik, die mich berührt. Musik wiederum, die ich interessant finde, muss mir nicht zwangsläufig nahegehen. Bestimmte Songs, auf die ich anspreche, höre ich anfangs auf einer emotionalen Ebene. Erst beim zweiten Hineinhören fange ich an zu analysieren: Was tönt hier so wunderbar? Welches Instrument ist zu vernehmen? Was ist mit dem Sänger, der Sängerin bloß los, dass er oder sie so fantastisch klingt? Was ist mit dem Text? Dabei interessiert mich weniger die Technik als vielmehr die Besonderheit des Klangs: Weshalb berührt mich dieser kristallene Gitarrensound so unmittelbar?

Bob Dylan hat auf Servietten Hits geschrieben. Wie entstehen die Songs der „Clementines“?
Die altehrwürdige Serviette hat ausgedient; heute arbeiten wir mit dem Notizblock auf dem Handy. Als Konzertbesucherin bin ich oft dazu verleitet, auf meinem Handy inspirierende Worte oder ganze Zeilen zu notieren. Ich traue mich dann aber oft nicht zu tippen – aus der Befürchtung heraus, die Umstehenden könnten glauben, ich sei desinteressiert oder höre den Musikerinnen und Musikern auf dem Podium nicht zu. Bei mir zu Hause lagern Stapel von Notizbüchern mit Ideen. Auf dem Computer ist ein Notiz-File abgespeichert, das ewig lang ist.

Geht Ihnen manchmal vor lauter Arbeit schier der Atem aus?
Ich bin ein großer Fan vom Atmen. Wir vergessen alle ständig darauf, wir atmen viel zu flach. Bewussteres und tieferes Atmen kann in jeder Lebenslage enorme Verbesserungen herbeiführen. Das ist nebenbei der einzige Ratschlag, den ich für jeden von uns habe.

Sie wurden oft gefragt, was ein guter Song sei. Haben Sie darauf inzwischen eine bündige Antwort?
Es gibt E- und U-Musik, Songs und Symphonien, Minimal Music und ein berühmtes Stück, in dem kein einziger Ton erklingt. Musik ist ein offenes Medium, das sich nicht festzurren lässt. Es lässt sich nicht abschließend festmachen, was funktioniert, was bei Menschen ankommt. Das gibt einem wiederum die schöne Freiheit, als Popband sowohl eine zwanzigminütige Mini-Oper als auch ein Konzeptalbum mit wenig Sprache einspielen zu können.

Musik eröffnet sämtliche Möglichkeiten?
Ein Freund von mir spricht gern von der „Ästhetisierung des Geräusches“. Dem wohnt folgender Gedanke inne: Wann beginnt Musik – ab wann ist sie Klang oder Geräusch? Jedes Blätterrauschen, jedes Kaffeemaschinengurgeln kann einen harmonischen Zusammenhang erzeugen. Wo der eine nur Störgeräusche vernimmt, tönt es für die Ohren des Nächsten nach Wohlklang. Die Sprache der Musik ist und bleibt meine Lieblingssprache, bei der ich nicht zwangsläufig alles verstehen muss.

Auf Wikipedia ist zu lesen: „My Ugly Clementine ist eine von Sophie Lindinger 2019 gegründete Rockband aus Wien, bestehend aus Mira Lu Kovacs, Nastasja Ronck (seit 2020) und Lindinger selbst.“ Haben Sie rockbandmäßig bereits Hotelzimmer zerlegt?
Nie. Einmal waren wir zu laut, wobei das Hotel sehr hellhörig war. Wir wurden damals auch nicht vom Personal ermahnt. Ein Mitglied unserer Crew bat uns darum, dass wir unser beliebtes Band-Spiel „Leichter oder schwerer als gedacht“ leiser absolvieren.

Was darf man sich unter diesem Zeitvertreib vorstellen?
Man sieht ein Objekt und sagt: „Ich glaube, es ist schwerer als gedacht.“ Anschließend nimmt man das entsprechende Ding in die Hand und beurteilt, ob es tatsächlich schwerer oder eben leichter als gedacht ist. Mehr passiert bei diesem Spiel nicht. In dem Hotel geriet unser Spiel in der Lobby mit einem ausgestopften Vogel offenbar zu lautstark, der übrigens schwerer als gedacht war. Man kann sich diesem Spiel endlos widmen; jedes Objekt, das man in die Finger bekommt, taugt dazu. „Leichter oder schwerer als gedacht“ ist wunderbar sinnlos. Der Gegenentwurf zu jenen Brettspielen, bei denen 1.000 Regeln zu berücksichtigen sind.

Haben Sie eine Lieblingsdroge?
Wir sind eine sehr nüchterne Band, die gern alkoholfreies Bier trinkt, um das Gefühl des Anstoßens zu haben, ohne dabei saufen zu müssen. Auf Tour jeden Morgen mit einem Kater aufwachen? Furchtbar. Die „Clementines“ sind eher eine Spa-Band, wir schätzen die Ruhe: Wir nutzen in Hotels gern den Wellness-Bereich. Das mag vielleicht fad klingen. Mir ist es aber gerade recht, manchmal langweilig zu sein. Meine größte Droge sind Serien. Ich schaue alles, Gutes wie Schlechtes. Nur auf Drachen und sexuelle Gewalt kann ich verzichten.

Lou Reed behauptete einst, es gebe den perfekten Tag. Stimmen Sie zu?
„Perfekt“ ist ein gefährlich anmutendes Konstrukt. Es gibt gute und beste Tage, wobei ich Rankings misstraue: Wie kann ich wissen, welcher mein bester Tag war, bevor ich meinen letzten hatte?

Was möchten Sie als letzten Klang auf Erden hören?
Wow! Vielleicht jenes Gefühl, wenn einem die Stille laut vorkommt. Oder jemand flüstert mir schöne letzte Worte ins Ohr.


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