Eine charmante Mischung aus Zuversicht und Feigheit

Von Verena Roßbacher

Ich hatte kurz gerungen, ob dieses Buch an dieser Stelle besprochen werden soll, habe ich doch das Nachwort dafür verfasst, und es ist natürlich unendlich peinlich, an dieser Stelle ein Buch zu besprechen, für das ich ein Nachwort usw., und doch wäre es schade, es nicht zu tun, denn es ist ein gutes Buch. Ich werde also an dieser Stelle ein Buch besprechen, obwohl ich das Nachwort dafür verfasst habe. Es ist, trotz des Nachworts, ein gutes Buch.

Margaret Drabble
Mühlstein
Roman
288 S., Dörlemann
ISBN 978-3-03820-1366, 2024


Margaret Drabbles „The Millstone“ erschien erstmals 1965 und nun in überarbeiteter Übersetzung bei Dörlemann.
Protagonistin Rosamund Stacey, ein liebenswerter, kluger und dabei etwas schusseliger Typus von junger Frau, dazu Cambridge-Absolventin, Tochter aus liberalem und dabei durchaus privilegiertem Hause, arbeitet an ihrer Doktorarbeit zu elisabethanischen Sonettsequenzen und unterhält ein bemerkenswertes Beziehungsarrangement mit zwei Herren, die sie mehr oder weniger gegeneinander ausspielt. Dem jeweils einen erklärt sie, leider nicht in irgendeiner Form sexuell mit ihm tätig werden zu können, da sie ja schon mit dem anderen sexuell aktiv sei. Tatsächlich hat sie mit keinem von beiden Sex, schwanger wird sie dann aber trotzdem, und zwar von einem Dritten namens George. Mit George schläft sie genau ein Mal, es ist ein klassischer One-Night-Stand, aber absolut ausreichend, um plötzlich mittendrin zu sein in einer ungewollten Schwangerschaft. Was tun? Ein Schwangerschaftsabbruch ist im England dieser Zeit illegal, dennoch gehen aber alle davon aus, dass etwas anderes gar nicht infrage kommt, unverheiratet, wie sie ist, und auch keineswegs gewillt, besagten George zu ehelichen – der übrigens von dem Resultat ihrer gemeinsamen intimen Eskapade nichts weiß und auch Zeit seines Lebens nichts davon erfahren wird.
Rosamund erwägt die Option Schwangerschaftsabbruch auch durchaus und unternimmt halbherzige Versuche in diese Richtung – Gin, hörte sie, viel Gin und heiße Bäder sollten Abhilfe verschaffen, aber dann kommt Besuch und danach ist der Gin fast ausgetrunken und als endlich alle wieder gegangen sind, will die Wassertemperatur nicht recht stimmen. Schon ohne Trunkenheit ist es höchst kompliziert, ein adäquates Mischverhältnis herzustellen, jetzt sollte sie ein heißes Bad nehmen und das Wasser ist eiskalt, und überhaupt wird sie plötzlich sehr heiter („Alkohol macht mich immer fröhlich.“). Und während sie das mit dem Wannenbad sein lässt und Richtung Schlafzimmer stromert, denkt sie „(…), wie es wohl wäre, ein Baby zu haben. Im Zustand totaler Trunkenheit kam mir der Gedanken gar nicht so schlecht vor, so unpraktisch und unmöglich es auch immer sein mochte. Meine Schwester hatte Kinder, sehr nette Kinder sogar, und schien sie zu mögen. Meine Freundinnen hatten Kinder. Es gab keinen Grund, warum ich nicht auch eines haben sollte.“
Nichtsdestotrotz versucht sie noch, einen entsprechenden Arzt zu erreichen, „aber es war besetzt“, also bläst sie die Sache ab.
Kurzum, Rosamund entscheidet sich wider jede Vernunft für dieses Kind und ist sodann eine ledige Schwangere und später eine alleinerziehende Mutter. Nüchtern und scharfsinnig beschreibt sie fortan aus dieser Position heraus die Gesellschaft der 1960er Jahre, sie tut das mit wachem, analytischem Geist und niemals ohne Humor, und sie lässt sich ganz sicher nicht unterkriegen. Heiter und mit einem Selbstbewusstsein, von dem sie nie auch nur ahnte, dass sie darüber verfügt, bewerkstelligt sie diese keineswegs einfache Situation.
„… ich habe einfach nie daran geglaubt, dass ein einziges uneheliches Kind meiner Karriere Schaden zufügen könnte.“ Und so ist es auch nicht: Sie habilitiert, bekommt eine gute Stelle angeboten, lebt in einer Art WG mit einer Freundin, und eine Ausgangslage, die für Frauen in ähnlicher Situation nur allzu oft nicht gut ausgeht, führt bei ihr zu einer Entwicklung, die sie selbst als glücklich bezeichnen würde. Es bestätigt sich etwas, was sie schon eingangs des ganzen Berichts anmerkt: „… schließlich ist es die Zuversicht und nicht die Feigheit, die ich an mir bewundere.“ Diese wunderbare Zuversicht zieht sich durch das ganze Buch.
Gewiss, man mag einwenden, finanziell abgesichert und gut ausgebildet ist Rosamund Stacey keineswegs die Norm. Sie weiß das sehr wohl. Es wird ihr ob ihrer eigenen, diffizilen Lage sogar ungleich klarer, wie ungerecht es zu- und hergeht in dieser Welt, es steigert ihre eigene, schwierige Situation eher ihre Empathie, die sie plötzlich empfindet, für Menschen generell, für weniger Privilegierte, für Frauen, für Mütter. Ohne jemals ein unreflektiertes Hohelied auf die Mutterschaft zu singen, passiert nach und nach etwas, was Rosamund selbst nicht für möglich gehalten hätte: Die Liebe zu ihrem Kind verändert sie, es wird in ihr, die sich selbst bislang immer als viktorianisch-kühl beschrieben hätte, etwas geweckt, das ihr ganzes Wesen verändert.
„Mühlstein“ ist, fast sechzig Jahre nach seinem Erscheinen, ein Buch, das zu lesen unbedingt lohnt. Verspielt, klug und witzig ist es ein wunderbar optimistischer Beitrag im Kanon der feministischen Literatur. 


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