Energiewende

im Spannungsfeld von Planungsvorgaben
und öffentlicher Akzeptanz Von Ortwin Renn und Ingo Wolf

Wie stehen die Menschen zur Energiewende? Erhebungen aus Deutschland lassen Schlüsse darüber zu, was für eine breitere Akzeptanz des Ausbaus der erneuerbaren Energien in der Bevölkerung notwendig ist.

Deutschland wie Österreich haben sich zum Ziel gesetzt, die Energieversorgung bis zum Jahre 2050 beziehungsweise 2045 klimaneutral zu gestalten, das heißt die gesamte Energie für Strom, Wärme und Mobilität von fossilen oder nuklearen auf erneuerbare Energiequellen umzustellen. Zusätzlich zu dem geplanten Ausbau der erneuerbaren Energieträger sind dramatische Verbesserungen der Energieeffizienz für das Gelingen der Energiewende notwendig.
Die Umsetzung dieser Ziele erfordert hohe Investitionen, organisatorisches Geschick, Kooperationsbereitschaft unter den Beteiligten und innovative politische Initiativen. Das wird schon schwer genug werden, aber das Ganze kann nur gelingen, wenn die Nutzer und Nutzerinnen der Energie sowie die Anwohner und Anwohnerinnen von neuen infrastrukturellen Anlagen auch die Energiewende aktiv unterstützen.

In einer Mitte 2022 abgeschlossenen Untersuchung im Rahmen des Ariadne Projekts, das erforscht, wie Klimaziele auch tatsächlich erreicht werden können, befürworten drei von vier Deutschen (74,1 %) die Energiewende und damit fast fünf Prozent mehr als 2021. Ähnlich viele Befragte sind der Auffassung, dass die deutsche Regierung zum Voranbringen der Energiewende weitere Maßnahmen ergreifen sollte. Bei der Bewertung der Umsetzung der Energiewende wird aber überwiegend eine negative Bilanz gezogen. Die Unzufriedenheit mit dem derzeitigen Fortschritt in der Energiewende ist 2022 gegenüber 2021 um weitere sechs Prozentpunkte auf 58 Prozent angestiegen. Somit ist mehr als jede(r) Zweite der Auffassung, dass die bisher erzielten Fortschritte in der Energiewende unzureichend sind. Zudem wurde der laufende Transformationsprozess mehrheitlich als ungeplant (54 %), bürgerfern (58 %), ungerecht (47 %) eingestuft.
Eine repräsentative Befragung des Dachverbands „Erneuerbare Energien Österreich“ aus dem Jahr 2019 zeigt ähnliche Antwortmuster: 78 Prozent der österreichischen Bevölkerung fordern eine rasche Energiewende, noch mehr wollen eine verstärkte Förderung erneuerbarer Energien und 62 Prozent der Bevölkerung sind unzufrieden mit der aktuellen Energie- und Klimapolitik.

Bei dieser Skepsis gegenüber der Umsetzung der Energiewende ist eine neue Welle von Akzeptanzproblemen vorprogrammiert. Immer dann, wenn neue Netze verlegt werden, wenn Windanlagen gebaut, wenn zu neuen Smart-Modellen in der Elektromobilität und in der Stromversorgung Vorleistungen bei der Infrastruktur getätigt werden müssen, bei denen auch die Autonomie des Verbrauchers ein Stück weit eingeschränkt werden soll, kann man mit Widerständen der betroffenen Bevölkerung rechnen. Daran werden auch die veränderten Umstände durch den Ukraine-Krieg wenig ändern. Allerdings ist der Protest gegen Windenergieparks und Solaranlagen auf Freiflächen weniger stark ausgeprägt, als dies im öffentlichen Diskurs in Deutschland erscheint: An einer Protestaktion oder Demonstration gegen den Bau von Erneuerbare-Energien-Anlagen in der eigenen Stadt/Gemeinde teilzunehmen, kommt für die große Mehrheit der Befragten nicht in Frage, sieben Prozent können sich das gut vorstellen, ein Prozent hat sich das fest vorgenommen und zwei Prozent haben dies bereits getan.

Dass rund zehn Prozent der Bevölkerung aktiv gegen erneuerbare Anlagen protestiert haben oder dies planen, erscheint auf den ersten Blick wenig dramatisch. Aber eine aktive Protestwelle dieser Größe kann in der öffentlichen Wahrnehmung und auch im politischen Diskurs große Wirkung erzielen. Laut Fachliteratur reichen oft nur fünf Prozent aktive Gegnerschaft aus, um Vorhaben zu verhindern oder zu blockieren.

Dazu kommt noch, dass die einzelnen Ebenen der Politik (vertikale Governance) zu wenig aufeinander abgestimmt sind. Europäische Vorgaben konkurrieren zum Teil mit nationalen Zielen, landespolitische Alleingänge erschweren eine gemeinsame Linie und die vielen Kommunalverwaltungen verfolgen oft eine eigene Agenda, die zwar unter dem Siegel der Energiewende läuft, aber oft ganz andere Zielsetzungen verfolgt.
Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, ist ein neuer Steuerungsansatz vor allem zum Einbezug der Bevölkerung in der politischen Umsetzung der Energiewende angebracht. Dieser Einbezug muss auf allen politischen Ebenen erfolgen:

Nationale Ebene
Hier geht es vor allem darum, die Gesamtstrategie des Klimaschutzes und dessen Implikationen für die lokale, regionale, nationale und europäische Ebene zu verdeutlichen. Der Zweck dieser Kommunikation besteht darin, die innere Konsistenz der Maßnahmen zum Klimaschutz den Bürgern und Bürgerinnen plausibel zu vermitteln. Dabei geht es um eine übergeordnete Einsicht in die Notwendigkeit auch von zum Teil
unpopulären Infrastrukturmaßnahmen. Die grundlegende Zustimmung zum Klimaschutz ist in der Bevölkerung vorhanden. Eine klare, von allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen getragene Basisstrategie zur Umsetzung des Klimaschutzes macht es der Politik im regionalen und kommunalen Umsetzungsprozess wesentlich leichter, Fragen nach der grundlegenden Notwendigkeit einer Maßnahme und dem übergeordneten Nutzen zu beantworten und nicht immer von neuem gezwungen sein, langwierige Grundsatzdiskussionen zu führen.

Regionale Ebene
Der Nutzen für die Region und die Verteilung von Belastungen und Risiken innerhalb der betroffenen Region (etwa die Einrichtung eines Windparks in einer idyllisch gelegenen Landschaft) ist für die Allgemeinheit herauszustellen und die generelle Akzeptabilität der mit den Maßnahmen verbundenen Risiken und Nebenwirkungen zu verdeutlichen. Ein wesentliches Kennzeichen ist dabei, dass die auftretenden Belastungen als fair verteilt angesehen werden. Die heutige Diskussion um Energiearmut und Energieprivilegien zeugt von einer besonderen Sensibilität gegenüber Verteilungswirkungen beim Klimaschutz, vor allem im Rahmen der Energiewende. Hier ist auch die Politik gefordert, durch entsprechende Gestaltung eine faire Verteilung von Nutzen und Lasten herbeizuführen.

Lokale Ebene
Auf der lokalen Ebene müssen vor allem Aspekte der Selbstwirksamkeit und der emotionalen Identifikation angesprochen werden. Wenn Menschen den Eindruck haben, dass sie ihre Souveränität über ihr eigenes Energieverhalten einbüßen, ist mit Akzeptanzverweigerung zu rechnen. Ebenfalls werden Infrastrukturanlagen wie Windräder oder Solaranlagen auf Freiflächen nur auf Akzeptanz stoßen, wenn sie nicht als Eingriff in die gewachsene soziale und kulturelle Umgebung angesehen werden. Von daher sind vor allem Geschäftsmodelle gefragt, die eine aktive Einbindung der lokalen Bevölkerung ermöglichen.
Ambitionierte Maßnahmen zum Klimaschutz können nur politisch umgesetzt werden, wenn gesellschaftliche Strukturen, Entscheidungsprozesse und Entwicklungen von Anfang an mitgedacht werden. Um diese gesellschaftlichen Wandlungsprozesse ausreichend zu berücksichtigen, bedarf es der frühzeitigen Einbindung der Bevölkerung bei der Problemdefinition, Problemanalyse und Entscheidungsfindung. Denn nur wenn Bürgerinnen und Bürger von Beginn an in die Prozesse zur Umsetzung des Klimaschutzes einbezogen werden, kann es gelingen, diese Transformation als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen und erfolgreich umzusetzen.
ariadneprojekt.de, iass-potsdam.de


Teilen auf:
Facebook