Faser zu Faser

Filippa K hat 2024 das Material „Re:sourced Crepe“ eingeführt. Es besteht aus „OnceMore®“ Technologie von Södra, der REFIBRA™-Technologie von Lenzing sowie des portugiesischen Textilherstellers Riopele. Foto: Filippa K, Thomas Jansson

Die textile Wertschöpfungskette ist weltweit eng verwoben und komplex gestrickt. Wie kann man Alttextilien wieder in den Kreislauf eingliedern?
Von Juliane Fischer

Wie das glitzert und sich elegant an den Körper schmiegt! Beim Kauf der neuen Ballrobe denkt kaum jemand daran, wie das Leben des Kleids nach dem großen Auftritt aussieht. Die Chance, dass solch ein mit Strass und Pailletten besetztes Stück aus Kunstfaser verbrannt wird, wenn es nicht durch Secondhand-Verkauf oder als Miet-Stück im Textilkreislauf bleibt, liegt beinahe bei 100 Prozent.

Geht es um die Prinzipien „reduce, reuse, recycle“ hat man eher Plastik im Kopf als Textilien. Das mag an der Umweltverschmutzung liegen, blendet aber aus, wie viel Kleidung zu Müllbergen anwächst und verbrannt wird – gerade, wenn es sich um Mischtextilien handelt, und das trifft auf fast alle Kleidungsstücke zu.

In kürzester Zeit möglichst viele Kollektionen auf den Markt bringen. Dieses gewinngetriebene Prinzip steht hinter dem Begriff Fast Fashion. Die Folgen der „schnellen Mode“ rücken aber nur langsam ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Dabei habe sich seit 1975 die weltweite Produktion von Textilfasern verdreifacht, liest man in der Jänner-Ausgabe des Fachmagazins für den europäischen Recyclingmarkt „EU-Recycling“. Bis 2030 befürchten Expertinnen und Experten eine Steigerung auf 147 Millionen Tonnen. Das meiste davon landet schon nach kurzer Zeit wieder im Müll. In der EU fallen jährlich ungefähr 7 Millionen Tonnen Textilabfall an – etwa 16 Kilogramm pro Person. Davon wurden 4,4 Kilogramm zur Wiederverwendung und zum Recycling gesammelt und 11,6 Kilogramm landeten im gemischten Hausmüll.


Allein durch den Kauf von Textilien zahlen wir EU-weit pro Jahr 121 Millionen Tonnen auf das Treibhausgas-Konto ein. Die Auswirkungen auf Klima und Umwelt sind drastisch. Nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur ist die Modebranche für zehn Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Das ist mehr als die Menge des internationalen Flugverkehrs und der Seeschifffahrt zusammen. Die Textilindustrie verbraucht große Mengen an Wasser, Baumwolle, Holz und erdölbasierten Kunststoffen und Dünger sowie an landwirtschaftlichen Flächen und Wäldern. Sie ist eine der Hauptursachen für Wasserverschmutzung. Und da denken wir noch gar nicht an die Schals und Kapperln, an die Strumpfhosen und Winterjacken, die Handtücher, Vorhänge, Teppiche und Autositzbezüge, die sich zu Müllbergen auftürmen. Nicht einmal ein Prozent davon wird laut EU-Kommission wieder zu Kleidung verwertet. Das meiste wird zu Wischtüchern, Isolationsmaterial, Vliesmatten und Polsterfüllungen downgecycelt oder über (Online-)Flohmärkte oder Secondhand-Shops verkauft. Wenn es nicht sowieso einfach verbrannt wird.

Textilien gehören zu einem der am stärksten zunehmenden Abfallströme. Das liegt vor allem an der stark steigenden Produktionsmenge. Außerdem ist das Sortieren teuer und personalaufwändig. „Sortiert wird mit Blick auf den Weiterverkauf als Secondhand. Zum Recycling muss nach Fasertypen sortiert werden. So ein Recyclingwerk gibt es in Österreich nicht“, sagt Andreas Bartl, Fasertechnikspezialist an der Technischen Universität Wien. In Schweden und in den Niederlanden laufen solche Anlagen bereits. Loacker und Tex-Tell würden gerade ein Werk in der Schweiz bauen, weiß der Experte. Er vergleicht die Textilbranche mit einer langen, global eng verwobenen Kette. Die vielen Zwischenstufen bedeuten, dass man an unterschiedlichen Stellen zurückführen und den Kreislauf schließen kann. „Emissionstechnisch ist es gut, wenn die Kette kurz und der Kreislauf klein ist. Das passiert in Form von Wiederverwendung“, betont der Chemiker.

Beim Faser-zu-Faser-Recycling zerlegt man die Textilien und gliedert sie als neue Faser wieder in die Kette ein. So funktioniert es zum Beispiel bei Laroche in Cours in Frankreich, das vor zwei Jahren von dem Grazer Konzern Andritz gekauft wurde. Große Trommeln zerreißen die Stoffe in Einzelfasern. „Wie wenn man mit einer Drahtbürste ein Shirt zerreißt“, erklärt Bartl. Das Ergebnis ist eine mittelgraue Polymermischung – für Kleidung unbrauchbar, sie wird als Stopfmaterial im Auto eingebaut. Würde man vorher nach Farbe und Material sortieren, könnte man auf diese mechanische Art hochwertige Rezyklat-Fasern gewinnen.

Im südschwedischen Mörrum entwickelt der Zellstoffproduzent Södra gemeinsam mit dem österreichischen Faserhersteller Lenzing das Material „OnceMore®“, ein Rohmaterial, das zu neuen Lyocell-, Modal- oder Viskosestoffen verarbeitet wird.

„Du kannst heute in ein Lindex-Geschäft gehen oder bei Jack & Jones zum Beispiel ein Kleidungsstück mit der ‚OnceMore®‘-Faser kaufen“, sagt die „Once-More®“-Managerin Åsa Degerman. Im Videotelefonat präsentierte sie stolz ihr Outfit: ein weißes T-Shirt unter einer cremefarbenen Jacke mit einer großen Stoffblumen-Brosche und einer Hose mit floralem Muster. „Die Hose ist aus der Midsommar-Kollektion. Solche pinken Blumen wachsen in Schweden oft am Straßenrand“, schildert sie lachend.

Lindex „Midsommar Collection“. Lindex produziert Kleidungsstücke auf Basis von „OnceMore®“
Foto: Lindex

„OnceMore®“ besteht momentan zu 20 Prozent aus Alttextilien und zu 80 Prozent aus Holzzellulose. Ziel dieses EU-Projekts „Life Treats“ (Textile Recycling in Europe AT Scale), das mit 10 Millionen Euro gefördert wird: ein 50/50-Verhältnis und damit 50.000 Tonnen Textilabfälle pro Jahr zu verarbeiten. Die Herausforderung dabei? – „Selten ist ein Kleidungsstück zu 100 Prozent aus einem einzigen Fasermaterial. Der Großteil hat zumindest einen Minianteil Polyester dabei und sei es nur das Etikett am T-Shirt aus Bio-Baumwolle“, sagt Gregor Fili, der das Projekt von Seiten der Lenzing AG verantwortet. „Ein Polyester-Recycler kann meist nur gut mit dieser Kunstfaser umgehen. Ein Baumwoll-Recycler kann meistens nichts mit Polyester anfangen.“

Anfangs stammte das Material von der Textilverleihfirma Berendsen: ausgediente Bettwäsche, Handtücher, Tischdecken und Bademäntel aus Krankenhäusern und Hotels – weißer Stoff aus reiner Baumwolle.

Der Großteil der Bekleidungsabfälle besteht aus Polyester-Baumwoll-Mischungen. Fachleute sprechen von Polycotton. Momentan schafft man hier in Mörrum bis zu 30 Prozent Polyesteranteil und man kann auch bereits Farben lösen. Die nächste Stufe: die Aufarbeitung von Elastan. „Das ist der Stoff für komfortable Kleidung schlechthin. Man findet ihn in fast jeder Jeans“, erläutert Fili. Erfunden wurde Elastan für den Stretch-Effekt als Spandex (ein Anagramm von „expands“, englisch für „ausdehnen“) in den USA. „Leider ist es chemisch unheimlich resistent und schwer abbaubar. Und es kommt nur in Mischungen vor“, ergänzt Fili.

Zu Södra kommen bereits vorsortierte Textilien, Metalle wie etwa Reißverschlüsse und Knöpfe werden ausgesondert. Dann wird der Stoff geschreddert und mithilfe von Pulping, einem chemischen Verfahren, wird der Zellstoffbrei gemeinsam mit den Hartholzchips und Chemikalien gekocht. „Wir haben herausgefunden, dass das harte Holz etwa von Buchen, Birken und Aspen die bessere Qualität bringt“, erklärt Degerman.

Die Masse wird anschließend in breite Bahnen gepresst und getrocknet. Am Ende erinnern die 1×1-Quadratmeter großen Matten an dickes Löschpapier. Lenzing und andere Verarbeiter binden das Material dann in die Viskose-, Modal- und Lyocell-Produktion ein. Bis sie als neues Kleidungsstück im Kasten landet, durchläuft die Faser noch mehrere Zwischenschritte, die nicht selten quer über den Globus verteilt sind: Der Stoffhersteller kauft bei den Spinnereien ein und dieser wiederum verkauft die Stoffbahnen an den Konfektionierer, der für die Marke fertigt.

„Recycling ist notwendig, aber nicht ausreichend“, betont Bartl. Er rechnet vor: Alle zwölf Jahre verdopple sich die Menge an hergestellten Textilien. Selbst wenn wir von dem einen Prozent, das wir derzeit recyceln, binnen zwölf Jahren auf 50 Prozent kämen – das wäre ein sehr sportliches Ziel –, würde der Abfallberg nicht kleiner werden. Da scheinen sich alle, die sich mit dem Textilkreislauf intensiv beschäftigen, einig zu sein: Die Qualität der Textilien muss (wieder) besser und langlebiger werden – so steht es auch in der neuen Ökodesign-Verordnung der EU. Und Fast Fashion muss eine Vollbremsung hinlegen. Brauche ich das neue Ballkleid also wirklich oder leihe ich mir lieber eines aus?


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