Sarah Kleiner

Es ist Zeit.

Es ist Wahlkampf und im Jahr 2020 hat die politische Parteienwerbung einen vor einigen Jahrzehnten vielleicht undenkbaren Tiefpunkt erreicht. Rassistische Fotomontagen und öffentliche Kommentare, die Ausländerhass, Neid und Missgunst fördern, sinnentleerte Wahlsprüche wie “Die Stimme der Vernunft” (FPÖ), “Sicherheit für Wien” (ÖVP), “Wer schaut aufeinander wenn nicht Wien?” (Grüne). Die Sozialdemokraten haben mit klassischen Motiven Stellung bezogen, „Arbeit schaffen“ steht da auf den Plakaten der SPÖ in roten Lettern neben einem dreckverschmierten Bodybuilder, und „Sei dabei!“ Einen Zwinker-Smiley hat man sich gerade noch verkniffen.
Abgesehen von dem teils nicht mehr existenten Wahrheitsgehalt der fett gedruckten Werbesprüche fragt man sich doch auch regelmäßig, für wie dumm die Bevölkerung eigentlich schon gehalten wird. Sind wir denn nur noch in der Lage, kurze, plakative Botschaften sinnerfassend wahrzunehmen? Glauben die Parteien, ihre Werbe- und PR-Strategen, uns mit ganzen Sätzen und ausformulierten, politischen Forderungen zu überfordern? Wieso finden Begriffe wie Finanztransaktionssteuer, Neoliberalismus, Ernährungssouveränität oder ökologischer Fußabdruck nicht Einzug in die Sprache der Wahlplakate?
Nicht wenige haben sich angesichts der aktuellen Kampagnen auch gefragt, wie es in einer demokratischen Republik rechtmäßig sein kann, dass parteipolitische Werbung völlig offen und unverblümt Ressentiments gegen Minderheiten schürt. “Die Wahlplakate der FPÖ sind nicht akzeptabel, verhetzend und rassistisch. Es ist unglaublich, dass so etwas im Jahre 2020 möglich ist“, schreibt eine Person in einer Beschwerde an den österreichischen Werberat im Bezug auf die FPÖ Kampagne, in der beispielsweise suggeriert wird, Menschen mit Migrationshintergrund würden vom AMS Schubkarren voll Geld ausgehändigt. „Meines Erachtens handelt es sich hier um rassistische Werbung“, schreibt eine andere Person. In seinen knappen Antworten weist der Werberat die BeschwerdeführerInnen lediglich darauf hin, dass nur kommerzielle, nicht aber partei- oder wahlpolitische Werbung in seinen Kompetenzbereich fallen würde, und stellt fest: “Das Beschwerdeverfahren ist hiermit abgeschlossen.” Der Bund sozialdemokratischer AkademikerInnen hat wegen eines FPÖ-Sujets bereits die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, Verdacht der Verhetzung.

Good Cop, Bad Cop
Angesichts der erlassenen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus hat sich die FPÖ sogar dazu erdreistet, als Menschenrechtspartei aufzutreten und die einstigen Freunde der Volkspartei als kalte Machtmenschen darzustellen, die uns der Freiheit berauben wollen. Heuchelei auf professioneller Ebene, doch nicht nur bei der Gemeinderatswahl in Wien werden sich viele, die die Schutzmaßnahmen zur Einschränkung von Covid 19 misstrauisch beäugen, bei der FPÖ aufgehoben fühlen, und die überzeugten UnterstützerInnen der Maßnahmen beim schwarzen Pendant. In einer breiten Koalition ließen sich dann all die Dinge, die jetzt so groß und unpräzise hinausposaunt werden, in eine unchristliche Politik der Unfreiheit umsetzen.
Am 11.10. wird die Wiener Bevölkerung mit möglichst vielen selbst mitgebrachten Kulis ihr Kreuzerl setzen. Sie wird sich wie immer gut überlegen, wem oder was sie ihre Stimme schenkt. Danach werden wir endlich wissen, ob es in den kommenden Jahren für Wien mehr Sicherheit, mehr links, mehr grün, mehr Bier oder mehr THC gibt. Na dann!

Foto Ursula Röck


Sarah Kleiner arbeitet als Journalistin in Wien, gesammelte Texte finden sich auf: https://diekleiner.wordpress.com/

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