Es muss nicht immer Neukauf sein
Essay von Nunu Kaller
2012 machte ich eine Shoppingdiät – ein Jahr kein Kleiderkauf.
Dieses Jahr markierte den Beginn meiner Auseinandersetzung mit dem Thema Konsum. Vor allem, was unser Konsum mit unserer Umwelt anstellt, interessierte mich, und was die Alternativen seien. Ich wurde KonsumentInnensprecherin bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Jahrelang wurde genau der Umweltaspekt zu meinem Leitthema. Doch irgendwann stellte ich mir die Frage: Was macht Konsum eigentlich mit uns selbst? Und was sind da die Alternativen? Damit beschäftige ich mich in „Kauf mich! Auf der Suche nach gutem Konsum“, das im März 2021 bei Kremayr und Scheriau erschien.
„Wenn du über guten Konsum schreibst, musst du doch bitte auch darüber schreiben, was eigentlich die guten Alternativen zum Konsumieren sind!“, sagte damals Eva, eine gute Freundin. „Hä?“, sagte ich. „Was meinst du damit? Zeit statt Geld und so? Mehr Erlebnisse als Produkte?“
„Ja, das sicher auch, aber vor allem meine ich Tauschen, Teilen und Leihen!“, erklärte sie.
Sie hatte recht. Der Weg zu gutem Konsum, soviel steht inzwischen eindeutig fest, führt über eine Reduktion des Konsums. Aber was soll man machen, wenn man eine Nähmaschine braucht, weil man einmal im Leben versuchen will, einen Rock zu nähen? Man kann eine Freundin oder einen Nachbarn fragen, ob er oder sie seine Nähmaschine mal verleihen kann – oder online gehen, zweimal klicken und am nächsten Tag eine günstige Nähmaschine vor der Haustür stehen haben. Welche die nachhaltigere Entscheidung ist, brauche ich jetzt nicht extra hinzuschreiben, oder? Gleiches gilt für Bohrmaschinen, Leitern und sonstige Gerätschaften, die man nicht täglich in Gebrauch hat.
Konsum wird uns so wahnsinnig leicht gemacht und doch wirkt er sich auf unsere Umwelt, unsere Geldbörse und unsere Psyche aus. „Guter“ Konsum heißt in letzter Konsequenz, weniger zu konsumieren – und umzudenken.
Es war eigentlich nur eine Illustration einer kanadischen Künstlerin, Sarah Lazarovic, die meine Überlegungen zu Alternativen im Konsum auf den Punkt brachte. Angelehnt an Maslows Bedürfnispyramide („Hierarchy of Needs“) entwarf Lazarovic eine ebensolche Verlaufspyramide in Bezug auf die Art, wie wir konsumieren (sollten), die „Buyerarchy of Needs“. Ihre Reihenfolge leuchtet ein:
- Benutze, was du schon hast!
- Borge dir aus, was du nicht hast!
- Tausche Dinge!
- Kaufe Secondhand!
- Produziere selbst, was du brauchst!
Und erst an der Spitze der Pyramide steht dann das kleine Wort „buy“, also
- Kauf es!
Und selbst wenn der Neukauf an letzter Stelle der Hierarchie steht: Auch hier kann man am Weg zum guten Konsum noch differenzieren. Gut ist, wenn man darauf achtet, wo das Produkt herkommt, wie es produziert wurde und welche Umweltauswirkungen seine Produktion und sein Transport auslösen können. Auch beim Neukauf kann man also nach der besseren Alternative suchen.
Doch die Sache hat leider einen Haken, der es uns schwer macht: Uns funkt beim Leihen und Mieten wieder mal unser Hormonhaushalt rein. Die Kurzfassung ist: Beim Leihen produziert unser körpereigenes Biochemielabor weniger Dopamin als beim Kaufen. Carl Tillessen schreibt in seinem Buch „Konsum – Warum wir kaufen, was wir nicht brauchen“: „Denn nur weil wir eine geliehene Sache annähernd so nutzen können wie eine Sache, die uns gehört, heißt das ja nicht, dass uns eine geliehene Sache auch nur annähernd so viel Freude macht wie eine Sache, die uns gehört. Uns eine Sache vorübergehend zu leihen, wird uns nie so stolz und glücklich machen, wie sie uns persönlich zu kaufen und sie exklusiv zu besitzen. Wenn man sich einen Gegenstand mit anderen teilt, teilt man sich eben nicht nur die mit der Anschaffung und dem Unterhalt verbundenen Kosten und Mühen mit anderen. Man muss auch das Dopamin, das mit dem Besitz dieses Gegenstandes verbunden ist, mit anderen teilen.“
Aber die Medaille hat noch eine andere Seite: Laut Tillessen macht uns nur der Kauf jener Produkte wirklich nachhaltig glücklich, die wir auch wirklich oft und sinnvoll verwenden – die uns also zu echten VerbraucherInnen machen –, also Produkte auch wirklich (gemeinschaftlich?) „ver“brauchen, bis sie nicht mehr nutzbar sind. Mit diesem Wissen im Hinterkopf muss es doch möglich sein, immer abzuwägen, ob Leihen oder Kaufen mehr Sinn macht. Für uns ganz persönlich. Für die Umwelt ist Leihen und damit ein Teilen der CO2-Last der einzelnen Produkte immer die bessere Lösung.
Fehlt nur noch eine Alternative: Gar nichts konsumieren. Ja, wir brauchen Lebensmittel, wir brauchen warme Kleidung, wir brauchen ein Dach über dem Kopf. Aber mal ehrlich: Brauchen wir das neue Tablet? Brauchen wir das Kissenset im Sonderangebot beim Kaffeeanbieter? Brauchen wir neue Bücher, wenn der Stapel der Ungelesenen bereits höher ist, als man selbst groß ist? Ja, es macht großen Spaß, dem eigenen Hedonismus nachzugeben und mit Freude zu konsumieren. Aber ein erster Schritt muss immer die Frage „Brauche ich das wirklich?“ sein.
Daraus entsteht ein spannender Gedanke: All diese Alternativen zu Neukauf, das Tauschen, das Reparieren, das Herborgen, aber auch die Überlegung der Prioritäten – das sind alles keine bahnbrechend neuen Entwicklungen, sondern viel mehr eine Rückbesinnung auf das, was im Leben wirklich wichtig ist und was uns wirklich glücklich macht. Und das muss definitiv nicht immer der Neukauf sein.
Nunu Kaller wurde 1981 in Niederösterreich geboren, aufgewachsen ist sie in Wien. Sie studierte Publizistik, Anglistik und Zeitgeschichte und setzt sich seither engagiert für mehr Nachhaltigkeit in unserer Gesellschaft ein – in der Pressearbeit diverser NGOs ebenso wie mit ihren Büchern, Vorträgen und Artikeln.