Ein Segen auf der Bühne

Es ist die letzte Aufführung von „Cyrano de Bergerac“, das Lily Sykes am Burgtheater inszeniert. Und auch für den 26 Jahre jungen Schauspieler Bless Amada ist es die letzte Vorstellung vor der Sommerpause. Bevor er in die Maske geht, haben wir mit ihm gesprochen. Von Juliane Fischer

Laut Wikipedia heißen Sie Blaise. Haben Sie Ihren Namen geändert?
Bless Amada: Der Name Blaise wurde bei der Geburt falsch eingetragen. Ich heiße Bless – so wie in „God bless you“. Das wird offiziell noch geändert.
Geboren sind Sie in Lomé, der Hauptstadt von Togo, deren Einwohnerzahl etwa so groß ist wie die von Wien. Was ist Ihre Erinnerung daran?
Ich bin früh von der Heimat weggegangen. Mit zehn Jahren bin ich nach Europa gekommen. Die Erinnerungen an meine Kindheit und Familie, die noch dort lebt, sind schöne Erinnerungen.
Sie sind als Kind nach München gezogen. Wie war das?
Erst einmal war das ein Kulturschock. Ich hatte keine andere Wahl. Mein Vater ist hergekommen kurz vor meinem zweiten Lebensjahr. Er hat mich zukunftsbedingt – wegen der wirtschaftlichen Lage – hergeholt. Damit ich eine gute Schulbildung habe und Chancen auf einen guten Job.
Glauben Sie, dass man als Kind so etwas leichter wegsteckt?
Ich glaube, als Kind ist man zuerst traumatisiert, weil man entwurzelt wird und man eine ganz neue Kultur kennenlernen muss. Zu Beginn war es schwierig, weil ich meine Mutter nicht hatte. Ich weinte oft. Nach und nach hat es sich gelegt und ich habe mich in die neue Kultur eingewöhnt.
Sie verwenden oft das Wort „Heimat“. Was macht Heimat für Sie aus?
Togo ist der Ort, wo ich großgeworden bin und meine gesamte Familie lebt dort. Ich verbinde damit die Kultur, das Essen, eine bestimmte Musikalität und die Menschen. Das ist für mich Heimat. Auch der Geruch. Diese Hitze – diese unaushaltbare Hitze!
Wonach riecht es dort?
Oh, durch die hohe Luftfeuchtigkeit hat der Geruch den Charakter von Erde. Viele Straßen sind nicht asphaltiert. Was mich zum Beispiel anfangs in Europa irritiert hat, war, dass alle Straßen und Gehwege asphaltiert sind. Es liegt in Lomé also Staub in der Luft. Da großteils auf Märkten eingekauft wird, hat man auch intensive Gerüche von Früchten in der Luft.
Haben Sie sich damals zerrissen gefühlt in Ihrer Identität?
Ich habe mich ganz schnell mit der europäischen Kultur identifiziert. Ich bin ja schon den größten Teil des Lebens hier. Das prägt einen. Dass man sich Dinge aneignet, diese gewisse Anpassung, das ist ein Überlebensmechanismus. Nichtsdestotrotz werde ich in meinem Kern und Wesen Afrikaner bleiben, weil dort meine Wurzeln liegen.
Den Berufswunsch Schauspieler haben Sie schon lange.
Ja, es ist ein Kindheitstraum. Mit ungefähr sechs Jahren trug ich diesen Wunsch in mir. In meiner Heimat ist es nicht einfach. Schauspieler ist kein Beruf, zu dem man leicht kommt. Der Wunsch wuchs durch das Fernsehen. Ich erinnere mich an den Moment, als ich einen Krimi anschaute und die Kommissarin zu weinen begann. Das hat mich sehr berührt. Ich wollte auch in der Lage sein, mich so auszudrücken. Die Authentizität, die Tatsache, dass eine Person in dieser Kiste so verletzlich war oder in der Lage, eine uns allzu bekannte Emotion so echt und überzeugend darzustellen, sodass ich ihr das glaube – das hat mich wahnsinnig berührt und inspiriert.
Was waren die ersten Schritte?
Der Start war nicht gleich so, wie ich es mir erträumt hatte. Nach der Mittleren Reife habe ich eine Ausbildung zum Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik angefangen und dann zwei Jahre lang auf der Baustelle gearbeitet. Ich habe erkannt, dass mich das total unglücklich macht und mich informiert, wie es möglich ist, Schauspieler zu werden. Die Mutter meines besten Freundes und meine Stiefgroßmutter haben mir gesagt, ich soll an die Otto-Falckenberg-Schule zum Vorsprechen gehen. Dorthin habe ich Monologe und selbstgeschriebene Szenen mitgebracht. Ich ging zum Termin mit einer Idee im Kopf, wie ich die Rollen darstellen würde. Schon beim ersten Versuch wurde ich genommen. Dabei war es die erste Schauspielschule, an der ich vorgesprochen habe und das erste Mal, dass ich auf der Bühne stand.
Wie kamen Sie dann ins Ensemble des Burgtheaters?
Nach der Schule habe ich diese Netflix-Serie, ,Kitz‘, gedreht. Das Burgtheater hat mich zwei Mal eingeladen. Beim ersten Mal konnte ich nicht und beim zweiten Mal – an meinem 24. Geburtstag – habe ich vorgesprochen und wurde gleich aufgenommen.
Wie fühlen Sie sich in Wien? Was unterscheidet Wien von München ?
München ist – abgesehen von Togo – auch meine Heimat geworden. Es ist in Europa die Stadt, der ich mich verbunden fühle. Ich mag die grünen Flächen dort mitten in der Innenstadt und das unterscheidet es gefühlt von Wien. Was ich an Wien so toll finde: Wien ist ein kulinarisches Paradies. Ich bin leidenschaftlicher Esser und Koch, da ist Wien echt großartig. Und die Kultur! Wien ist eine unglaublich schöne, idyllische Stadt. Vom Flanieren kann man viel Inspiration bekommen. Und doch hat München mehr Atem und ich finde eine gewisse Ruhe, die ich in Wien nicht habe. Das liegt wahrscheinlich an der Arbeit.
Auf Wikipedia werden Sie als deutscher Schauspieler bezeichnet: Sehen Sie sich als Deutscher? Ist es so einfach, das festzulegen? Ist es überhaupt relevant?
Ich bezeichne mich schon als deutscher Schauspieler, aber auch als Togolese. Dass ich schon lange in Deutschland lebe und dadurch auch den deutschen Pass habe, ändert nichts daran, dass ich immer noch in meinem Kern Togolese bin. Wieso kann man nicht beides sein?
Finden Sie es überholt, in getrennten Kulturen zu denken?
In mir leben verschiedene Kulturen und Sprachen. Das alles ist ein Teil von mir. Ich trenne es nicht.
Wie stehen Sie zum Wort „Migrationshintergrund“?

Für mich persönlich hat es mittlerweile eine negative Konnotation und fühlt sich deswegen merkwürdig an. Ich habe nichts dagegen, wenn man mich fragt, wo ich herkomme oder wo meine Wurzeln liegen.
Was ist identitätsstiftend? Sprache?
Die Sprache ist der erste Schritt. Manche Leute müssen sich erst wehren, bevor sie sich aussuchen können, wie sie genannt werden. Wörter sind nicht nur einfach Wörter. Es ist wichtig darauf zu achten, welche Worte man benutzt. Sie können schnell zu Verletzungen führen. Sprache hat große Macht – egal, ob man sie bewusst oder unbewusst einsetzt.
Was sind Wörter oder Begriffe in diesem Zusammenhang, die Sie gut finden?
Wenn man fragt, wo liegen die Wurzeln einer Person, finde ich das einen guten Ausdruck. Wir tragen alle den Wunsch in uns, als Menschen anerkannt zu werden. Und wir wollen nicht in Gruppen unterteilt werden. Wenn man immer in diesen Unterteilungen denkt, dann hört man auf zu existieren. Du bist das und du bist jenes, du gehörst nicht zu dieser Gruppe, weil du so und so aussiehst – das ist alles ein Konstrukt. Schön ist es, wenn man einfach von Menschen sprechen kann. Klar, die haben verschiedene Herkünfte. Auch das Wort „Flüchtling“ wirkt anders als „jemand, der geflohen ist“.
Also bestenfalls gar keine Kategorisierung, weil man dazu neigt, nach Oberflächlichkeiten einzuteilen.
Ja, lieber würde ich uns als eine Einheit sehen und weniger eine Einteilung in Gruppen und Untergruppen. Das Ganze hat zwei Seiten für mich: Einerseits geht es um den Wunsch nach Neutralität. Darum, dass ich nicht will, dass hervorgehoben wird, dass ein dunkelhäutiger Mensch eine Rolle verkörpert. Andererseits passiert gerade ein Umbruch und es wird offen thematisiert, dass Menschen, die wie ich aussehen und die lange nicht die gleichen Chancen hatten, diese Möglichkeiten jetzt haben. Die alten Sehgewohnheiten müssen gebrochen werden, um neue zu schaffen.
Haben Sie in Ihrer Jugend Rassismus erfahren?
Nein, ich würde das nicht als Rassismus interpretieren. Das Spannende daran ist, dass ich als Jugendlicher nicht wirklich wusste, was Rassismus ist. Dass sich Jugendliche gegenseitig beschimpfen, war für mich normal. Ich habe das nicht auf mein Aussehen bezogen und ich habe mich nie ausgeschlossen oder ausgegrenzt gefühlt. Für mich war das der normale Umgang mit Gleichaltrigen.
Wie erleben Sie den Alltag hier? Wie offen empfinden Sie die österreichische Gesellschaft?
Bis jetzt sehr offen mir gegenüber.
In „Engel in Amerika“ spielen Sie die ehemalige Dragqueen Belize. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?
Ganz viel Recherche über den Stoff und Gespräche mit Menschen aus der Szene. Ich musste mich reinarbeiten in die vielen Formen und Arten von Drag und außerdem bedeutete es, acht Wochen intensiv auf High Heels zu laufen. Und Voguing, diese spezielle Art des Tanzens und Posieren in der Ballroom Culture, zu lernen.
„Jede Person ist eine ganze Stadt voller Menschen. In uns wohnen tausend verschiedene Versionen unserer selbst, und – sie können nicht alle gleich wichtig sein. Wir entscheiden, welche uns bestimmen“. lautet ein Zitat aus „Die Ärztin“, das sich an Schnitzlers Professor Bernhardi orientiert. Können Sie damit etwas anfangen?
Absolut. Ich würde sagen, ich habe die Version eines Afrikaners und auch eines Europäers in mir drinnen. Das wird mein Leben lang nicht abnehmen sondern zunehmen, wenn ich andere Menschen und ihre Werte kennenlerne. Wir entscheiden, welcher Version wir mehr Fokus geben. Mir geht es darum, auf das Miteinander zu achten, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen und stattdessen eine Quelle des Gebens zu sein. Das ist eine Version von mir, der ich gerne viel Raum gebe.


Bless Amada wurde 1997 im westafrikanischen Togo geboren und ist seit der Spielsaison 2021/2022 Teil des Ensembles am Wiener Burgtheater. Bei den Münchner Kammerspielen stellte er zuvor in einer Inszenierung von Elfriede Jelineks „Rein Gold: Ein Bühnenessay“ den Göttervater Wotan dar. Für seine schauspielerischen Darbietungen wurde Bless Amada 2020 mit dem Proskenion-Nachwuchsförderpreis ausgezeichnet.


Foto Petra Kamenar


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