Eine Zumutung sein
Von Verena Roßbacher
Katja Oskamp, geboren 1970 in Ost-Berlin, erzählt in ihrem neuen Buch die Geschichte der Beziehung zwischen ihr selbst und dem Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann, im Buch Tosch genannt.
Sie lernen sich am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig kennen, er ist Dozent, sie Studentin, er unglücklich verheiratet mit einer depressiven Schauspielerin, die nicht spielt, und sie ebenso unglücklich mit einem depressiven Dirigenten, der irgendwann auch nicht mehr dirigiert. Aus dieser Verbindung bringt sie eine kleine Tochter mit.
Und so beginnt ihre eigene Liebesgeschichte, die neunzehn Jahre währen wird, eine Zeitspanne, die dem Altersunterschied zwischen den beiden entspricht, was ihr irgendwie von Bedeutung zu sein scheint. Sie ist dreißig, als sie sich kennenlernen, und fast fünfzig, als sie auseinandergehen, er wird in dieser Zeit schwer krank und ihre Tochter erwachsen.
Die Protagonistin selbst fasst das Wesen dieser Beziehung recht nüchtern mit den Worten „Sex und Text“ zusammen, und ja, es geht, ganz schonungslos, viel um Sex und auch viel um Literatur, aber nicht nur. Genau genommen sagt sie im Buch nämlich Folgendes: „Ich mute mich dir zu. Du mutest dich mir zu. (…) Mit allen Meisen und Absonderlichkeiten. (…) Sex und Text nannten wir die Gemengelage.“
Und das bringt ziemlich gut auf den Punkt, was schlussendlich so beeindruckend ist an diesem Roman: Der Versuch eines Paares, ehrlich miteinander zu sein, auch, wenn es sich um Dinge handelt, über die man, auch als Paar, nicht gerne offen spricht. Körperliche Malaisen (ihm ist es beispielsweise unangenehm, ihr, der deutlich jüngeren Geliebten, einzugestehen, dass er ein Hörgerät trägt), sexuelle Fantasien, Ängste, Neurosen. Und was diese beiden in ihrer langjährigen Beziehung versuchen, nennen wir es einen „Ehrlichkeitspakt“, praktiziert Oskamp auch in diesem Roman: Mit großer Schonungslosigkeit betrachtet sie sowohl Tosch wie sich selbst. Pragmatisch und zugleich mit großem Witz legt sie nicht nur Toschs, sondern auch die eigene Erbärmlichkeit und Bedürftigkeit offen. Sie reflektiert sich, sie analysiert sich, ohne sich selbst auf den Leim zu gehen. Sie redet sich selbst nicht schön.
Katja Oskamp
Die vorletzte Frau
Roman
208 S., Park X Ullstein
ISBN 978-3-9881602-0-1, 2024
Dieses Buch ist keine Abrechnung, wie solche Bücher es sein können. Nein, viel eher scheint es der Versuch zu sein, dieser ungewöhnlichen Paarbeziehung und auch ungewöhnlichen Familie, die sie zu dritt bilden, gerecht zu werden, und zwar in alle Richtungen, in die dreckigen und unschönen genauso wie in die leichten und wunderbaren. Bei aller Härte des Blicks – und Oskamps Blick ist hart, in Bezug auf Tosch und nicht weniger in Bezug auf sich selbst – wird eines beim Lesen sehr klar: Dies war die Liebe ihres Lebens. Er ist vermutlich der Mann, dem sie sich am meisten geöffnet hat, mit dem sie am ehesten sie selbst war. Sie waren zusammen eine originelle, aber glückliche Familie. Sie haben ziemlich viel gut hingekriegt, und das ist nicht nichts.
Es wurde dieses Buch als „Enthüllungsprosa“ bezeichnet, und tatsächlich war mir selbst anfangs nicht ganz behaglich, in Anbetracht dessen, was hier gemacht wird: Eine bekannte Autorin schreibt über die Beziehung zu einem noch bekannteren Autor, und nicht nur das, sie berichtet, ohne das irgendwie schönzureden, über die Krebserkrankung dieses Autors und seinen körperlichen Niedergang und auch den damit einhergehenden Niedergang dieser Beziehung.
Darf man das? Und wenn ja, sollte man das? Ich weiß nicht, ob ich es in jedem Fall bejahen würde. In diesem Fall allerdings scheint mir, es ist dieses Buch irgendwie folgerichtig. Es tut mit literarischen Mitteln das, was die beiden als Paar miteinander beschlossen haben: sich einander zuzumuten. Oskamp mutet Hürlimann dieses Buch zu. Da er offensichtlich sein Okay dazu gab, nehme ich an, er kann das verkraften, und vielleicht nicht nur das, er akzeptiert es womöglich als Fortführung ihrer Verbindung, die Fortführung des Ehrlichkeitspakts. Zumindest auf der literarischen Ebene besteht er somit weiter.