FILM

ORIGINAL Filmempfehlungen

Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song

Es war ein langer, steiniger Weg bis Leonard Cohen sein Magnus Opus „Hallelujah“ herausbrachte. Cohen probierte sich über Jahre hinweg an Hunderten von Versen, um am Ende von seinem Stammlabel Columbia Records Anfang der 1980er Jahre für eine Veröffentlichung in den USA abgelehnt zu werden.
Das Filmemacherduo Daniel Geller und Dayna Goldfine zieht in seiner Musikdokumentation aus der schwierigen Entstehungsgeschichte des Songs eine Analogie zu Cohens Leben. Der aus einer jüdischen, privilegierten Familie in Kanada stammende Songwriter machte sich als Schriftsteller einen Namen, bevor er sich mit über 30 Jahren auf die Bühne wagte.
Geller und Goldfine arbeiteten sich zunächst durch Fernsehinterviews und Konzertaufnahmen, bevor sie auf unveröffentlichte Notizbücher Cohens stießen. Zudem konnten sie auf intime Gespräche zurückgreifen, die der Musikjournalist Larry „Ratso“ Sloman über Jahre mit dem Sänger führte. Die Faszination in Cohens Werk und Leben liegt in seiner existenziellen Suche, in der sich universelle Fragen zu Liebe, Freundschaft, Spiritualität vereinen. Neue Interviews rekonstruieren die Geschichte des Songs, bis hin zu John Cales und Jeff Buckleys Coverversionen, die dem Lied und Leonard Cohen schließlich die verdiente Anerkennung lieferten. (Martin Nguyen)

Regie: Daniel Geller, Dayna Goldfine
USA 2021, 116 Minuten (ab 18.11. im Kino)


Mehr denn je
(OT: Plus que jamais)

Hélène (großartig: Vicky Krieps) ist unheilbar krank: Eine Lungenfibrose raubt ihr buchstäblich den Atem. Während ihre Lebenslust schwindet, wissen Familie und Freunde nicht, wie mit der belastenden Situation umzugehen ist. Hélènes Freund Mathieu (Gaspard Ulliel) ist dabei stets an ihrer Seite, nur die zunehmende Bevormundung wirkt belastend. Trost findet sie im Blog eines Norwegers, der sich schlicht „Mister“ nennt und seine schwere Erkrankung in vielen Bilder und wenigen Worten thematisiert.
Regisseurin Emily Atef geht es in ihrem sehenswerten Drama um die Frage, wie wir mit Sterbenden umgehen: abgenützte Durchhalteparolen, stille Verdrängung oder doch schonungslose Wahrheit? Eine mögliche Spenderlunge könnte Hélène einige Jahre schenken, doch die ungewisse Zukunft auf einer Warteliste schenkt ihr keinen Trost. Schließlich beschließt sie alleine nach Norwegen zu reisen, um den namenlosen Blogger zu treffen. In der rauen Schönheit der norwegischen Natur kommt sie zur Ruhe; in den Gesprächen mit „Mister“, der in Wahrheit Bent heißt, treffen ihre Zweifel auf Verständnis: Die Lebenden verstehen die Sterbenden nicht. Der nachdenkliche Film bietet keinen einfachen Ausweg. Vielmehr stärkt er Hélènes Wunsch, eine eigene Antwort zu finden, ohne die Perspektive der Angehörigen zu schwächen. (Martin Nguyen)

Regie: Emily Atef
F/D/LUX/NOR 2022, 123 Minuten, (ab 2.12. im Kino)


Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen
Wie macht man einen Film über eine lebende Künstlerin, die sich nicht mehr zeigt? 2004 erhält die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek den Nobelpreis für Literatur. Doch eine Angststörung vor dem Reisen, vor dem Rausgehen allgemein, verhinderte eine persönliche Entgegennahme des Preises in Stockholm. Zum Glück für das Publikum und für die Regisseurin Claudia Müller zeigte sich Jelinek in zahlreichen Radio- und Fernsehinterviews zuvor auskunftsfreudig und selbstanalytisch. Die Dokumentation konnte ferner mit einem im Sommer 2021 entstandenen Audiointerview ergänzt werden. Der Film rekonstruiert die strenge Kindheit, die von einer überfordernden Mutter geprägt war: Die junge Elfriede wurde als musikalisches Wunderkind zur Kunst, zur Leistung erzogen. Jelinek rettet sich in die Sprache: Die einzige Kunstform, die die Mutter nicht gefördert hat.
Mit von Schauspielerinnen und Schauspielern gelesenen Textcollagen arbeitet sich die Montage durch die Skandale auslösenden Werke wie „Lust“ und „Burgtheater“. Im Ausland geschätzt, polarisiert Jelinek im Inland. Mit einer experimentellen Bebilderung aus archiviertem und neugedrehtem Material ist der Film eine herausfordernde, faszinierende Auseinandersetzung mit Jelineks Werk und Wirken, die sich aber in ihrer Komplexität lohnt. (Martin Nguyen)

Regie: Claudia Müller
Ö/D 2022, 96 Minuten (Kino)


Schächten

Wien, 1962: Victor Dessauer (Jeff Wilbusch), Sohn einer jüdischen Textilfamilie, erfährt von seinem Vater Paul, dass der Mörder seiner Familie, Mauthausenkommandant Kurt Gogl (Paulus Manker), unbehelligt als Volksschuldirektor am Wolfgangsee lebt. Die Familie setzt den „Nazijäger“ Simon Wiesenthal auf Gogl an, doch trotz identifizierender Zeugen sprechen in einem nazifreundlichen Justizklima die Geschworenen Gogl frei. Victor beschließt daraufhin, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen.
Regisseur Thomas Roth beschreibt – von wahren Begebenheiten inspiriert – ein Nachkriegsösterreich in gediegenen Bildern, das durchzogen ist vom Schweigen und dem teilweise offen gelebten Antisemitismus. Victors Überleben während des Krieges als Achtjähriger im Wald birgt Spannung, wird jedoch bis auf kurze Rückblenden nicht ausgeführt. Die Erzählung konzentriert sich stattdessen auf die wenig überzeugende Wandlung des erwachsenen Victors vom zögerlichen, wohlbehüteten Sprössling einer wohlhabenden Familie hin zum kühl agierenden Racheengel. Manker hingegen strahlt als Gogl eine unheimliche Faszination des Bösen aus, in der sich Grausamkeit und mangelndes Gewissen vereinen, doch am Ende gelingt es nicht, historische Gesellschaftsbeschreibung und Rachedrama zu vereinen. (Martin Nguyen)

Regie: Thomas Roth
Ö 2022, 110 Minuten, (ab 2.12. im Kino)


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