Es reicht!
In der Gemeinwohl-Ökonomie reicht es für alle
Von Daniela Egger
Christian Felber, Autor, Tänzer und Initiator der Gemeinwohlökonomie, spricht über die Chancen des alternativen Wirtschaftssystems, das seit zehn Jahren einen stillen Siegeszug feiert.
Er entwirft ganzheitliche Lösungen, um aus der Falle des üblichen Entweder-oder-Denkens herauszukommen, und weist einen hoffnungsvollen Weg in die Zukunft. Der gefragte Vortragsreisende Christian Felber hat bisher an acht Universitäten und Hochschulen gelehrt, in Valencia ist ein Lehrstuhl für Gemeinwohl-Ökonomie entstanden. Das scheint erst der Anfang zu sein.
Nicht nur Vertreterinnen der jungen Generationen wünschen sich einen echten Wandel, auch gestandene Unternehmerinnen und Unternehmer zeigen sich zunehmend interessiert an einer enkeltauglichen Form des Wirtschaftssystems. Dass unsere derzeitige Form auf Dauer schädlich ist, ist kein Geheimnis. Die Wirtschaft sollte dem Gemeinwohl dienen, in der bayerischen Verfassung beispielsweise ist der wirtschaftliche Nutzen für das Gemeinwohl explizit niedergeschrieben. In der Realität sind wir aber meilenweit davon entfernt – die aktuelle Kampagne der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung verdeutlicht dies mit Bildern von Menschen, die auf dem Kopf stehen. Die Botschaft lautet: Es ist an der Zeit, die Wirtschaft wieder zurück auf die Füße zu stellen. Dazu müssen wir dem Schwarz-Weiß-Denken entkommen, das seit Jahrzehnten von politischen und wirtschaftlichen Meinungsmachern propagiert wird. Es gibt zwischen Kapitalismus und Sozialismus eine Menge Spielraum für kluge Lösungen, und Christian Felber hat sich mit seiner Bewegung das Ziel gesetzt, diesen Raum mit einer konkreten Alternative zu gestalten.
„Die so genannten Liberalen behaupten, ihre Regeln würden die Freiheit nicht einschränken, während alternative Regeln dies umso mehr täten. Das ist eine grobe Irreführung, weil jede Rechtsordnung die Freiheit einschränkt – um die Menschen vor einem noch größeren Freiheitsverlust zu bewahren. Liberal heißt: ,Meine Freiheit endet dort, wo ich Deine Freiheit einschränken würde.‘ Diesen Grundsatz verletzen wir im Kapitalismus radikal. Einige wenige genießen grenzenlose Freiheiten, während der Rest nur wenig Spielraum hat“, sagt er und erzählt von dem Spiel „Demokratie – angenommen, wir hätten sie” auf Basis eines demokratischen Abstimmungsverfahrens, das genau solche Prozesse sichtbar und erlebbar macht. Zum Beispiel lässt sich die Frage nach dem passenden Verhältnis von Einkommensunterschieden spielerisch ermitteln. „Ich habe dieses Spiel inzwischen weltweit etwa 500 Mal gespielt, mithilfe des Verfahrens des ,Systemischen Konsensierens’z. Jede Partei darf ihren Vorschlag machen und alle Vorschläge werden abgestimmt – gemessen wird aber nicht der Grad der Zustimmung, sondern der Widerstand. Es gewinnt der Vorschlag, der den geringsten Schmerz verursacht, also der die Freiheit aller möglichst wenig einschränkt.“
Postdemokratische Fakten
In einer gemeinsamen wissenschaftlichen Studie einer amerikanischen und einer thailändischen Universität befragte man Menschen in 20 Ländern, welche Einkommensunterschiede sie für vertretbar halten. Im weltweiten Durchschnitt kam der Faktor 5,6 heraus. Zwei Ausreißer waren Taiwan (das 20-fache) und Dänemark, wo nur das zweifache Gehalt innerhalb eines Unternehmens als akzeptabel genannt wurde. Die Realität sieht anders aus: In Österreich beträgt die Einkommensschere das 1.200-fache. In Deutschland das 8.000-fache in der Industrie, nimmt man aber die Finanzindustrie dazu, dann bewegen sich beispielsweise die USA auf dem Faktor 360.000. Das ist ein Schulbeispiel für die Postdemokratie, in der wir seit Jahrzehnten leben. Die befragten Wählerinnen und Wähler wünschen einen Faktor zwischen 5 und 20, die Regierungen aber gewähren den Finanztreibenden jede Fantasiezahl. „Meine Erfahrung mit dem systemischen Konsensieren zeigt deutlich, dass extreme Positionen keine Chance haben – es gewinnt tendenziell die differenzierteste Lösung. Mathematisch ist das eine Gauß`sche Glockenkurve. Die Extrempositionen erzeugen hohen Widerstand, es gewinnt der empathischste Vorschlag. Das sollte man in der Schule lernen”, meint Christian Felber.
Einfach nur die Grundwerte respektieren
In der Gemeinwohlökonomie dürften weder Menschenrechte noch Grundwerte verletzt sowie auch kein Gemeingut enteignet werden. Eigentlich wäre das alles in den Verfassungen der meisten Länder verbrieft – aber die Ausführungsgesetze entsprechen oft nicht dem Verfassungsauftrag.
„Das wirklich Innovative an der Gemeinwohlbilanz ist, dass wir die Ziele der Wirtschaft mit den gesellschaftlichen Grundwerten in Einklang bringen. Bisher werden nur oder primär die finanziellen Erfolge eines Unternehmens betrachtet – ein sehr eingeschränkter Fokus. In der Gemeinwohlbilanz werden auch qualitative Faktoren in die Gesamtrechnung mit einbezogen, weil sie für die Lebensqualität in einer Stadt oder einem Landes wesentlich sind. Das basiert genauso auf wissenschaftlichen Erkenntnissen wie die Mathematik – wir zeichnen ein umfassenderes Bild und lenken dabei den Blick auf das Wesentliche: Es darf zumindest kein Schaden angerichtet werden”, sagt Christian Felber, der mit seinem revolutionären und doch einfachen Ansatz seit zehn Jahren nachhaltig Wandel in über 14 Staaten betreibt. Lässt sich ein Unternehmen bilanzieren, dann können beispielsweise negative Ergebnisse bewirken, dass bestimmte Investitionen nicht getätigt werden können. Wenn ein Unternehmen auf Umwelt und Menschenrechte achtet, faire Preise bezahlt und die Mitarbeitenden am Erfolg beteiligt, sollten nach den Vorschlägen der GWÖ Steuererleichterungen, günstigere Kredite oder Vorrang im öffentlichen Einkauf die Folge sein. Durch solche Anreize werden sich dann die Marktpreise so gestalten, dass fair gehandelte Waren billiger sind als Produkte von Unternehmen, die weniger auf die Menschenrechte in der Zulieferkette, das Weltklima oder das Betriebsklima achten. Felber: „Die Gemeinwohl-Ökonomie bringt die Marktgesetze mit den Grundwerten der Gesellschaft in Einklang.“
Um einen tiefgehenden Wandel in Gang zu bringen, sind nach Ansicht von Felber Bürger- und Bürgerinnenräte ein geeignetes Instrument. Eine repräsentative Zusammensetzung von Menschen aus allen möglichen Bereichen und mit unterschiedlichen Sichtweisen können mit dem Instrument des „Systemischen Konsensierens” Entscheidungen aufbereiten – für eine Volksabstimmung: „Entscheiden tut der Souverän, nicht der Bürgerrat oder das Parlament”, betont Christian Felber und verweist auf Vorarlberg, wo erste zarte Versuche mit einem Bürgerrat gemacht wurden. In anderen Ländern, etwa Irland, Deutschland oder Frankreich, sind diese „citizen councils“ bereits stark in den demokratischen Prozess eingebunden. In Irland wurden beispielsweise jahrelange Konflikte zu den Themen Abtreibung und Homosexualität durch Bürgerinnenräte friedlich gelöst, seither herrscht Ruhe. Das Thema Klimaschutz wurde in Frankreich einem Bürger- und BürgerInnenrat vorgelegt, der klare Forderungen ausgearbeitet hat. Diese gingen weit über die offiziellen Klimaziele hinaus. Christian Felber: „Das war nicht überraschend, die Bevölkerung denkt weit mutiger, als uns glauben gemacht wird. Die Regierungen sind einfach nicht in Kontakt mit den Menschen.“
Angekommen in der Industrie
In Österreich haben bisher etwa 200 Unternehmen eine Gemeinwohlbilanz erstellt, allein 50 davon in Vorarlberg. Der Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Vorarlberg, MMag. Mathias Burtscher, lud kürzlich die GWÖ anlässlich einer Präsentation ins Haus ein und stellt sich öffentlich hinter diese Innovation: „Den Wirtschaftsstandort auf lange Sicht halten wird aus meiner Sicht vor allem das Bekenntnis möglichst vieler Wirtschaftstreibenden zur Ökosozialen Marktwirtschaft. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass dieses Modell, bei dem nachhaltiges Wirtschaften und der Umweltschutz als politische Kategorien in die Soziale Marktwirtschaft einbezogen werden, richtig ist. Dazu haben wir Umfragen mit der Bevölkerung und mit den Betrieben gemacht und ein neues ,großes Zukunftsbild für die Menschen in Vorarlberg‘ entwickelt.“
Immer mehr Städte machen mit
Vorarlberg war auch Pionier-Region mit den ersten Gemeinwohl-Gemeinden in Österreich. Inzwischen gibt es immer mehr davon in Deutschland, der Schweiz, Luxemburg und Spanien. In Barcelona wurde ein Stadtteil mit 170.000 Einwohnerinnen und Einwohnern bilanziert, jetzt werden dort private Unternehmen gefördert, die eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen. Ähnlich verfährt Stuttgart, dort bilanzierten bereits zwei Kommunalbetriebe, wie auch die Landesforste in Baden-Württemberg. Die erste Stadt mit Gemeinwohl-Bilanz ist Steinheim in Westfalen. Die Kleinstadt hatte Felber 2018 mit der Reineccius-Medaille für kreative Vorausdenker ausgezeichnet, nun wendet sie seine Konzepte an. Im Landkreis Höxter, in dem sich Steinheim befindet, machen sich neun von zehn Städten auf den Weg in Richtung Gemeinwohl. Die Nachbarstädte Brakel und Willebadessen haben die Gemeinwohl-Bilanzierung bereits beschlossen. Eine besondere Freude für die Bewegung des Österreichers ist, dass nach einjähriger Vorarbeit nun auch Wien die Türen geöffnet hat. Im Juli empfing Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke 20 Pionier-Betriebe der GWÖ, ein institutionalisierter Dialog wurde gestartet. Die Pläne reichen von der Bilanzierung von Kommunalbetrieben über die Wirtschaftsförderung bis zur Vision eines demokratisch komponierten „Gemeinwohl-Produkts“ für Wien, welches das BIP als volkswirtschaftliche Zielgröße ablösen soll.
Gemeinwohlkonto
Einen Rückschlag musste Felber 2018 verdauen. Die 2014 gegründete Genossenschaft für Gemeinwohl wollte eine eigene Bank gründen, der 500 Seiten starke erste Antrag für Errichtung eines Zahlungsinstituts mit Girokonten wurde von der Finanzmarktaufsicht jedoch wegen „Unvollständigkeit” abgelehnt. Die Genossenschaft änderte daraufhin ihre Strategie und sucht nun die Kooperation mit bestehenden Banken zum Angebot von Gemeinwohlkonten und -krediten. Ein erster Erfolg gelang 2019 mit dem Umweltcenter der Raiba Gunskirchen bei Wels. Rund 500 Gemeinwohlkonten sind inzwischen auf dem Markt, und seit Ende September werden nun auch Gemeinwohl-Sparkonten und ein Gemeinwohlkonto für Studierende angeboten.
Und wie sieht die nahe Zukunft des Tänzers und Zukunftsschmieds Felber aus? „Meine persönlichen Ziele in den nächsten Jahren sind klar – ich möchte die Genossenschaft in ein stabiles Fahrwasser bringen, Gemeinwohlkonten in möglichst viele Banken bringen und die Gemeinwohl-Ökonomie zum Mainstream machen. Persönlich würde ich gerne wieder aufs Land ziehen. Ich habe die ersten 18 Lebensjahre an einem Salzburger See verbracht und ein Jahr lang in einer Öko-Gemeinschaft gelebt. Um kreativ und vital zu bleiben, brauche ich engen Kontakt mit der Natur.“
Christian Felber
(* 9. Dezember 1972 in Salzburg) ist ein österreichischer Autor und Referent zu Wirtschafts- und Gesellschaftsfragen. Er ist Gründungsmitglied der österreichischen Sparte von Attac, gemeinsam mit anthroposophischen Aktivisten Initiator der „Demokratischen Bank“ und prägte den Begriff „Gemeinwohl-Ökonomie“.
Informationen. Mehr zum Thema
web.ecogood.org/de
christian-felber.at
Neuerscheinung: This is not economy (2019)
web.ecogood.org/de/idee-vision/literatur
Österreichs erstes Gemeinwohlkonto:
gemeinwohlkonto.at
Fotos Thomas Wunderlich