Film

Diagonale’23
LE FORMICHE DI MIDA

Freitag, 24. März, 18 Uhr, Schubertkino 2
Edgar Honetschläger begibt sich auf eine mythologisch-philosophische Suche nach neuen Erzählweisen unseres Verhältnisses zur Natur. Ihm dabei behilflich sind sprechende Ameisen, Nymphen, Bauern und ein erzählender Esel, der das menschliche Streben auf Erden ad absurdum führt. Derart findet der Film nicht nur unverbrauchte Bilder für die großen Krisen unserer Zeit, er macht auch eine Sehnsucht nach anderen Zivilisationsformen und Wertesystemen greifbar.

Regie: Edgar Honetschläger
AT/IT 2023, 75 Minuten

Das gesamte Programm der Diagonale wird am 10. März 2023 veröffentlicht. Der Ticketverkauf startet am 15. März. Aktuelle Infos auf Instagram, Twitter und Facebook. diagonale.at


Tár

Lydia Tár (grandios: Cate Blanchett) ist die erste Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker und gefeierter Star einer männlich dominierten Musikszene. An ihrer Seite die Konzertmeisterin Sharon (Nina Hoss), mit der sie ein gemeinsames Kind hat. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere bereitet Tár die Einspielung von Mahlers Fünfter Sinfonie vor, doch der Selbstmord einer früheren Mitarbeiterin bringt vergangene Verfehlungen ans Tageslicht.
Regisseur Todd Field entwirft eine Versuchsanordnung, die toxische Machtstrukturen und ihre korrumpierende Wirkung unabhängig vom Geschlecht durchspielt. Társ künstlerische Brillanz lässt die Menschen um sie herum über ihr Verhalten hinwegsehen: über ihren schroffen Unterrichtsstil ohne Platz für Political Correctness, einen sexuellen Jagdtrieb, der es auf die junge Cellistin abgesehen hat. Ihrer Tochter erklärt sie im gemeinsamen Spiel, ein Orchester sei keine Demokratie. In streng austarierten Kameraeinstellungen beobachtet Field wie Tár zunehmend die Kontrolle verliert und sich mysteriöse Geräusche in ihren Alltag einschleichen. Droht sie den Verstand zu verlieren? Ein klug konstruiertes Drama, das Machtmissbrauch, Wokeness und künstlerische Obsession verhandelt und mit Cate Blanchetts Darstellung zu Recht als heißer Oscarkandidat gilt. (Martin Nguyen)

Regie: Todd Field, USA 2022, 159 Minuten (ab 2.3. im Kino)


Rosy – Aufgeben gilt nicht, (OT: Rosy)


Marine wird schwarz vor Augen. Die junge Studentin nimmt 2015 an einem Wettkampf teil, als sie plötzlich immer weniger sieht. Die konsultierte Augenärztin schickt sie unverzüglich zu einem Neurologen. Banges Warten, unzählige Untersuchungen später steht die Diagnose fest: Multiple Sklerose. Das eigene Immunsystem wird dabei zum Feind, oft treten in Schüben Lähmungen auf. Auch der Sehnerv ist betroffen. Nach dem ersten Schock entscheidet sich Marine für einen ungewöhnlichen Weg: Sie verweigert weitere Behandlungen und macht sich alleine auf eine abenteuerliche Reise durch Neuseeland, Myanmar und die Mongolei. Ist es Verdrängung oder Selbstfindung?
Das ärztliche Fachpersonal rät dringendst davon ab, die Familie ist zutiefst besorgt, unterstützt jedoch Marine bei ihrem Projekt. Ohne sich zu schonen, wandert sie mit einer kleinen Kamera durch Neuseeland, zieht sich in Myanmar zur Meditation zurück und findet durch Begegnungen in der mongolischen Steppe zu sich. Immer mit dabei die Gedanken an ihre Krankheit, die sie selbst „Rosy“ nennt. Respekt gebührt der quirligen Marine für ihren Mut und ihre Offenheit. Als persönliches, lebensbejahendes Dokument einer inneren Reise hat es seinen Reiz, verlässt jedoch nie den Charme eines kommentierten Urlaubsvideos. (Martin Nguyen)
Regie: Marine Barnérias, F 2021, 86 Minuten (im Kino)


Saint Omer

Nach dokumentarischen Arbeiten liefert die Regisseurin Alice Diop mit „Saint Omer“ ein preisgekröntes Spielfilmdebüt ab. Diop schickt die junge Schriftstellerin Rama (Kayije Kagame) für ein neues Buch zu einem Gerichtsprozess in die titelgebende Stadt in Nordfrankreich. Die Senegalesin Laurence Coly (Guslagie Malanda) ist dort angeklagt, ihre 15 Monate alte Tochter an einem Strand in Nordfrankreich zurückgelassen zu haben, als die Flut einsetzte. In starren Einstellungen und langen Dialogen verdichtet sich die Erzählung. Die verständnisvolle Richterin seziert Colys Biographie und sucht nach Erklärungen. Wie die Angeklagte selbst. Sie kann ihre Tat nicht deuten. Eine moderne Medea, eine dem Wahnsinn verfallene Kindsmörderin?
Der Film fällt selbst kein Urteil, sondern zeichnet familiäre und kollektive Identitätsbilder einer ins französische Exil gesandten Tochter, die zwischen Erwartungen der Eltern, dem Kindsvater und ihren eigenen Wünschen aufgerieben wird. Für Rama, die selbst schwanger ist und sich in Colys Biografie wiederfindet, wird die anfängliche Beobachtung zur schmerzhaften Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Eine herausfordernde Gesellschaftsstudie mit viel Feingefühl, die die Komplexität der unbegreiflichen Tat mehr durch Fragen als mit Antworten erfasst. (Martin Nguyen)

Regie: Alice Diop, F 2022, 122 Minuten (ab 10.3. im Kino)


Wo ist Anne Frank, (OT: Where Is Anne Frank)

Anne Franks Tagebücher sind weltberühmt. Das 13-jährige jüdische Mädchen versteckt sich 1942 mit seiner Familie vor den Nazis in einer Wohnung in Amsterdam und hält seine klugen Beobachtungen und Gedanken in einem karierten Büchlein fest. 80 Jahre später erweckt der israelische Regisseur Ari Folman in einem magischen Animationsfilm Annes imaginäre Freundin Kitty zum Leben. An sie waren zahlreiche Einträge in Briefform gerichtet.
Folman schickt die unbedarfte Kitty durch ein graues Amsterdam einer nahen Zukunft. Von der engen Geheimwohnung, die zu einem überfüllten Museum geworden ist, folgt Kitty Annes Spuren bis zu ihrem Tod im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Anne Frank ist zum nationalen Kulturgut geworden. Brücken, Schulen und Theater tragen ihre Namen, doch findet sich ihr Geist, ihr Mut und ihr Optimismus wieder? Kitty trifft auf ihrer Suche auf den Taschendieb Peter, der sich für Geflüchtete in einer geheimen Unterkunft einsetzt. Und plötzlich findet sie sich als Fürsprecherin und Aktivistin wieder. An ein jüngeres Publikum gerichtet, sind ihre Botschaften geradliniger, die Lösungen simpler, aber Ari Folman gelingt es, den Geist der Tagebücher mit viel Fantasie zu revitalisieren und die Aufarbeitung des Holocausts in einen modernen Kontext zu setzen. (Martin Nguyen)

Regie: Ari Folman, B/F/ISR/LUX/NL 2022, 101 Minuten (im Kino)


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