Eine Lobby für die Natur
Winfrid Herbst bei einer Veranstaltung von „Salzburg Fairantworten“ im September 2021. Foto Wilfried Rogler
Die Salzburger Natur wird ausverkauft, kritisiert „Salzburg Fairantworten“. Die Plattform fordert: Lasst die Einheimischen mitbestimmen, was mit ihrem Land passiert. Von Laura Anninger
Vor einem Souvenirgeschäft steht ein Papp-aufsteller. Es ist ein Herr in weißer Perücke und rotem Samtanzug, der eine Mozartkugel zwischen Daumen und Zeigefinger hält. Dahinter, unweit des Café Tomaselli, hat ein Maler seine Aquarelle auf einer Samtplatte angepinnt: Festung, Salzach, Kapuzinerberg. Es ist ein normaler Freitag in Salzburg. Stünde da nicht in der Mitte des Alten Marktes eine Bühne und auf ihr Winfrid Herbst mit einem Mikrofon in der Hand. Die indische Familie, die im Haflinger-Fiaker vorbeifährt, versteht ihn nicht. Für die rund 100 Salzburger, die mit E-Bikes, Kinderwagen oder Rollstuhl hierher gekommen sind, scheint Herbst die richtigen Worte zu finden. Er sagt: „Wir verkaufen die Seele unseres Landes. Salzburg will nicht die Chalet-Festung Europas werden.“
Winfrid Herbst ist 73 Jahre alt. Er trägt Brille und eine hochwertige Windjacke, um seinen Hals liegt ein dünner Schal. Fast sechs Jahrzehnte trennen ihn von den Jugendlichen, die für Fridays-for-Future auf die Straßen gehen. Ein Mann mit Erfahrung im Naturschutz und einem Doktortitel in Biologie. Herbst war unter anderem Lehrer, arbeitete für das „Haus der Natur“ und leitete das Abfallservice der Stadt Salzburg. Seit vier Jahren ist er im Ruhestand. Sein Plan, diesen auf dem Rad und in den Bergen zu verbringen, ging aufgrund der Klimakrise nicht auf. Denn Winfrid Herbst ist überzeugt: „Ich bin als älterer Mensch dazu verpflichtet, die Jugend nicht alleine zu lassen.“ Darum ist er Obmann des Salzburger Naturschutzbundes und seit April 2021 Sprecher von „Salzburg Fairantworten“. Im Ruhestand ist er Lobbyist geworden. Er spricht für eine Entität ohne Stimme. Winfrid Herbst lobbyiert für die
Natur.
„Salzburg Fairantworten“ versteht sich als Plattform zum Erhalt des Lebensraums im Bundesland Salzburg. Sie versammelt den Naturschutzbund, Naturfreunde, Alpenverein Salzburg, den Verein Fairkabeln und die Österreichische Berg- und KleinbäuerInnen Vereinigung. Damit vertritt sie rund 65.000 Mitglieder. Auch bekannte Gesichter stehen hinter ihr. Etwa Louis Heckenblaikner, der seit Jahrzehnten den Ausverkauf des Alpenraums dokumentiert und mit seinen Fotos über Ischgl für Schlagzeilen gesorgt hat. Unterstützung von politischen Parteien schließt die Plattform kategorisch aus, vereinzelt
bekomme man Spenden von Privatpersonen. „Aber zum Großteil finanzieren wir unsere Arbeit durch Selbstausbeutung“, sagt Herbst trocken.
Für ihn ist Salzburg das schönste Bundesland Österreichs. Doch es ist auch klein, umfasst nur 7.156 Quadratkilometer. Ein Fünftel davon ist dauerhaft besiedelt. Acht Prozent werden als Ackerland genutzt. Auf der verbliebenen Fläche drängen sich Straßen, Schienen und Industrie, aber auch imposante Berge und aquamarinblaue Flüsse. „Unser Salzburg wird mit sauberer Luft, trinkbarem Wasser und reinen Seen verbunden. Das ist ein Exportschlager!“, schreibt etwa die Salzburger Landesgruppe der Industriellenvereinigung. Wegen der Mozartstadt, aber auch wegen der unberührten Natur reisten im vergangenen Jahr rund 5,7 Millionen Menschen nach Salzburg. Doch gerade letzterer kann man beim Verschwinden zusehen.
Im vergangenen Jahrzehnt wurden jeden Tag 0,7 Hektar Salzburger Boden verbaut. Denn, dass Salzburg schön ist, haben auch Investoren längst begriffen. Bauen in den Alpen ist in Zeiten von Niedrigzinspolitik und Klimakrise ein lukratives Geschäft. Besonders Buy-to-let-Modelle boomen. Dabei bauen Unternehmen etwa Chaletdörfer und verkaufen die Häuser weiter. Die neuen Eigentümer nutzen die Immobilien wenige Wochen im Jahr, den Großteil des Jahres werden sie an Touristen vermietet oder stehen leer. Über das gesamte Bundesland entstehen solche Großprojekte. Etwa am Pass Thurn bei Mittersill, wo eine thailändische Immobiliengruppe 13 Chalets und ein Hotel mit 45 Apartments bauen will. Dafür wurde Wald gerodet. Für ein Chalet auf 1.200 Meter Seehöhe zahlen Käufer bis zu 8,5 Millionen Euro. Der Blick auf das angrenzende Naturschutzgebiet Hochmoor Wasenmoos ist inkludiert. Oder in Wagrain, wo eine neue 10er-Sesselbahn mit Wlan und Entertainment System Gäste auf das Grießenkareck befördern soll. Es sei „eine Investition, die über Generationen große Freude bereiten wird”, sagt Axel Ellmer, der Wagrainer Bürgermeister. Die Sesselbahn mit dem klingenden Namen „Flying Mozart“ sei eine Ersatzanlage für die alte Gondel, so Ellmer. Fotos der Aushubarbeiten machen allerdings sichtbar, wie massiv für den Bau der Mittelstation in die Landschaft eingegriffen wird. Es stellt sich die Frage: Wie viel Freude bereiten solche Großprojekte den Salzburgern wirklich?
Die Kundgebung ist vorbei. Der vertraute Schnürlregen legt sich über die Mozartstadt. Winfrid Herbst sitzt in einem Café und wärmt seine Hände an einer Tasse Schwarztee. „Der Dreh- und Angelpunkt ist die Raumordnung. Wenn die missglückt, missglückt sehr vieles“, erklärt der Biologe. Verbaut man fruchtbare Flächen, gefährdet das die Ernährungssicherheit. Verschwindet Erde unter Beton, schrumpfen die Möglichkeiten zur Naherholung. Verkauft man Baugrund an Investoren, wird das Wohnen für Einheimische teurer. Dafür finanziert die Gemeinde mit ihrem Steuergeld Abwasser- und Stromleitungen oder Zufahrtsstraßen. Salzburg verliert mit jedem Chaletdorf und jeder Gondel das, was es ausmacht: die unberührte Natur. Viele Fehler wurden schon begangen, meint Winfrid Herbst. Es ist Zeit für Schadensbegrenzung.
„Salzburg Fairantworten“ fordert ein Verbot von Buy-to-let-Modellen und Zweitwohnsitzen, einen Aufschub von Seilbahn-Projekten und vor allem: eine überkommunale Raumordnung. Nicht mehr Bürgermeister sollen entscheiden, ob die grüne Wiese versiegelt wird. Denn eine intakte Natur ist im Interesse aller Salzburger. Diese sollen sich einbringen können. So will die Plattform Bürger etwa bei der Organisation von Veranstaltungen in den Gemeinden unterstützen. Das letzte Wort in der Raumordnungsdebatte spricht aber die Politik. Darum stellt sich Winfrid Herbst wie alle Lobbyisten eine Frage: Wie holt er die politischen Verantwortungsträger auf seine Seite?
Ein Instrument sind bindende Volksabstimmungen. Ein weiteres wäre ein Abkommen mit der ÖVP-Landesregierung. Darin könnte man Leitlinien festschreiben: Wie geht man mit freien Flächen um? Wie kann man die Ernährungssicherheit garantieren? Mit der Industriellenvereinigung wurde vergangenes Jahr ein industrie- und innovationspolitisches Abkommen unterzeichnet. Darin bekennt man sich, „ökologische, ökonomische und soziale Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Wirtschaftsstandort und die Attraktivität Salzburgs bewahren.“ Solche sind etwa das Freihalten von Flächen, um Unternehmen die Möglichkeit für Anbauten zu geben. Man prüfe auch „mögliche Ansiedlungs- und Erweiterungsflächen für die Entwicklung von Hightech-Unternehmen.“ Punkte, die auch die Raumordnung betreffen. Was spricht also gegen ein Abkommen mit Fokus auf Naturschutz?
Aus dem Büro des Landeshauptmanns Wilfried Haslauer heißt es, Salzburg setze mehr Maßnahmen zum sparsamen Flächenverbrauch als andere Bundesländer. Naturschutzorganisationen konnten sich in Salzburg einbringen, etwa in die letzte Novelle des Naturschutzgesetzes. Eine Änderung des Raumordnungsgesetzes sei allerdings nicht möglich, ohne die Verfassung zu ändern. Und wohl auch nicht erwünscht. Denn die Bürgermeister wüssten, welche Bedürfnisse es in ihren Gemeinden gibt. „Die Gesetze müssen sich doch an der Wirklichkeit und vor allem an der Zukunft orientieren. Die sind doch nicht in Stein gemeißelt“, hält Winfrid Herbst dagegen. Mit einigen Mitgliedern der Landesregierung sei „Salzburg Fairantworten“ aktuell im Gespräch. Auch mit dem Landeshauptmann will man es weiter versuchen. Aber nicht mehr allzu lange, glaubt man dem Manifest des Netzwerks. Dort steht: „Ab einem gewissen Punkt wird gekämpft: Fair, aber hart. Und mit langem Atem!“
Wer Winfrid Herbst gegenübersitzt, merkt schnell: diese Kampfrhetorik passt so gar nicht zu ihm. Der 73-Jährige spricht behutsam. Oft bricht er mitten im Satz ab, um ihn noch ausgewogener umzuformulieren. Aber Herbst ist engagiert und resilient. Das musste er seit Gründung der Plattform immer wieder unter Beweis stellen. Etwa, als der Verein „Bio Austria“ kurz nach Druck von Kammerfunktionären wieder austritt. Damals tritt auch der langjährige Obmann zurück. Oder nach internen Interventionen, als die Salzburger Sektion des Alpenvereins beitritt. Dass sie heute immer noch an Bord ist, war wichtig für die Plattform. Denn der Zusammenhalt der Organisationen ist das wichtigste Gut von „Salzburg Fairantworten“. Nur gemeinsam wird man als Stimme für Salzburgs Natur in Zukunft nicht mehr zu überhören sein. Herbst ist neben all dem Idealismus auch realistisch. Er meint: Bis man eine schlagkräftige Organisation sei, werde es noch dauern. Dann kommt ihm ein Satz über die Lippen, den man von keinem Lobbyisten hören würde. Winfrid Herbst sagt: „Bis dahin werden wir weiter arbeiten und allen Seiten respektvoll zuhören.“ Als Mitstreiter wünscht er sich die Bürger Salzburgs. Gemeinsam könne man ganz schön laut werden.