Entwicklungshilfe auf dem Prüfstand

Eine Schule in Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo, wo das WFP Regierungsinitiativen unterstützt. Foto Vincent Tremau / WFP

Die Folgen des Klimawandels sind im Bereich der Entwicklungshilfe deutlich spürbar. Gernot Laganda, Direktor für Klima- und Katastrophenrisikominderung des „World Food Programme“ (WFP), kennt die Zusammenhänge. Im Interview erklärt er, wie nachhaltige Entwicklungshilfe aussieht, wie Medien am besten darüber berichten und wie der internationale „Loss and Damage Fund“ tatsächlich effektiv sein kann.
Von Nadine Pinezits

Gernot Laganda hat einen Abschluss in angewandten Geowissenschaften und war in den vergangenen 20 Jahren bei verschiedenen NGOs tätig, die Katastrophenhilfe und Wiederaufbauprojekte in Afghanistan und Tadschikistan unterstützten. Außerdem arbeitete er als Spezialist für humanitäre Programme bei der Austrian Development Agency und leitete Klima- und Umweltprogramme beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in Südafrika und der Region Asien/Pazifik.

Infos zum World Food Programme: wfp.org

Das „World Food Programme“ vertritt den Standpunkt, dass Ernährungssysteme mehr in die Diskussion über den Klimaschutz integriert werden sollten. Welche expliziten Ansätze gibt es hier?
Gernot Laganda: Das Interessante an Ernährungssystemen ist, dass sie einen breit verzweigten und systemischen Ansatz für Klimaschutz bieten. Im WFP versuchen wir das beispielsweise über unsere Schulspeisungsprogramme umzusetzen. Weltweit erhalten fast 420 Millionen Kinder in 78 Ländern eine Schulmahlzeit. Die Kombination aus Gesundheit und Bildung bietet vielen Kindern einen Weg aus Armut und Unterernährung. Wenn solche Schulspeisungsprogramme dann auch noch mit Produkten von lokalen Kleinbauern beliefert werden, kommen sie auch der lokalen Wirtschaft zugute. Sind die Lieferketten zudem gut diversifiziert und mit sauberen Energielösungen verbunden, dann unterstützen sie den Aufbau nachhaltiger und klimafreundlicher Ernährungssysteme. Lösungen für sauberes Kochen, nachhaltige Kühlketten, bessere Beleuchtung und Katastrophenbereitschaft finden dann längerfristig ihren Weg von der Schule in die umliegenden Gemeinden und Provinzen.

Bei der COP27-UN-Klimakonferenz wurde ein „Loss and Damage Fund” für Krisensituationen beschlossen. Dafür wurden bereits Zusagen in Höhe von über 230 Millionen US-Dollar gemacht. Welche Herausforderungen sehen Sie dennoch?
Der Fond wurde als Durchbruch gefeiert, allerdings ist es noch ein langer Weg bis die Details ausverhandelt sind. Man muss sich überlegen, wie dieser Fond mit Finanzmitteln befüllt werden soll, wenn bereits die internationalen Zusagen für Klimafinanzierung in Entwicklungsländern nicht eingehalten werden. Es braucht neue Ideen und Ansätze, wie die Besteuerung fossiler Brennstoffe, tiefgreifende Entschuldungsmaßnahmen zur Erhöhung nationaler Katastrophenhilfebudgets und eine Reform internationaler Finanzinstitutionen, damit mehr Finanzmittel für die Minimierung von Klimaschäden zur Verfügung stehen. Nichtsdestotrotz sind die 230 Millionen Euro ein guter Anfang. Mit einem Beitrag von 50 Millionen Euro ist auch Österreich maßgeblich beteiligt. Das Klimaschutzministerium hat damit nicht nur ein Zeichen der Solidarität mit jenen Menschen gesetzt, die unter den Auswirkungen der Klimakrise leiden, sondern auch eine Möglichkeit geschaffen, in jenen Gemeinden Klimaschäden zu vermeiden oder zu minimieren, die sonst nur humanitäre Nothilfe erhalten.

Die Kriterien für die Vergabe aus diesem Fond sollen bei der diesjährigen COP28 präzisiert werden. Welches Prozedere oder welche Gremien wären zur Vergabe der Finanzmittel wünschenswert?
Von unserer Warte aus ist es wichtig, dass die Mittel für den Ausgleich von Klimaschäden vor allem auf Grundlage von Vulnerabilität vergeben werden. Es müssen zuerst jene Menschen davon profitieren, die unmittelbaren Klimarisiken ausgesetzt sind, aber nicht über Mittel verfügen, sich vor Katastrophenereignissen zu schützen. Ein Fokus auf lokale Strukturen ist ebenfalls wichtig, weil Klimaschäden sehr lokal und kontextspezifisch auftreten und jetzt schon nicht genug Klimafinanzmittel ihren Weg auf die lokale Ebene finden. Zeitlich gesehen sollte ein Unterschied gemacht werden zwischen der kurzfristigen Wahrscheinlichkeit von Klimaschäden und der längerfristigen Anpassung an den Klimawandel. Die nächsten Klimaschäden werden exponierte Menschen nicht in zehn Jahren, sondern bereits in zehn Wochen treffen. Daher sollte man diese neuen Finanzmittel auch so einsetzen, dass sie direkte und kurzfristige Wirksamkeit erzielen. Letztlich gilt es auch zu beachten, dass nicht alle Klimaschäden mit wirtschaftlichen Kriterien gemessen werden können. Da wäre auch der Verlust von Biodiversität, Kulturerbe, indigenem Wissen und menschlichem Potenzial. Diese Bereiche benötigen besondere Berücksichtigung bei der Vergabe von Geldmitteln.

Sie betonten kürzlich in einem sozialen Medium, wie wichtig der konstruktive Journalismus für die Klimadebatte sei. Gleichzeitig steigt angesichts von Greenwashing und Etikettenschwindel der Bedarf an kritischer Berichterstattung. Wie stellen Sie sich eine ausgewogene Balance zwischen kritischem beziehungsweise „negativem” und konstruktivem Klimajournalismus vor?
Auf politischer und wirtschaftlicher Ebene gibt es ein steigendes Risiko an Greenwashing, was auch mit relativ verschwommenen Indikatoren in umwelt- und sozialorientierter Unternehmensführung („Environmental, Social and Governance“, kurz ESG, Anm.) zusammenhängt. Hier würde ich mir vom Klimajournalismus wünschen, dass er nach der Devise „Follow the Money“ genauer hinschaut, welche Investitionen in welche Technologien, Produkte und Programme fließen – und aufgrund welcher Entscheidungen. Am Ende ist die Klimakatastrophe genauso wie der Klimaschutz eine Summe an individuellen Entscheidungen und Investitionen im Rahmen von menschengeführten Institutionen, die wir mit Hilfe der Medien besser verstehen können.

In Mainstream-Medien bleibt oftmals unbeachtet, wie sich die Klimakrise in Schwellen- und Entwicklungsländern zuspitzt und welche existenzielle Bedrohung der Klimawandel für die Menschen dort darstellt. Wo muss die Berichterstattung ansetzen, um dem entgegenzuwirken?
Die Berichterstattung über den Klimawandel ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite braucht das Thema eine starke Medienpräsenz, weil es sich um eine existenzielle, globale Krise handelt, die in vielen Haushalten noch immer nicht als solche wahrgenommen wird. In Europa federn unsere sozialen Sicherungssysteme viele Auswirkungen des Klimawandels ab, während Menschen in anderen Ländern bereits ihre Lebensgrundlage verloren haben. Es ist daher wichtig, dass dieses Thema medial präsent bleibt und dass Menschen in westlichen Industrieländern auch die zunehmend prekäre Lage von Menschen in anderen Teilen der Welt verstehen. Auf der anderen Seite ist dieses Thema aber so groß und bedrohlich, dass es viele überfordert und eine Stimmung der Ohnmacht oder Verweigerung entsteht. Journalismus kann hier durchaus ein Umdenken einleiten und die ständig wachsende globale Gemeinschaft an Menschen, Initiativen und Organisationen, die im kleinen Rahmen Veränderungen setzen und damit auch in Summe sehr viel weiterbringen, in den Fokus stellen. Wenn man hier genauer hinschaut, dann erkennt man: Alle technischen Lösungen für dieses große existenzielle Problem existieren bereits.

Apropos Lösungen: Woran scheitert es konkret, dass diese nicht in dem dafür nötigen Ausmaß und für die am meisten gefährdeten Menschen zugänglich sind?
Leider bildet sich mit Fortschreiten der globalen Klimakrise eine globale Zweiklassengesellschaft. Da gibt es die Länder, die von einer humanitären Krise in die nächste schlittern und in den Augen der Geberländer nur noch mit Katastrophenhilfe assoziiert werden. Und es gibt jene, in denen es noch ein „investierbares“ Wirtschaftsklima gibt und in denen die gängigen Modelle der Entwicklungs- und Klimahilfe anwendbar sind. Diese Wahrnehmung spaltet zunehmend auch die Hilfsmodelle und Finanzflüsse. In vielen vulnerablen Ländern gibt es gewaltsame Konflikte, staatliche Institutionen funktionieren nicht mehr und Menschen sind eingekeilt zwischen politischen, wirtschaftlichen und klimatischen Extremen. Fragile Staaten wie Afghanistan, der Jemen oder der Südsudan erhalten im Schnitt weniger als drei Euro pro Person und Jahr an Klimahilfe, während nicht fragile Länder oft mehr als das 50-fache bekommen. Dabei sind viele Lösungen für das Management von Klimarisiken auch in den schwierigsten Ländern der Welt möglich. Allerdings muss man hier viel direkter mit lokalen Strukturen zusammenarbeiten, anstatt sich auf die Effektivität staatlicher Systeme zu verlassen. Von Katastrophenwarnsystemen in Schulen und ökologischer Landwirtschaft bis hin zu resilienter Infrastruktur und finanziellen Schutzschirmen ist hier alles möglich.

Können Sie uns ein Beispiel für effektive und nachhaltige Entwicklungshilfe nennen?
In Sambia unterstützt das WFP ein Resilienzprogramm, in dem die Rehabilitierung ausgelaugter Böden mit Zugang zu Kleinkrediten, der Stärkung lokaler Frauengruppen, der Verbesserung landwirtschaftlicher Lagersysteme und dem Zugang zu Klimarisikoversicherungen kombiniert wird. Diese Kombination aus naturbasierter, infrastrukturbasierter und finanzieller Absicherung ermöglicht es den Kleinbauern, ihr Investitions- und Sparverhalten zu verändern und sich trotz steigender Klimarisiken langfristig von der Abhängigkeit externer Hilfe zu lösen. In diesem Projekt arbeiten wir mit der nationalen und lokalen Regierung, aber auch mit mehreren anderen UN- Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und Privatsektorunternehmen zusammen. Ohne diese breiten Partnerschaften wäre ein integriertes und nachhaltiges Arbeiten nicht möglich.



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