Erbsenwähler

Der vegane Leberkäse „Gustl“. Foto Die Pflanzerei
Der Markt mit Fleischersatzprodukten floriert, immer öfter wird dabei auf Erbsenprotein als pflanzliche Basis zurückgegriffen. Aber wo kommt die Erbse her?
Von Sarah Kleiner
Die Grillsaison steht an. Für zahlreiche Vegetarier, Veganer und Flexitarier beginnt damit die Jahreszeit, in der man regelmäßig erklären muss, warum man statt zum Kotelett doch lieber zum Grillkäse greift oder den Schweinsbratwürsteln einen Salat vorzieht. Was sich seit einigen Jahren aber immer öfter über den Grillkohlen des Landes findet, sind pflanzliche Fleischersatzprodukte. Burgerpatties, Grillwürstel oder Schnitzel: die Vielfalt an pflanzlichen Fleischalternativen wächst. Vor allem Erbsenprotein entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einer beliebten Basis dafür.
Wir merken, dass die Produkte sich in den vergangenen zwei, drei Jahren sensorisch stark weiterentwickelt haben und dass damit die Einsatzmöglichkeiten für pflanzliche Proteine zunehmen.
Wachsender Markt
„Es ist nicht mehr zu übersehen, dass vor allem die Jungen – aber nicht nur sie – motiviert mit sehr unterschiedlichen Motiven weniger Fleisch essen“, sagt Hanni Rützler. Die Ernährungsexpertin ist berühmt für ihre Food Reports, in denen sie sich mit der Weiterentwicklung von aktuellen Ernährungstrends und damit auch mit „Future Foods“ auseinandersetzt. „Das heißt nicht, dass wir jetzt alle Veganer werden, eher Flexitarier, aber wir wissen, dass hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimawandel der hohe Fleischkonsum, der derzeit noch gelebt wird, nicht zukunftsfähig ist.“
Der rasante Anwuchs des Veggie-Markts lässt sich auch statistisch beobachten. Vom ersten Quartal 2019 bis zum ersten 2020 ist die Produktion von pflanzlichen Fleischersatzprodukten in Deutschland von 15.000 auf 20.000 Tonnen gestiegen, 37 Prozent Wachstum. Der europäische Markt für Fleisch- und Milchalternativen wuchs im vergleichbaren Zeitraum von 2,8 auf 3,6 Milliarden Euro an. Dabei sind nur ein kleiner Prozentsatz der Konsumentinnen und Konsumenten tatsächlich Veganer, viele Fleischesser wollen ihren Konsum senken und suchen nach geeigneten Alternativen. Unsere Gesellschaft hat den „Peak-Meat“, also den Punkt, an dem der Fleischkonsum nicht weiter steigt sondern abnimmt, schon längst überschritten, sagt auch Hanni Rützler.
„Der Boom hin zu pflanzlichen, also ‚plant based‘, Alternativen zeichnet sich schon lange ab, es sind viele Investoren aus den USA, Asien und auch Europa in den Markt eingestiegen“, erklärt sie. Besondere Aufmerksamkeit erregte zum Beispiel der Börsengang des Pflanzenfleischherstellers „Beyond Meat“ im Jahr 2019. Innerhalb von drei Monaten stieg der Börsenwert des Unternehmens von 1,5 auf 13,5 Milliarden Dollar an. Auch technologisch sei der Trend begründet, meint Rützler, nachdem sich texturierte pflanzliche Proteine am Markt ausbreiteten. Die Produkte haben eine fasrige Textur, die der Konsistenz von „echtem“ Fleisch erstaunlich nahekommt. „Wir merken, dass die Produkte sich in den vergangenen zwei, drei Jahren sensorisch stark weiterentwickelt haben und dass damit die Einsatzmöglichkeiten für pflanzliche Proteine zunehmen“, sagt Rützler.
Regionale Rohstoffknappheit
Nachdem der Bedarf an Fleischalternativen jahrelang vor allem mit Sojaprotein gedeckt wurde, wird aktuell das Erbsenprotein immer beliebter. Erbsen zählen zu den eiweißreichsten Hülsenfrüchten. Sie enthalten Lysin – eine Aminosäure, die vom Körper nicht selbst produziert wird, aber besondere Bedeutung für den Aufbau von Knochen, Knorpeln, Sehnen und der Haut hat. Soja hat hingegen ein schlechtes Image. Für den Anbau des wichtigsten Tierfuttermittels werden immens Flächen verbraucht, ganze Regenwälder werden gerodet. Gentechnisch verändertes Soja, das über die Tierfütterung auch in Österreich in den Nahrungskreislauf gerät, ist für viele abschreckend. Zudem muss die Hülsenfrucht oft von anderen Kontinenten nach Europa importiert werden.
„Ich versuche, was meine Rohstoffe betrifft, möglichst nahe einzukaufen“, sagt Nadina Ruedl, „und die nächste Möglichkeit, Erbsen zu beziehen, ist Frankreich.“ Nadina Ruedl arbeitete jahrelang bei „Donau Soja“, das eine nachhaltige Soja-Versorgung in Österreich aufbaut. Vergangenen Oktober gründete sie das Start-up „Die Pflanzerei“. Ihr Hauptprodukt ist „Gustl“, ein veganer Leberkäse auf Erbsenproteinbasis, den man seit Kurzem auch in den Vitrinen einiger Wiener Billa-Filialen findet. Ruedl legte von Beginn an Wert auf ein umfassendes nachhaltiges Konzept und regionale Wertschöpfung, sie produziert in Niederösterreich in Zusammenarbeit mit einem Metzger. „Gustl“ enthält neben Erbsenprotein und -faser Gemüse aus Österreich, Wasser, Rapsöl und Gewürze. Schwierig wird das regionale Konzept bei der Erbse.
Für die Fleischersatzprodukte auf Erbsenbasis werden in erster Linie gelbe Schälerbsen eingesetzt, die größten Hersteller am Weltmarkt sind Kanada, die USA und China, in Europa gibt es vor allem im Westen einige Produzenten. Unternehmen, wie die deutsche Firma „Greenforce“, die hauptsächlich Pulvermischungen auf Erbsenproteinbasis anbietet, beziehen den Rohstoff aus Westeuropa. In Österreich ist die Erbse in der Landwirtschaft sogar nur mit einigen tausend Hektar vertreten.
„Da gibt es einen Markt, der EU-weit 3,6 Milliarden Euro ausmacht“, sagt Ruedl, „und was passiert in Österreich? Auf der einen Seite steht ein Tierwohlpakt mit über 100 Millionen Euro jährlich und auf der anderen Seite haben wir ungleiche Mehrwertsteuern – 20 Prozent bei pflanzlichen Drinks und zehn Prozent bei Kuhmilch –, es gibt keine Subventionen und keine Bestrebungen, mehr Erbse anzubauen.“ Ruedl kritisiert, dass man sich bei diesen Wachtsumstrends als Land sehenden Auges abhängig von Importen mache. Dabei wäre es wichtig, nicht nur den Anbau der Erbse, sondern auch die Weiterverarbeitung zu Proteinen zu fördern.
Produkte unter der Lupe
Wir sind neugierig geworden und wollten herausfinden, woher die großen Marken in den heimischen Supermärkten ihre Erbsen haben. Wir haben ihnen Fragen zum CO2-Abdruck ihrer Produkte und der Herkunft der Rohstoffe gestellt, und um Fotos aus der Produktion gebeten. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich.
Die niederösterreichische VeggieMeat GmbH, Hersteller von Produkten der Linie „Vegini“ und „VeggieMeat“ gab an, zur Zeit keine Ressourcen für die Beantwortung zu haben. Die Eigenmarke des Lebensmittelhändlers Spar, „Veggie“, die ebenfalls Produkte auf Erbsenproteinbasis im Sortiment hat, antwortete, dass das Erbsenprotein hauptsächlich aus Deutschland, Belgien, Frankreich und Dänemark stamme. Berechnungen zur CO2-Bilanz und Bilder der Produktion gäbe es nicht, da Spar die Lebensmittel nur produzieren lasse, von wem wurde nicht beantwortet.
Die ausführlichste Antwort erhielten wir vom Unternehmen „Planted“. Am Gelände des ehemaligen Lebensmittelherstellers Julius Maggi im Schweizer Kemptthal hat die Firma eine transparente Produktion im Glashaus aufgezogen. 2019 wurde die Planted Foods AG offiziell gegründet, mittlerweile produziert man eine Tonne pflanzenbasiertes Fleisch pro Stunde. Die CO2 Einsparungen reichen von 74 Prozent beim Hühnerfleisch-Imitat bis hin zu 84 Prozent beim erbsenbasierten Schnitzel gegenüber Schweinefleisch. Das Erbsenprotein stamme aus Westeuropa, Wasser und Rapsöl aus der Schweiz. „Unser Ziel ist es, künftig auch unsere Erbsen in der notwendigen hohen Qualität aus der Schweiz zu beziehen“, heißt es von Pascal Bieri, Mitgründer und Mitglied der Geschäftsführung. Dafür habe man mit Unterstützung der Schweizer Regierung ein Projekt mit der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften Bern (HAFL) und der Firma Peter Kunz e.V. gestartet, um die Realisierung dieses Ziels zu erforschen.
Und in Österreich? „Wenn wir bei diesem Markt dabei sein wollen, dann müssen wir jetzt anfangen, ihn aufzubauen“, sagt die Jungunternehmerin Nadina Ruedl. Ein verstärkter Erbsenanbau hätte dabei gleich mehrere Vorteile. Denn abgesehen davon, dass Landwirte hier in einen nachhaltigen Wachstumsmarkt einsteigen könnten, ist die Erbse gut für den Boden. Sie benötigt weniger Wasser als Soja und speichert Stickstoff im Boden, reichert ihn mit wichtigen Bakterien an und hilft, Pestizide abzubauen. Ruedl telefoniere und diskutiere regelmäßig mit Landwirtschaftskammer und Bauernbund, um den Erbsenmarkt in Österreich voranzutreiben. Aber, wie sagt schon ein spanisches Sprichwort? Ein geflüsterter Rat ist keine Erbse wert.