FILM

„Queering the Belvedere“
Filmprogramm, ca. 90 Min.
Blickle Kino, Belvedere 21, Donnerstag, 9. Juni 2021, 19 Uhr, Eintritt frei
Mit dem Public Program setzt das Belvedere wie jedes Jahr im Pride Month Juni ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz. Im Filmprogramm zum Thema widmen wir uns diesmal Repräsentationen von Queerness sowie queeren Formen des Zusammenlebens in und mit der Natur. In ARIBADA (DE/CO 2022) etwa, einem Kurzfilm von Simon(e) Jaikiriuma Paetau und Natalia Escobar, koexistieren das Magische, das Traumhafte und das Performative in der besonderen Welt von Las Traviesas, einer Gruppe Transfrauen vom indigenen Volk der Embera.
belvedere.at

Alice Schwarzer
Nach dem Porträt der Politikerin Johanna Dohnal widmet sich die österreichische Regisseurin Sabine Derflinger in ihrer neuen Doku der Feministin und Publizistin Alice Schwarzer. Der Film nimmt sich keine Anlaufzeit. Gleich zu Beginn zeigt er die junge Alice Schwarzer in einem legendären TV-Duell, wie sie bis heute wirkt: kritisch, unnachgiebig und streitlustig, aber stets die Augen auf das Ziel gerichtet – die Gleichberechtigung der Frau.
Als loser roter Faden im Film dienen die Redaktionssitzungen der von ihr 1977 gegründeten Zeitschrift Emma. Die fast 80-Jährige ist als treibende Chefredakteurin und Verlegerin immer noch ruheloser Kopf eines Frauenteams, das sich dem wachsenden Konservatismus ebenso stellt, wie sie feministische Errungenschaften wie die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs in Frage stellt. Revolutionär und skandalisiert etwa Schwarzers in den 1970er Jahren gefilmte Abtreibung. Gerahmt werden Schwarzers Interviews mit dichtem Archivmaterial und Gesprächen mit Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern, die ihre politische und private Sozialisierung nachzeichnen.
In einer der letzten Szenen offenbart sich in privaten Bildern eine fragende, verletzliche Alice Schwarzer. So narbenfrei sind die Anfeindungen an ihr am Ende doch nicht vorbeigegangen. (Martin Nguyen)

Regie: Sabine Derflinger
Ö/D 2022, 100 Minuten
(Kino)


Dear Future Children
Chile, Uganda, Hongkong – drei Orte, drei Proteste. Der Dokumentarfilm des jungen Regisseurs Franz Böhm porträtiert Frauen seiner Generation. Mit Anfang 20 ringen sie um soziale Veränderungen und politische Unabhängigkeit. Auch wenn dafür persönliche Opfer zu bringen sind.
Rayen kämpft auf den Straßen Santiago de Chiles mit Helm und Gasmaske. Sie ist Teil der wütenden Proteste der Arbeiterklasse, die nachhaltige Sozialreformen fordert. Hilda hingegen ist eine der Gründerinnen von „Fridays for Future“-Uganda. Die Folgen der Klimakrise, Dürre und Überflutungen, entziehen den Menschen vor Ort ihre Lebensgrundlage. Pepper – ein Pseudonym, um Familie und Freunde zu schützen – stürzt sich in den Kampf gegen das repressive Regime Chinas, das die demokratischen Strukturen in Hongkong schrittweise auflöst.
Von einem inhaltlichen Standpunkt wenig Neues erzählend, zielt die formale Gestaltung auf Emotionalisierung statt nüchterner Berichterstattung. Die Handkamera ist inmitten der Proteste, erzählt wird aus der subjektiven Perspektive. Während Rayens und Peppers Geschichten aufwühlen, fällt Hildas Kampf im Vergleich streckenweise ab. Doch es sind keine naiven Träumerinnen, das sind furchtlose Kämpferinnen gegen das Unrecht. Der Jugend ist die Zukunft nicht egal. (Martin Nguyen)

Regie: Franz Böhm
D/GB/Ö 2020, 90 Minuten
(Kino)


One Of These Days
Die Regeln sind einfach: Wer als letzter die Hand von dem Pick-Up-Truck nimmt, darf ihn behalten. Ein texanischer Autohändler veranstaltet einen jährlichen Ausdauerwettbewerb. Eine Show für die verschlafene Provinz, ein PR-Event für seinen Autohandel. Schlafentzug, Hitze, getrübte Sinne. Die einmalige Chance, dem Leben eine andere Richtung zu geben.
Der in Texas lebende deutsche Regisseur Bastian Günther inszeniert nach wahren Begebenheiten eine subtile Gesellschaftsstudie, die am Ende in eine Tragödie mündet. Mit dem richtigen Gespür für Sprache und Leute setzt er die Autoverkäuferin Joan (Carrie Preston) und den arbeitslosen Familienvater Kyle (Joe Cole) in den Fokus des Films. Zwei Seiten am jeweils anderen Ende des kapitalistischen Spektrums, das sich in Sinnleere gleicht.
Ein Spiel der Demütigung – wer kotzt, wer schwitzt, wer fällt? Eine Freakshow auf Kosten der wenigen Privilegierten. Der Film stellt nicht die Frage, wer der Gewinner ist, sondern ob gewinnen überhaupt notwendig ist. „Es ist nur ein Auto“, versucht Kyles Frau ihm den Druck zu nehmen. Die Worte verhallen ungehört. (Martin Nguyen)

Regie: Bastian Günther
D/USA 2020, 119 Minuten
(Kino)


Der schlimmste Mensch der Welt

Julie, fast 30, weiß nicht so recht, was sie will. Nach einem abgebrochenen Medizin- und Psychologiestudium in Oslo sieht sie sich als Fotografin, um sich am Ende zwischen Schichten im Buchladen als Autorin am Küchentisch zu versuchen. Sie trifft auf den älteren, bereits etablierten Comiczeichner Aksel. Er rät ihr von weiteren Treffen ab: der Altersunterschied, die unterschiedlichen Lebensphasen – all dies werde nicht gut gehen. Der Warnung zum Trotz verliebt sich Julie. Doch die Sinnsuche wird nicht kleiner. Aksel will Kinder, Julie (noch) nicht. Sie flüchtet in die neue Liebschaft Eivind auf der Suche nach etwas anderem. Nur genau was, weiß sie selbst nicht.
Joachim Trier entwirft zwischen berührender Romanze und Klamauk, im Verbund mit Tragik einen tief ins intellektuelle Herz treffenden Film. Renate Reinsve erhielt in Cannes zurecht den Darstellerinnenpreis. Ihre Julie ist komplex, widersprüchlich und zugleich liebenswert in ihrer Suche nach sich selbst. Trier spielt mit Kapiteln, (alb-)traumartigen Szenen, Animationen und selbstreflexiver Erzählerinnenstimme; lotet Möglichkeiten des Kinos aus. Fast wie Julie die des Lebens. Eine treffend aktuelle Gesellschaftsanalyse mit einer faszinierenden Heldin, die Herz und Hirn berührt. (Martin Nguyen)

Regie: Joachim Trier
NOR 2021, 128 Minuten
(Kino)


Filmstill: Simon(e) Jaikiriuma Paetau, Natalia Escobar, ARIBADA (DE/CO, 2022)


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