„Es ist auch anders möglich!“

Vereinsraum. Foto Jelka

Die Mieten steigen, Wohnungen werden teurer, leistbarer Wohnraum ist zu einer Mangelware geworden. Gleichzeitig leben immer mehr Menschen allein, Einsamkeit und sozialer Rückzug sind nicht seltene Folgen. Doch es geht auch anders, wie das das Projekt Jelka in Linz zeigt.
Von Christian Gigler

Hohe Mieten sind schon lange kein Problem von Großstädten wie New York City, London oder München mehr. Auch in Österreich steigen die Kosten für Wohnraum stetig. Laut Statistik Austria lag der durchschnittliche Mietpreis im dritten Quartal 2022 in Österreich bei 8,80 Euro pro Quadratmeter, inklusive Betriebskosten. Im Vergleich: Laut einem Bericht der Arbeiterkammer lag 2013 die durchschnittliche Nettomiete bei 7,02 Euro – die Mieten stiegen dabei schneller als die Inflation. Je nach Region variiert dieser Durchschnitt, so liegt der Quadratmeterpreis in Innsbruck bei 16,18 Euro, in Linz derzeit bei 10,28 Euro kalt. Steigende Kaufpreise für Immobilien, höhere Zinsen und strengere Vergabekriterien für Kredite machen auch den Eigentumserwerb zu einer immer größeren finanziellen Herausforderung. Durch unterschiedliche Faktoren steigen parallel dazu die Betriebskosten, was große Probleme für Bewohnerinnen und Bewohner nach sich zieht.

Diese Umstände bringen jedoch auch einen positiven Nebeneffekt: Es entstehen alternative Wohnprojekte und Lebensräume. In Österreich existieren verschiedene Gruppen, die sich zum Ziel setzen, das Wohnen leistbar zu machen. Eine homogene Herangehensweise gibt es dabei nicht. Von Genossenschaftswohnung zu Kollektiven mit definierten politischen Zielen entsteht ein Spektrum an vielfältigen Ideen und Konzepten – eines davon ist das Linzer Hausprojekt Jelka. Repräsentativ für das Projekt und den Dachverband spricht Karin, die auch selbst im Haus wohnt und aus Gründen ihrer Privatsphäre ihren Familiennamen lieber nicht preisgibt.

Der Dachverband
Obwohl Jelka ein autonom agierendes Projekt ist, fußt es auf einer größeren Idee, nämlich der des selbstorganisierten Wohnraums. Das bedeutet in erster Linie, unabhängig von privaten Vermietern und dem Immobilienmarkt zu sein. In Österreich existiert ein Dachverband, der sich die Finanzierung solcher Projekte zum Ziel gesetzt hat, der Verein HabiTAT. „Das HabiTAT ist ein Modell, nicht per se eine eigene Struktur“, erzählt Karin, „es handelt sich um einen Dachverband, nicht um ein eigenständiges Kollektiv. Alle, die sich an den einzelnen Projekten beteiligen, bilden das HabiTAT.“ Angelehnt an das deutsche Mietshäuser Syndikat wurde das HabiTAT vor einigen Jahren ins Leben gerufen und bemüht sich seither, neue Projekte zu ermöglichen.

Das Prinzip: Gemeinsamer Wohn-, Kultur-, und Lebensraum sollen funktionieren, ohne dabei aus einer erworbenen Immobilie Gewinn zu erzielen. Mittlerweile wurden bereits sieben Projekte durch das HabiTAT ermöglicht. Eine Immobilie wird von einem Kollektiv gemeinschaftlich gekauft und durch Direktkredite finanziert. Das heißt, dass zum einen die Immobilie dem Markt entnommen wird und zum anderen niemand private Eigentumsansprüche stellen kann – ein Haus gehört beispielsweise ausschließlich dem jeweiligen Kollektiv. In erster Linie also all jenen, die darin wohnen.
Die Basis für die Finanzierung bieten die bereits erwähnten Direktkredite. „Die Direktkredite werden von den Projekten selbst zusammengesammelt. Dann wird eine GmbH gegründet und in dieser Form ein Haus gekauft“, so Karin, „51 Prozent des Projekts gehen schließlich in das Eigentum des Projekts über, 49 Prozent in das Eigentum des Dachverbands.“ Kreditgebende bestimmen dabei selbst die Höhe des Betrags (ab 500 Euro) und auch den Zinssatz. Letzterer liegt zwischen null und 1,5 Prozent. Die Kreditgebenden können nach einer gewissen Frist ihre Kredite zurückfordern. „Das passiert alles durch das Hauskollektiv selbst, nicht durch das HabiTAT“, führt Karin weiter aus. Durch dieses Prinzip ist es auch Menschen mit geringeren finanziellen Mitteln möglich, an einem Projekt teilzuhaben und es werden langfristig sozialverträgliche Mieten erzielt. Die Kredite werden in erster Linie aus Solidarität vergeben, nichtsdestotrotz lässt sich so auch angespartes Vermögen mit einem attraktiven Zinssatz anlegen.

Das Projekt Jelka
Die Geschichte von Jelka begann vor drei Jahren. Inspiration bot das bereits bestehende HabiTAT-Projekt „Willy*Fred“ in Linz. Das Haus Jelka wurde nach dem Decknamen einer antifaschistischen Widerstandskämpferin benannt und soll an diese erinnern.
Eine Gruppe von drei Personen fand sich 2019 zusammen und fasste den Entschluss, ein Wohnprojekt zu starten. Bald fand sich eine geeignete Immobilie in der Starhembergstraße – also recht zentral gelegen in der Linzer Innenstadt. Zu erwähnen ist, dass sich das Haus noch nicht im Besitz des Kollektivs befindet – dies soll sich jedoch in sehr naher Zukunft ändern, in den kommenden Monaten starte man mit dem Sammeln von Direktkrediten. Derzeit leben mehrere Personen in drei Wohneinheiten zusammen. Eine vierte Wohneinheit wird als Vereinsraum verwendet und auch von außenstehenden Gruppen gegen Spende genutzt. „Es handelt sich aktuell um keine Haus-WG. Derzeit gibt es drei Wohnungen, zwei davon sind WGs. Wir pflegen jedoch einen sehr gemeinschaftlichen Zugang“, erklärt Karin. Der Vereinsraum bietet Platz für Plena, Veranstaltungen und gemeinschaftliche Aktivitäten – außerdem verfügt das Haus über einen Garten.
Die gemeinschaftlichen Plena sind dazu da, um größere Angelegenheiten zu besprechen und soziokratisch darüber zu entscheiden: „Im Plenum sind alle Personen vertreten, die im Hausprojekt leben oder im Verein sind. Es wird dabei alles entschieden, was das Hausprojekt betrifft, aktuell geht es da vor allem um die Vorbereitung für den Hauskauf. Dabei gilt stets das Konsensprinzip, es muss also jede beteiligte Person mit einer Entscheidung einverstanden sein“, sagt Karin. Obwohl diese Plena durchaus wichtige Bestandteile von Jelka sind, gestalten die einzelnen Bewohner ihren Wohnraum individuell – ähnlich wie in einem herkömmlichen
Mietobjekt. Zur aktuellen Situation am Immobilienmarkt äußert sich Jelka folgendermaßen: „Der Mietmarkt wird immer teurer. Genossenschaftsbauten werden nicht renoviert, sondern an private Wohnungsträger verkauft. Jelka beziehungsweise das HabiTAT bieten einen Gegenentwurf zu dieser Entwicklung – wir zeigen, wie es möglich sein kann.“

Foto Jelka

Wie sieht es also mit den Mieten in HabiTAT-Projekten aus?
Laut Angaben der Bewohnerinnen und Bewohner von Jelka seien die Mieten in den meisten HabiTAT-Projekten anfangs vergleichsweise hoch; Kredite müssen zurückbezahlt, Umbauarbeiten vorgenommen oder grundlegende Sanierungsmaßnamen erledigt werden. Generell werde aber immer auf die Schaffung von leistbarem Wohnraum geachtet und der ortsübliche Durchschnittsmietpreis wenn möglich nicht überschritten. Nach der Anfangsphase wird das Wohnen jedoch mittel- und vor allem langfristig verhältnismäßig günstig, denn das Projekt ist vom Immobilienmarkt losgekoppelt. Die Mieten bleiben also nach dem Erwerb des Hauses konstant und werden nicht teurer. Bei Jelka orientiert sich die Miete nach der genutzten Fläche, für Mieter sind Einzelwohnungen dadurch teurer als Wohngemeinschaften. Jelka ist es nicht nur wichtig, leistbaren Wohnraum zu schaffen; es soll auch gezeigt werden, dass es in Österreich durchaus realistisch ist, selbstverwaltet und unabhängig zu leben. „Es ist auch anders möglich“, betonen die Beteiligten. Unabhängigkeit von privaten Vermieterinnen und Vermietern soll sichtbar gemacht werden und schließlich auch weitere Projekte und Kollektive inspirieren.

jelka.org, habitat.servus.at


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