Einer von wenigen

Philipp Zeitler hat seine Arbeit vorübergehend gegen die Betreuung seiner Tochter eingetauscht. In Österreich ist es jedoch nach wie vor eher die Ausnahme, dass Väter in Karenz gehen. Nur 16 von 100 Männern nehmen diese Möglichkeit wahr. Warum ist das so?
Text Naz Kücüktekin, Fotos Julia Geiter

Um spätestens acht Uhr morgens muss
Philipp Zeitler voll und ganz präsent sein. Um diese Zeit wacht seine vor Kurzem ein Jahr alt gewordene Tochter für gewöhnlich auf. Mina ist dann der Zuwendung fordernde und Aufmerksamkeit erwartende Mittelpunkt im Leben des 38-Jährigen. Ihr Essen zuzubereiten, ihre Windeln zu wechseln und den Gemütszustand des kleinen Wesens mit den großen Augen zu pflegen, sind nur einige seiner täglichen Aufgaben. „Und sonst haben wir meistens auch immer etwas vor. Wir gehen regelmäßig zum Babyturnen oder unternehmen etwas draußen“, erzählt der Vollzeit-Vater. An diesem verregneten Tag stehen ein Interview und ein Fotoshooting auf dem Programm, denn eine Journalistin und eine Fotografin sind zu Besuch, um über seine zweimonatige Karenz zu berichten.
Wie kam es zu der Entscheidung? Wie hat sich sein Alltag seither verändert? Was ist besonders herausfordernd? Und was bedeutet die Karenz für seine Karriere? Das sind nur einige der Fragen, die Philipp Zeitler mit Mina im Arm geduldig beantwortet.

Schlusslicht im EU-Vergleich
Ein Elternteil, das sich um sein Kind kümmert – das ist doch nichts Besonderes, könnte man meinen. Doch wenn es der Vater ist, der diese Rolle übernimmt, ist es das in Österreich tatsächlich. Dass Karenz Frauensache ist, zeigen Statistiken und Vergleiche Jahr für Jahr deutlich.
Anspruch auf Karenz, also auf Freistellung von der Arbeitsleistung für die Kinderbetreuung, haben in Österreich beide Elternteile. Arbeitgeber können Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Karenz nicht verweigern. Die volle Karenzzeit von zwei Jahren kann aufgrund einer Änderung, basierend auf einer EU-Richtlinie, seit Kurzem auch nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Väter zumindest zwei Monate übernehmen. Dennoch nutzen nur 16 von 100 Vätern in Österreich die Möglichkeit, in Karenz zu gehen.
Damit schneidet Österreich im EU-Vergleich besonders schlecht ab, wie aus einer aktuellen Erhebung des Momentum Instituts hervorgeht. Kein anderes EU-Land hat so wenige Väter, die auch nur einen einzigen Tag Karenz nehmen. Ein Blick in das Nachbarland Slowenien zeigt den Unterschied deutlich: Dort gehen 90 Prozent der Väter in Karenz. Auch in Ländern wie Luxemburg und den Niederlanden sind Männer weit mehr in die Kinderbetreuung eingebunden. Selbst in Italien, das im EU-weiten Vergleich auf dem drittletzten Platz liegt, ist die Beteiligung der Väter doppelt so hoch wie in Österreich.

Oft der einzige Mann
Wie wenige denselben Weg wie Philipp Zeitler gehen, merkt dieser auch im Alltag. Beim regelmäßigen Babyturnen ist er der einzige Vater, umgeben von Müttern. Geht er mit seiner Tochter in den Park, ist er auch oft das einzige männliche Elternteil eines Kindes. Viele Orte und Situationen, in denen er sich seit Beginn seiner Karenz mit Mina vermehrt wiederfindet, sind solche, in denen sonst hauptsächlich Frauen anzutreffen sind.
„Einige in meinem Umfeld waren schon überrascht, als ich erzählt habe, dass ich in Karenz gehen werde“, erzählt der stolze Papa. Dabei habe für ihn nie etwas gegen eine solche Entscheidung gesprochen. Er arbeitet als IT-Experte in einem kleinen Unternehmen. Nach Minas Geburt hatte er sich bereits einen sogenannten Papa-Monat genommen.
Das Thema Karenz sei für ihn nie ein Grund zur Sorge gewesen. „Ich war zwar der Erste, der das bei uns in der Firma gemacht hat, aber mir war klar, dass es nie ein Problem werden würde“, so Philipp Zeitler. Besonders schön war für ihn zu sehen, dass nach ihm zwei weitere Kollegen ebenfalls in Karenz gingen. „Vielleicht ist es doch leichter, wenn es im Betrieb schon jemanden gibt, der das gemacht hat“, sagt er. Außerdem: „Meine Partnerin und ich verdienen beide ungefähr gleich viel“, spricht Zeitler einen wichtigen Punkt an.
Denn steht die Entscheidung an, wer in Karenz gehen soll, ist es trotz gleicher rechtlicher Ausgangslage meist der weniger Verdienende, der es tut. Und das ist in Österreich in den meisten Fällen der weibliche Part. Denn Karenz ist hier nach wie vor hauptsächlich Frauensache.

„Man baut eine ganz andere Beziehung und Bindung zu seinem Kind auf, wenn man den Großteil des Alltags mit ihm verbringt“

Lohnscheren und Karriereknicks
Österreich zählt nach wie vor zu den EU-Ländern mit dem größten Lohngefälle zwischen Frauen und Männern. Der Unterschied betrug im Jahr 2022 immer noch 12,4 Prozent. Nimmt man auch Teilzeitbeschäftigte in die Rechnung hinein, wächst die Lohnschere sogar auf 35 Prozent. Karriereknicks sowie ein Fernbleiben vom Berufsleben im Falle einer Schwangerschaft sind für viele Frauen dadurch fast eine unabdingbare Folge.
Ein direkter Vergleich mit Schweden durch eine 2024 durchgeführte Studie des Instituts für Familienforschung (ÖIF) zeigt etwa Diskrepanzen in der Anbindung der Mütter an den Arbeitsmarkt. Während im skandinavischen Staat die Hälfte der Frauen mit Kindern unter drei Jahren arbeiten, ist das in Österreich nur bei etwa einem Drittel der Fall. Hierzulande sind 35 Prozent der Mütter weder in Karenz noch im Berufsleben, während dieser Anteil in Schweden lediglich ein Viertel beträgt.
Auch Philipp Zeitlers Partnerin Sonja wird durch den Familiennachwuchs insgesamt länger vom Berufsleben fernbleiben als er. Die ersten elf Monate übernahm sie bereits. „Wegen des Stillens“, erklärt er. Nach seinen zwei Monaten Vaterkarenz wird sie wieder zu Hause bleiben, bis Mina zwei Jahre alt ist. Danach soll es für diese in die Kinderbetreuung gehen.
Warum seine Partnerin eigentlich den Großteil der Karenzzeit übernimmt? „In ihrem Beruf, sie arbeitet als Physiotherapeutin, ist das Fernbleiben beziehungsweise Wiedereinsteigen einfacher als bei mir“, begründet Philipp Zeitler. Seine Tätigkeit sei viel projektgebundener.
Die Zeit, die er mit seiner Tochter während der Karenz verbringt, beschreibt er als eine besondere seines Lebens. „Man baut eine ganz andere Beziehung und Bindung zu seinem Kind auf, wenn man den Großteil des Alltags mit ihm verbringt“, sagt er. Das hätte er auf keinen Fall missen wollen. 

TIPP Ausführliche Informationen zur Väterkarenz: arbeiterkammer.at/karenz


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